Ueli Steck gehört zu den besten Extrembergsteigern der Welt und wurde 2012 für die Solo-Durchsteigung der Annapurna-Südwand mit dem Piolet d’Or augezeichnet. Wie es ist, den Weg zur Spitze so oft zu meistern, erzählt er im Interview.
Ueli Steck bereist gerade nicht die Gebirgsregionen dieser Welt. Er bereitet sich auf sein nächstes grosses Projekt vor: die Überschreitung des Mount Everest und des Lhotse. Im Frühling will er diese Route, die durchgehend auf über 8000 Höhenmetern liegt, bestreiten. «Zuhause habe ich einfach die beste Infrastruktur, um in Ruhe zu trainieren.»
Und obwohl es ihn für spektakuläre Routen natürlich immer wieder in die Ferne zieht, ist Steck sehr heimatverbunden: «Ich bin sehr gerne zu Hause. Wir leben im Paradies!» Sein Training umfasst nicht nur körperliche, sondern auch geistige Vorbereitung: «Routenplanung ist für mich mein Mentaltraining. Ich befasse mich mit dem Berg, mit der Idee, so bleibe ich motiviert.» Sein Trainer Simon Trachsel unterstützt ihn dabei genau so wie bei der Planung des Kraft- und Ausdaueraufbaus. Auch hier richtet sich Steck immer nach seinen zukünftigen Projekten, aus und plant die genauen Zeiträume, in denen er eine Peakphase haben und seine volle Leistung abrufen können muss. «Mentales und physisches Training stehen in einer starken Wechselbeziehung», erklärt Steck: «Die mentale Stärke kommt mit dem physischen Training. Wenn ich das Gefühl habe, ich trainiere perfekt, ich bin fit, dann kommt das Selbstvertrauen.»
Immer auf alle Eventualitäten vorbereitet
Zur Vorbereitung gehört natürlich auch seine Ausrüstung. Da ist Steck Perfektionist: «Die Ausrüstung ist bei mir nach 28 Jahren Bergsteigen ziemlich gut ausgefeilt. Aber ich probiere immer noch, etwas zu verbessern und zu optimieren. Ich arbeite sehr eng mit meinen Sponsoren zusammen. Ich probiere, das Maximum zu erreichen, so dass ich die perfekte Ausrüstung habe.» Perfekt vorbereitet zu sein, ist Steck sehr wichtig. Wenn er etwas gar nicht gern habe, erklärt er, dann seien es Situationen, in denen er nicht die Kontrolle habe. Deshalb ist es für ihn so wichtig, auf die Touren und alle Eventualitäten perfekt vorbereitet zu sein, so dass er in jeder Situation und auf jedem Teil der Route genau weiss, was zu tun ist. Nicht nur beim Bergsteigen, sondern in jeder Lebenslage vertraut Steck auf sein Bauchgefühl. «Solange ich gut vorbereitet bin, fühle ich mich wohl. Wenn ein ungutes Gefühl aufkommt oder sogar Angst, dann bist du am falschen Ort. Dann hast du dir etwas vorgenommen, dem du nicht gewachsen bist.» Bei all dieser perfekten Vorbereitungen darf dennoch ein kleines Detail vor jeder neuen Tour nicht fehlen. Steck hat ein Ritual: «Ich binde immer zuerst meinen rechten Schuh.»
Den Fokus immer auf das Ziel legen
Steck fokussiert sich immer auf das nächste Projekt und versucht, alles andere auszublenden. Zudem gibt es auch viele Projekte in der Zukunft, auf die er hinarbeitet: «Es ist wichtig im Leben, dass man Träume hat. Ich habe noch viele Ideen zum Bergsteigen. Man muss aber auch akzeptieren, dass man nicht alles erreichen kann.» Bei der Auswahl seiner zukünftigen Ziele richtet er sich danach, wie sehr er persönlich an ihnen wachsen kann: «Für mich ist Bergsteigen ein laufender Prozess, ein Weiterentwickeln von mir selbst. Daher sind meine Projekte meistens aufbauend auf vergangenen Besteigungen. Mir geht es um die Erfahrung, um das Erleben von etwas Neuem, einer stetigen Weiterentwicklung.»
Und so hat Steck auch nicht die eine Lieblingstour oder eine ganz besonders herausragende Erinnerung. Denn für ihn zählt die Unterschiedlichkeit und Einzigartigkeit jedes Berges, jeder Route und die besonderen Herausforderungen und Höhepunkte, die sie alle beinhalten. Auch hier richtet sich sein Blick immer nach vorne, zum nächsten Ziel, und seltener zurück: «Es gibt viele schöne Erinnerungen. Ich kümmere mich aber nicht zu sehr um die Vergangenheit. Ich freue mich, wenn ich wieder raus und etwas unternehmen kann.» Seine Motivation stammt aus dem Drang, seine persönlichen Grenzen zu verschieben. Wenn er Potential für eine noch bessere Leistung sieht, will er diese auch erbringen. Daraus resultieren auch die vielen Geschwindigkeitsrekorde, die Steck aufgestellt hat. An der Zeit, erklärt Steck, könne man sich eben sehr eindrücklich messen.
«Bergsteigen ist kein Beruf»
Als Beruf will Steck das Bergsteigen auf keinen Fall verstanden wissen und erklärt: «Mit Bergsteigen kann man eigentlich kein Geld verdienen. Irgendwie ist das bei mir schleichend gekommen. Ich war viele Jahre einfach unterwegs und habe immer ein Minimum gearbeitet, um über die Runden zu kommen. Irgendwann hatte ich dann genug Einkommen aus Sponsoring und musste nicht mehr arbeiten. Jetzt ist es so, dass ich vom Bergsteigen sehr gut leben kann.» Ursprünglich ist er gelernter Zimmermann. Der Plan, sich nach der Lehre und den ersten Arbeitserfahrungen auf diesem Gebiet weiterzubilden, wich dem Wunsch, sich ganz dem Bergsteigen zu widmen. Und obwohl das Bergsteigen an sich für Steck keine Arbeit darstellt, so beanspruchen die Aufgaben rund um die Pflege und Weiterentwicklung seiner Marke und die Vermittlung seines Wissens und seiner Erfahrungen einiges an Zeit: «Ich arbeite mehr als je zuvor in meinem Leben. In diesem Jahr habe ich zum Beispiel über 70 Vorträge und Referate gehalten, ein neues Buch geschrieben und das Arbeiten mit meinen Sponsoren in der Produktentwicklung ist auch stetig angewachsen.» Zudem trainiert Steck circa 1200 Stunden im Jahr und ist zwischen zwei und vier Monate unterwegs auf Expedition.
An der Spitze
Für den Laien erscheint das Erreichen des Berggipfels als Highlight der ganzen Tour, als Belohnung für die vorangegangene Anstrengung. Steck erklärt uns, dass er dies anders erlebt: «Am Gipfel bin ich meistens nur für einen sehr kurzen Moment. Ich bleibe dort ganz bewusst emotionslos, da man immer noch zuerst absteigen muss. Erst wenn du wieder unten im Tal bist, ist die Tour vorbei. Dann kommt auch Freude und Glück.» Eine Expedition abbrechen oder auf einer Tour umkehren zu müssen, ist für Steck keine Niederlage: «Dann musst du einfach den Mut haben, zu analysieren, wieso es nicht funktioniert hat. Dabei lernst du viel mehr, als wenn es geklappt hat. Daher ist es am Schluss ein positives Erlebnis!» Auf seinen Expeditionen hat er über die Jahre natürlich auch immer wieder gefährliche Momente durchlebt. Auch diese konnte er meistern, weil er seinen Blick immer nach vorne gerichtet hielt: «Ich hatte schon ein paar Situationen, die sicher nicht lustig waren oder schlecht hätten ausgehen können. Aber ich gebe nie auf und kämpfe bis zum Schluss. Bis jetzt ging es immer gut aus.»
Bilder: zvg/Ueli Steck