Oliver Gassmann ist Leiter des Instituts ITEM. prisma trifft ihn, um über seine eigene Studienzeit, Revolutionen damals und heute, sowie spontane Kunst zu sprechen.
Als Student ist es ganz schön praktisch, wenn man nur wenige Busstationen oder einen kurzen Spaziergang weit weg von der Universität wohnt. Umso besser für prisma-Redaktoren wie mich, die einen Professor zuhause besuchen dürfen, wenn dieser ebenfalls so nahe an der Universität wohnt, wie unser geschätzter Professor Oliver Gassmann.
Nach einem angenehmen Streifzug durch die Quartiere des Rosenbergs im aufkommenden Herbst ist die Wohnadresse schnell gefunden, und nach wenigen Minuten sitze ich auch schon bequem bei Kaffee und feinem Gebäck in Gassmanns Wohnzimmer. «Privat pflege ich eigentlich eine eher restriktive Open-Door-Policy, aber für den Artikel mache ich gerne eine Ausnahme», beginnt Gassmann lächelnd das Gespräch. Nach einem Master in BWL und VWL an der Universität Stuttgart-Hohenheim im Jahre 1993 und dem Doktorat hier an der HSG folgten einige Jahre in der Privatwirtschaft, bevor er dann 2002 zurück an die HSG für die Professur «Technologie Management» kam und nun grosse Beliebtheit unter den Studenten geniesst.
Im grosszügigen Wohnzimmer fällt mein Blick schnell auf das Gemälde mit farbigen Klecksen und Strichen direkt über dem Sofa. Als Kunstlaie gehe ich in dieser Situation automatisch von einem teuren Gemälde eines wohl namhaften Künstlers aus. Keineswegs; «Es ist das Produkt aus einem Abend mit drei Freunden, Farben und Staffeleien, sowie einer Flasche Rotwein. Wir haben auf dieser Leinwand eigentlich nur alle gleichzeitig unsere Pinsel ausgedrückt, in wenigen Minuten, klärt mich Professor Gassmann auf. Er habe es nicht aufgehängt, weil er es für besonders gelungen hält, sondern weil es ihn freut, dass aus Spontanität so etwas Bleibendes entstehen konnte. Auf den Hinweis, dass der Artikel im Heft zum Thema Revolution erscheint, folgt ein spontanes: «Ah, das passt.»
Die Regelstudienzeit von 8 Semestern hat Gassmann gleich mal um fünf weitere überzogen. Er stand dabei aber nie still, absolvierte verschiedene Praktika in England, Irland und Singapur, arbeitete als Lieferwagenfahrer, Lagerist, in der Montage und in einem Spritzgusswerk. «Meine erste eigene Firma in dieser Zeit stellte Gummi-Muffen für den Sanitärbereich her, erstaunlich margenreich.» Seine Technikaffinität manifestierte sich in seinem ganzen Werdegang und führte ihn, wohl als einzigen Wirtschaftswissenschaftler bisher, an die Spitze der technologischen Entwicklung bei Schindler. «Ich habe immer auf Authentizität gesetzt.» Karriere als Eigenwert war Gassmann nicht wichtig, sie war vielmehr Resultat von vielen kleinen Schritten, die alle mit Freude und Tatendrang angegangen wurden. «Es ist ein stetiger Lebensweg, ohne bereits von Anfang an den grossen Bogen vor sich zu sehen.»
Auf diesem Weg orientiert er sich stark an dem, was ihn erfüllt und Spass macht. «Wir haben ein viel zu calvinistisches Verständnis von Arbeit: Sie muss nicht zwingend weh tun.»
Auf die Strasse? Jederzeit.
Es sei für ihn wichtig, seine Energie auf die richtigen Dinge zu konzentrieren und Spuren zu hinterlassen: «Make a difference.» Man sollte nie seinen eigenen Einfluss auf die Gesellschaft unterschätzen. «Ich bin in meiner Studienzeit auch auf die Strasse gegangen. Oder habe mit meiner damaligen Band Songs über Sauren Regen geschrieben.» Auch heute wäre Gassmann grundsätzlich noch bereit, unten am Marktplatz Unterschriften zu sammeln. «Aber durch meinen Beruf und meine Engagements habe ich heute andere, effektivere Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen.» Auf die Frage, ob die Studenten heute etwas revolutionärer sein könnten, antwortet er nach etwas Nachdenken: «Ich meine, ja.» Es gehöre zur Weiterentwicklung auch dazu, mal unbequem zu sein. Ikonen wie Elon Musk oder Steve Jobs gäben dabei wichtige Anstösse, setzen aber den Benchmark für viele unerreichbar hoch.
Mit Brokkoli von Podium zu Podium
Sich den ganzen Tag mit Innovation, Strategie und Management zu beschäftigen, wirke sich doch sicher auf die Gestaltung des Privatlebens aus, möchte ich wissen. Überträgt man Modelle und Methoden nicht schnell auf den Alltag zu Hause? «Das Gegenteil ist der Fall: Ich nehme manchmal sogar Dinge aus der Erziehung meiner drei Kinder mit in die Arbeit.» Hält er ein Führungsseminar, so ziehe er zur Verdeutlichung des Transformations-Managements oft das Beispiel eines Kindes hinzu, das man dazu bringen will, Brokkoli zu essen: «Sag ihm, warum Brokkoli gut ist. Befähige es, den Brokkoli zu essen. Sei ein Vorbild und iss den Brokkoli auch selbst.» Dieses Beispiel werde von Europa über die USA bis nach Asien bestens verstanden, die kulturellen Unterschiede merke man kaum. Ganz anders, wenn es dann aber um das Verständnis und den Umgang mit Innovation – Gassmanns Kerngebiet – geht: «Wir Schweizer entwickeln unser Geschäft bescheiden, bauen solide die Substanz auf, um dann ins Nachbarland zu exportieren. Im Silicon Valley will man gleich vom ersten Wurf weg die ganze Welt erobern. Wir müssen unseren eigenen Weg gehen.» Der von Gassmann entwickelte Business Model Navigator ist hierfür eine Antwort, wie Konstruktionsmethodik für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle effektiv und erfolgreich genutzt werden kann.
Dass Gassmann seine Promotion schlussendlich an der HSG machen würde, hätte er sich als Erstsemester nicht vorstellen können. «Das war mir damals zu elitär», schmunzelt er. Heute lobt er unsere Alma mater über alle Massen. «Meine Arbeit an der HSG ist kreativ und analytisch zugleich.
Ich arbeite hier mit wunderbaren Menschen – Studenten, Mitarbeiter und Kollegen – an Dingen, die mir enorm Spass machen.» Am deutlichsten wird dies durch sein Engagement in der Professoren-Band «No Business» an den Drums. «Man kann nur mit echten Freunden Musik machen.»
Gassmann ist ein Familienmensch
Wenn er nach einem langen Tag nach Hause kommt, helfen ihm seine Frau und seine drei Kinder «den Pace wieder runterzufahren». Die beste Erholung gelingt ihm bei gemeinsamen sportlichen Aktivitäten in der Natur, bei Wanderungen auf den Säntis, beim Biken und Skifahren – möglichst schwarz und unpräpariert. Die Vater-Tochter Beziehung stärkt er mit alljährlichen Rennen auf den Hohen Kasten. «Bisher schaut es noch gut aus, wird aber langsam knapp. Meinem Sohn musste ich das Feld schon in verschiedensten Disziplinen räumen.»
Gassmann setzt auf Understatement: «Die schräg geschnittene Hecke da draussen im Garten ist das Resultat von letztem Samstag.» Auch fährt er heute noch lieber mit seinem Mini Cooper vor, als mit einem protzigen Auto. Der materielle Wohlstand manifestiert sich bei ihm im Luxus, post-materialistische Bedürfnisse befriedigen zu können: «Nach einem langen Aufstieg die Aussicht von einem Berg zu geniessen, macht mich glücklich. Für schöne Momente braucht es nicht viel.» So kommt es auch, dass ich beim Gehen noch schnell ein Bild vom prachtvollen Säntisblick aus dem Wohnzimmer für den Artikel machen will, und Gassmann mit einem Grinsen einwendet: «Lieber nicht, zu feudal.»