Antoinette Weibel, Direktorin des Forschungsinstituts für Arbeit und Arbeitswelten, erzählt, warum auch eine Work-Work-Balance möglich ist, sie nicht an der HSG studiert hat und für eine Frauenquote ist.
In einem grossen hellen Haus in der Nähe von Zürich empfängt mich Antoinette Weibel in einem bunt gestreiften Oberteil. Es wird Glückstee serviert. Die Katzen, ihre «kleinen Terroristen», werden alle fünf Minuten in das Haus rein- und wieder rausgelassen. Nebst ihren Katzen bewohnt die Professorin das Haus mit ihrem Mann. Kinder hat das Paar keine. Sowieso habe sie eine «Work-Work-Balance». «Wenn man Spass an der Arbeit hat, dann ist die Arbeit auch etwas Privates», findet Weibel. Ihre grössten Erfolge und Niederlagen haben sich somit auch in ihrem Berufsleben zugetragen. Dabei nennt sie den «Vertrauensvorschuss», den sie von ihrer späteren Doktormutter erhalten hatte, als bestes Erlebnis in ihrem Studium. Sie erhielt als Studentin die Möglichkeit, an einem Kongress in Sevilla vor international anerkannten Forschern die Zwischenergebnisse einer Studie vorzustellen. «Es war ein super Erlebnis. Da habe ich den Entschluss gefasst, eine Doktorarbeit zu schreiben.»
Einen solchen «Vertrauensvorschuss» gewährt die harmoniebedürftige Weibel auch ihrem Team. Gleichzeitig musste sie lernen, dass man sich von Leuten trennen können muss, wenn es überhaupt nicht funktioniert. So musste sie einer Mitarbeiterin kündigen, die unhöflich und manchmal auch durchaus unangenehm zu den Studierenden war.
Arbeitstier Weibel
Weibel fällt es schwer, abzuschalten. Als Workaholic und Professorin trage sie das Büro immer auf den Schultern. In ihre Projekte steckt sie viel Mühe und Arbeit. «Mein Ziel ist es, Arbeitsplätze zu schaffen, wo sich Mitarbeitende einbringen und sinnhafte Arbeit leben können», sagt Weibel. So untersucht sie zurzeit in einem gemeinsamen Projekt mit dem Institut für Wirtschaftsethik, ob der sogenannte gläserne Mitarbeiter auch so umgesetzt werden kann, dass nicht nur dem Unternehmen, sondern auch den Mitarbeitenden Vorteile daraus erwachsen. Ein weiteres Forschungsthema ist Vertrauen sowie Innovations- und Fehlerkultur. Misserfolge erachtet Weibel als normal. Es seien Möglichkeiten sich zu verbessern. «Man muss einem Menschen mindestens zwei bis drei Chancen geben», unterstreicht Weibel ihr Statement. Sie glaubt fest daran, dass man aus Fehlern lernen kann, aber dass man hierfür Vertrauensvorschuss benötigt und zwar sowohl von Mitarbeitenden als auch von Unternehmen.
Nebst der Tätigkeit am Institut für Arbeit und Arbeitsleben hat Weibel Einsitz in diversen Stiftungsräten. Dafür erhält sie höchstens Sitzungsgelder. Der zeitliche Aufwand variiere von Organisation zu Organisation. «Am zeitintensivsten ist sicherlich die Tätigkeit bei der SGO (Anm. d. Red: Schweizerische Gesellschaft für Organisation und Management, eine Organisation, die Forschende und Entwickelnde in Theorie und Praxis vernetzt und unter anderem auch Bücher publiziert), dies ist für mich aber eine Herzensarbeit», erklärt Weibel. Zur SGO sei sie gekommen, als sie ihr Buch «Investition Vertrauen» publiziert habe, welches von der SGO gesponsert worden sei. Über ihre anderen Stiftungsratsmandate beim Trust Management Institute, beim deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung «Speyer» und der schweizerischen Vereinigung für Führungsausbildung, verliert sie kaum ein Wort. Einzig sagt sie, dass sich diese Tätigkeiten gut mit ihrer Arbeit am Institut für Arbeit und Arbeitswelten verbinden lasse. Eine gewisse Bescheidenheit tritt zu Tage.
Diese zeigt sich auch, wenn sie über ihre Tätigkeit als Professorin spricht. «Als Professorin ist man sicher ein wenig eitel, aber die Sache steht meist im Vordergrund», meint Weibel. Generell scheint sie sich ihren momentanen Forschungsprojekten völlig hinzugeben und auch ihre anderen Tätigkeiten voller Leidenschaft auszuüben. Deshalb bleibt ihr wenig Zeit, sich auf ihren Lorbeeren auszuruhen. Wenn sie doch einmal frei hat, verbringt sie ihre Zeit gerne mit Wandern, Schnorcheln, Tauchen, dem Lesen von Zeitschriften sowie dem Spielen mit ihren beiden Katzen.
Pro Frauenquote
«Frauen sind nicht in den richtigen Netzwerken», meint Weibel und macht sich deshalb für eine Frauenquote stark. Für sie ist die Lösung des Problems eine temporäre Frauenquote, damit endlich eine «kritische Masse» von Frauen die «Old-Boy-Netzwerke» aufweichen kann. Vor einiger Zeit hat sie selbst die Erfahrung gemacht, wie es ist, die einzige Frau in einem Männergremium zu sein. Ein Vorschlag wurde völlig überhört, als er von ihr geäussert wurde. Als ein Mann einige Minuten später denselben Vorschlag machte, erntete er Lob dafür. Schlechte Betreuungsstätten würden es der Frau zudem verwehren, Kind und Karriere unter einen Hut zu bringen. «In Schweden ist die Vereinbarkeit von Kind und Karriere viel besser», meint Weibel.
Burschenschaft schreckte ab
Ein Studium an der Universität St. Gallen kam für Weibel nicht in Frage. Als sie vor Studienbeginn Schweizer Universitäten anschaute, fand sie den Traditionalismus der Burschenschaften nicht besonders anziehend. Auch heute noch habe die HSG eine eher «männliche» Kultur. Damit sich hier was ändert, «braucht es eine Gegenpower von Studentinnen», meint Weibel. So wären mehr Frauen auf allen Stufen der HSG hilfreich, um zu einer Kultur zu finden, die Frauen und Männer anspricht. Als Forscherin entspricht die HSG mehr ihren Ansprüchen, da sie an dieser Universität praxisorientierte Forschung betreiben kann. «An der HSG kann man selbst Unternehmer spielen», freut sich Weibel. In ihrer Stellung als Direktorin des Instituts für Arbeit und Arbeitswelten hat sie das Gefühl, die Praxis verbessern zu können. Über ihre momentane Stellung verliert sie viele positive Worte und scheint sehr zufrieden damit zu sein.
Auch über ihre Kollegen redet sie nur positiv. «Zu meinen Doktoranden habe ich eine enge Bindung», erzählt sie. Als selbst sehr von ihrer Doktormutter beeinflusste Persönlichkeit will sie die ihr vorgelebten Werte an ihre Doktorierenden weitervermitteln. Für sie ist es ein persönlicher Misserfolg, wenn Doktoranden, die Potenzial hätten, nicht abschliessen. Ihre offene und sehr empathische Art tritt bei solchen Erzählungen besonders zu Tage. Ihre Mitarbeitenden scheinen für sie fast wie eine Familie zu sein, um die sie sich kümmert und denen sie helfen will, sich weiterzuentwickeln.
Langwierige Wissenschaft
Einen Artikel in einer wissenschaftlichen Zeitschrift unterzubringen ist kein leichtes Unterfangen. Oft dauert es Jahre, bis sich eine solche Zeitschrift überhaupt dazu bereit erklärt, den Artikel zu veröffentlichen. Es folgen zahlreiche Überarbeitungen. So können bis zur Veröffentlichung gut und gerne zehn Jahre vergehen. Problematisch findet Weibel diese Langwierigkeit der Wissenschaft nicht. Man stelle bereits vor der Veröffentlichung seine Erkenntnisse an Konferenzen vor oder halte Vorträge darüber. So würden die Erkenntnisse bereits vor der Veröffentlichung in Fachzeitschriften an die Öffentlichkeit gelangen.
Als Bücherwurm mit eigener Haus-Bibliothek wollte sie nie etwas anderes, als in der Forschung tätig zu sein. «Unterrichten ist sehr schön, Forschen und Neues entdecken, sowie Modelle entwickeln und die Teamarbeit gefallen mir», beschreibt Weibel ihre Passion. Für sie scheint die Forschung entgegen ihres Klischees nicht trocken, sondern vielmehr lebendig zu sein. So erforscht Weibel oft sehr praxisnahe Themen wie den gläsernen Mitarbeiter oder wie man Stakeholder wieder «einfangen» kann, sollten sie einmal misstrauisch geworden sein. Ihre Leidenschaft ist und bleibt das Lesen, Schreiben und der Kontakt zu den Menschen – alles, was ihre momentane Stellung als Direktorin des Instituts für Arbeit und Arbeitswelten beinhaltet. Sie scheint wahrhaftig angekommen zu sein und fühlt sich trotz hoher Arbeitsbelastung pudelwohl. Antoinette Weibel ist wohl – wie sie selbst sagt – wahrhaftig ein Nerd.