Über Politiker wird vieles gesagt, nicht selten auch, dass sie ein grosses Ego haben. Doch stimmt das überhaupt, oder haben Politiker sogar ein krankhaft grosses Selbstwertgefühl? Eine nicht ganz ernst gemeinte Spurensuche.
Hast du eine einnehmende Persönlichkeit, und ziehst deine Zuhörer in deinen Bann? Denkst du, dir sollte die ganze Welt aufgrund deines Intellekts offenstehen? Träumst du oft vom grossen Erfolg, von nie dagewesener Macht? Hast du dich noch nie für Regeln interessiert, oder suchst dir gerne die eine oder andere Abkürzung, um deine Ziele auf Kosten anderer zu erreichen? Stürmst du gerne selbstbewusst mit überragenden Ideen voraus, und streitest jede Verantwortung ab, wenn doch etwas schiefläuft? Versprichst du deinen Mitmenschen gerne Dinge, die du nicht einhalten kannst, um dir einen Vorteil zu verschaffen?
Falls ja, habe ich eine gute und eine schlechte Nachricht: Die schlechte wäre, du leidest möglicherweise an krankhaftem Narzissmus. Die gute ist, du eignest dich prima als Politiker.
Heisst das also, dass alle Politiker Narzissten sind? Nun gut, es braucht schon sehr viel Selbstvertrauen, um anzunehmen, dass genau du der nächste Bundesrat sein sollst, schliesslich gibt es ja Millionen von potentiellen Kandidaten. Doch so schnell sollte man unsere Exekutive und Legislative nicht pauschal verdammen. Eine Tendenz zur Selbstverliebtheit besitzen wohl alle Menschen, doch erst, wenn die eigene Geltungssucht die Oberhand gewinnt, ist man ein echter, krankhafter Narzisst.
Narzissmus 101
Narzissmus ist sowohl eine anerkannte Krankheit als auch ein umgangssprachlicher Begriff, welcher generell ein ungesundes Mass an Selbstverliebtheit und Selbstbezogenheit beschreibt. Typischerweise wird ein Individuum, welches sich für übertrieben wichtig, einzigartig und etwas Besseres hält, sowie regelmässig nach Komplimenten fischt, eine übertriebene Anspruchshaltung gegenüber anderen hat, und sich deswegen fast ausschliesslich im Recht sieht, als Narzisst beschrieben. Ebenso verhält es sich oftmals arrogant, unflätig und leidet an einem Mangel an Mitgefühl, kann oder will somit die Gefühle und Bedürfnisse anderer nicht verstehen. Ebenso ignoriert ein Narzisst gerne die ungeschriebenen Regeln des Zusammenlebens, zeigt sich weitgehend lernresistent bei eigenen Fehlern und geizt mit ehrlich gemeinten Entschuldigungen.
Ein erfolgreicher Politiker ist ein guter Wahlkämpfer. Um als Politiker gewählt zu werden, muss man nicht primär grosse Fähigkeiten im Amt beweisen (auch wenn manche behaupten, es schade nicht), sondern ein guter Wahlkämpfer sein, um seine Mitbürgerinnen und Mitbürger von sich zu überzeugen. Schliesslich entscheidet die Stimmenzahl und nicht eine objektive Leistungsbeurteilung über Wiederwahl oder Abwahl. Konkret bedeutet dies, eine einnehmende Persönlichkeit zu haben und den Menschen das Gefühl zu geben, man kümmere sich um ihre Anliegen.
Stimmenfang, alles
andere ist Beilage
Ausserdem muss man das Versprechen abgeben, bestimmte Ziele im Amt zu verfolgen und diese dann auch erreichen zu können. Wenn dies nicht gelingt, muss man in der Lage sein, aus Niederlagen Siege herzureden, und aus Symbolpolitik tiefgreifende Reformen werden zu lassen. Ein selbstbewusstes Auftreten, eine gute Argumentationsfähigkeit, um die Welt möglichst überzeugend aus seiner Sicht zu erklären, sowie die Fakten zu den eigenen Gunsten auslegen zu können, sind dabei wertvolle Gehilfen. Die Grenzen zwischen Charisma und gesundem Selbstbewusstsein auf der einen, und Manipulation und Grössenwahn auf der anderen Seite, sind fliessend. Und da das Leben eines Narzissten ein einziger grosser Wahlkampf ist, versucht er sich doch bei jeder sozialen Interaktion zwanghaft Sympathien beim Gegenüber zu erarbeiten. Er ist wie geschaffen für den Stimmenfang beim Volk.
Der Wahlkampf ist nur der erste Teil einer jeden politischen Karriere. Ist man erstmal gewählt, heisst es Mehrheiten zu gewinnen und schwierige Entscheidungen zu treffen. Ersteres ist überhaupt kein Problem, denn wenn die eigenen Wähler einem schon die übertriebenen Wahlversprechen geglaubt haben, werden sicher auch genug Parlamentarier sich vom Narzissten einlullen lassen und an seiner Seite stehen. Ebenso darf man nicht vergessen, dass ja auch andere Politiker narzisstisch veranlagt sein könnten. Sie werden gerne auf ein Angebot ihres Kollegen eingehen, wenn sie einen persönlichen Vorteil daraus ziehen können. «Manus manum lavat – Die eine Hand wäscht die andere.» Bleibt nur zu hoffen, dass so auch dem Volkswillen gedient ist.
Meister der Tarnung
Letzten Endes sind wir alle Narzissten, die wenigsten überschreiten jedoch den Schwellenwert, ab dem man als klinisch krank gilt. Als Politiker schadet es aber vielleicht nicht, an dieser Grenze zu kratzen, oder diese sogar ab und an zu überschreiten. Narzissten gibt es in allen Berufen, die meisten davon sind sowieso «high-functioning», wissen also sich anzupassen, und nicht aufzufallen.
Es ist jedoch anzunehmen, dass die Politik ein attraktives Tummelfeld für sie sein kann. Wo sonst, wenn nicht in der Politik, kann man eine Bewegung von Millionen von Menschen anführen, sich als Retter der französischen Republik verkaufen und seine Grundsatzrede für die Zukunft des Landes im Schloss Versailles halten, ohne gleich zu psychologischen Abklärungen vorgeladen zu werden? Es ist nicht abgeklärt, ob Emanuel Macron ein Narzisst ist, falls er einer wäre, würde er sich aber nicht unwohl fühlen in seiner aktuellen Rolle.
Noch besser lässt es sich als Narzisst in der Privatwirtschaft leben. Die Machtkonzentration eines CEOs gleicht derjenigen eines Diktators, checks und balances gibt es kaum. Die Umgangsformen in der Geschäftswelt sind ruppiger und nicht selten klettert derjenige die Karriereleiter nach oben, der sich am besten verkaufen kann. Die Fähigkeit, ohne Skrupel seine Mitmenschen zu manipulieren, und auch über Leichen gehen zu wollen, kann in einem solchen Umfeld durchaus ein Vorteil sein. Aber natürlich nerven die institutionellen Einschränkungen und die Verteilung der Macht auf drei Säulen den einen oder anderen politischen Quereinsteiger. Solche geraten ab und an in Versuchung, die Gewaltentrennung zu schwächen, und so die eigene Macht zu vergrössern. Dies ist auch der einfachste Weg, um einen Narzissten in der Politik zu enttarnen. Ein Narzisst wird dazu tendieren, die eigene Macht zu maximieren, ohne allzu viel Wert auf die Verfassung oder ein ordnungspolitisch sauberes Vorgehen zu legen. Sicher kommt dir das eine oder andere Beispiel in den Sinn.
Und du?
Und, hast du dich wiedererkannt, du Narzisst? Wahrscheinlich nicht, denn Narzissten wissen etwas mit Gewissheit: Sie sind perfekt, und jegliche Kritik von Dritten ist bloss ein Zeichen der Eifersucht. Falls du aber dennoch viel von dir hältst, dann ab in die Politik, dein Land braucht dich!