Die Anreise zur Zigarettenfabrik von «Koch & Gsell» gestaltet sich sehr einfach. In nicht einmal 20 Autominuten von der Uni entfernt erreicht man das wunderschöne Steinach (SG) am Bodensee, wo sich die Produktionsstätte der Zigarettenmarke «Heimat» befindet. Beim Betreten der Produktionshalle steigt ein charakteristischer Geruch in die Nase. Es ist bekannt, dass «Koch & Gsell» neuerdings CBD-Hanfprodukte verkauft, es überrascht jedoch, dass diese Sparte auch geruchstechnisch so dominierend ist. Es fällt auf, dass seit dem Start der Produktion im Jahre 2015 bereits eine zweite Halle angemietet wurde. Die Mitarbeitenden in ihren einheitlich schwarzen T-Shirts mit der Aufschrift «Heimat» grüssen freundlich beim Vorbeigehen. Der Weg ins Büro zu unseren Interview-
partnern, dem Geschäftsführer Roger Koch und Björn Koch, Head of Marketing and Branding, ist kurz. Durch die Produktionshalle, eine Treppe hinauf und schon stehen wir vor ihnen. «Kommt, wir gehen in den Pausenraum. Dann können wir es uns gemütlich machen fürs Interview – und rauchen.»
Die Unternehmensgeschichte von «Koch & Gsell» liest sich wie ein Gegenbeispiel zu den Konzepten, die an unserer Alma Mater in den ersten Semestern gelehrt werden. Warum würde man sich in einen rückläufigen Markt begeben, der zudem noch so hochkonzentriert ist? Der Zigarettenmarkt ist in der Schweiz, wie in ganz Europa, zwischen den drei Riesen Philip Morris (43.4%), British American Tabacco (38.8%) und Japan Tobacco (17.8%) aufgeteilt. Besonders auf dem Zigarettenmarkt ist es schwierig, den Konsumenten zum Markenwechsel zu bewegen. Dieses Umstandes ist sich auch Roger Koch bewusst. «Wir sind aber die Einzigen, die eine Zigarette aus 100% Schweizer Tabak produzieren. Deshalb sind wir auf einem eigenen Markt, welchen wir dominieren», erklärt der Geschäftsführer und Gründer von Koch & Gsell. Zudem verzeichnen die Newcomer aus Steinach einen stetig steigenden Absatz. «Für die etablierten Konkurrenten bedeutet unser Marktanteil hingegen praktisch nichts», fügt Roger hinzu. Man würde meinen, dass das Zigaretten-Business von hartgesottenen «Knüppelunternehmern» kontrolliert wird, welche versuchen würden, etwaige Konkurrenz sofort auszuschalten. «Wir hören nicht viel von den grossen Drei. Ich glaube, die schauen uns eher amüsiert zu», meint Björn Koch.
Der Grossvater ist schuld
Der Pausenraum, indem das Interview stattfindet, ist selbst Symbol für das stetige Wachstum und die laufende Professionalisierung von «Koch & Gsell». Der Ursprung der verrückten Idee einer eigenen Zigarettenmanufaktur liegt in Roger Kochs Kindheit. Genauer gesagt hat ihm sein Grossvater Ernst Gsell diesen Floh ins Ohr gesetzt. Grossvater und Enkel verstanden sich blendend. Als die beiden 1987 ins Zihlschlachter Hudelmoos fuhren, war das ein prägendes Erlebnis – denn an diesem Morgen erlaubte Ernst Gsell seinem Enkel, eine Zigarette zu rauchen. Mit zwölf Jahren schien er ihm alt genug dafür. Und er erzählte ihm von der Tradition des Tabakanbaus in der Schweiz. Das war die Geburtsstunde der Idee einer Schweizer Zigarette. Roger Koch begann danach mit Brüdern, Cousins und Freunden, eigene «Zigaretten» herzustellen: mit Kastanien- und Eichenblättern gefüllten Papierhülsen, verklebt mit handelsüblichen Klebestreifen. Der Rauchgenuss hielt sich in Grenzen, die Idee eines Schweizer Tabakprodukts blieb. Heute sind bereits zwei grosse Hallen angemietet. In der einen wird produziert, in der anderen stapeln sich der Tabak und weitere Rohmaterialien bis unters Dach. Dass die Fabrik mit ihren heute 25 Mitarbeitern seit Neustem den SUVA-Richtlinien untersteht, führte dazu, dass nun ein extra Pausenraum zur Verfügung steht, in welchem geraucht werden darf. In der Fabrik ist das im Zuge der Professionalisierung nun untersagt.
Der Start war unternehmerisch allerdings alles andere als einfach. «Ich hatte keine Chance, grössere Investoren für meine Fabrik zu finden», erinnert sich Roger Koch. Anstelle einiger wenigen, grossen wurden es dann viele kleinere Geldgeber. «Rückblickend betrachtet aber eigentlich ein Glücksfall. So konnten wir die Kontrolle über die Weiterentwicklung in eigener Hand behalten.» Anfangs war die Qualität des Produktes noch mangelhaft. Abbrechende Filter, Zigarettenpackungen mit zu wenig Zigaretten… «Ja, wir hatten Startschwierigkeiten in Sachen Produktion», bestätigt Roger Koch. Dies hing auch mit dem anfänglich knappen Budget für die
Produktionsmaschinen zusammen. Dass es wohl vorteilhafter gewesen wäre, damals mehr Geld für Maschinen in die Hand zu nehmen, darüber sind sich die beiden einig. Als die Probleme dann aber in den Griff genommen worden waren, stand schon die erste grosse Bestellung von «Heimat»-Zigaretten an. Coop und K-Kiosk nahmen das neue Schweizer Produkt in ihr Sortiment auf. «Damals habe ich lange Zeit Klinken geputzt und viel rumtelefoniert, um Vertriebspartner zu finden», erzählt Roger Koch. Dass es am Ende so gut geklappt hat, schreibt er einem unternehmerisch wertvollen Charakterzug seiner Person zu: «Ich bin ein Typ, der oft einfach mal macht». Auch deshalb ist er froh um die Unterstützung seines Bruders Björn, welcher eher der Planer und Feinoptimierer ist. «Wenn Roger die grossen Linien eines Projektes ausgetüftelt hat, beginnt meine Arbeit, während er seinen Erschaffensdrang an einem neuen Projekt auslebt», analysiert Björn Koch das Erfolgsrezept ihrer Zusammenarbeit.
The Evergreen: CBD Zigaretten von Koch & Gsell
Im Sommer 2017 gelang dem Unternehmen dann der grosse Coup. Auf dem Höhepunkt des CBD-Hypes brachte es sein neues Produkt auf den Markt: «Heimat Tabak und Hanf». Die CBD-Zigarette kann noch heute legal erworben werden und diese Möglichkeit wird oft genutzt, trotz des stolzen Preises von fast 20 Franken pro Packung. Bei Verkaufsstart sorgte die internationale Presse für ordentlich Werbung und Aufmerksamkeit. Es war die erste Zigarette ihrer Art, der Vertrieb jedoch nur in der Schweiz gestattet. Die Produktion vermochte die Nachfrage nicht im Ansatz zu decken. «Wir wissen, dass damals am Flughafen Altenrhein kurz ein Schwarzmarkt mit unseren CBD-Zigaretten entstanden ist, wo bis zu 50 Franken pro Packung gezahlt wurden», erzählt Björn Koch. Der Erfolg der grünen Zigarette hat aber auch Schattenseiten: «Wir werden oft nur mit der CBD-Zigarette in Verbindung gesetzt. Unsere beiden ersten Produkte, die helle und die dunkle Zigarette, sind im Vergleich fast unbekannt.»
Mittlerweile wurde die Produktpalette erneut ausgebaut. Eine Zigarette mit natürlicher Minze und verschiedene Drehtabake, sowie die beiden (nach den Grosseltern benannten) Hanfsorten «Ernst» und «Nelly» gehören dazu. Aufgrund des regulatorischen Umfeldes ist eine Expansion in den EU-Markt aber sehr schwierig. «Im kommenden Jahr wird in der EU ein Gesetz in Kraft treten, welches den Verkauf von Zigaretten mit Aromastoffen verbietet. Auch wenn sie, wie bei uns, natürlichen Urpsrungs sind», erklärt Roger Koch. «Wir erwarten aber ohnehin weiteres Wachstum auf dem Schweizer Markt». Für den Head of Marketing and Branding ist eines klar: In Zukunft muss die Marke «Heimat» auf dem Heimmarkt noch stärker mit den Attributen «schweizerisch» und «natürlich» etabliert werden. «Wir sind die einzige Schweizer Zigarette. Das müssen wir den Raucherinnen und Rauchern noch deutlicher kommunizieren», beschreibt Björn Koch die Stossrichtung seiner Arbeit. Das Attribut «Schweizer Zigarette» wird hierzulande noch von der eigentlich gar nicht mehr schweizerischen Zigarettenmarke «Parisienne» für sich beansprucht. Das Spiel um diesen Thron hat wohl erst begonnen.
Russland ist ein schönes Land
Natürlich wird während des Interviews kräftig geraucht. Das Schöne daran, wenn man eine Zigarettenfabrik besucht und porträtiert, sind die Zigaretten. Und erst noch so viele in all diesen verschiedenen Variationen. Nach der normalen Hellen, wird die Dunkle, etwas stärkere «degustiert». Die Minz-Zigi wiederum erfrischt, bevor dann der starke Hanf-Geruch der bekannten CBD-Zigarette das Ambiente dominiert. Im Verlaufe des Gesprächs fällt aber eine spezielle Schachtel auf: Die improvisierte Etikette mit der Aufschrift «Russian Summer 2.0» lässt einiges vermuten. «Nur zu. Das ist die neue für den russischen Markt», kommentiert Roger Koch, als er die Zigarette anbietet. «Sie ist aber ziemlich stark», fügt er hinzu. Wo er recht hat, hat er recht.
Da der EU-Markt für den Ausbau nicht taugt, liebäugeln die Unternehmer von Koch & Gsell mit Russland. «Wir denken, dass die Marke Schweiz auf dem russischen Markt Potenzial hat», erklärt Björn die Expansionspläne. Die gegenseitigen Besuche der russischen Vertriebspartner und der Schweizer Produzenten seien vielversprechend verlaufen; «Und ja, es musste viel getrunken werden», erinnert sich Roger Koch lachend. Auch wenn sein Bruder Björn noch einige Bedenken bezüglich des neuen Schritts hat, stehen beide dahinter. «Da ist halt wieder der Unterschied zwischen uns. Roger ist der initiative Macher. Ich bin dabei anfangs eher zurückhaltender und denke öfters an die Risiken eines solchen Schrittes. Aber das hat bis jetzt ja doch immer irgendwie zu einem guten Endresultat geführt», erklärt Björn die Stimmungslage. Und es stehen weitere und immer wieder grosse und noch grössere Entscheidungen an. «Die Herausforderungen und Chancen werden wachsen, wie die Fabrik auch», erklärt Roger die Lage. Mehrmals wurden bereits Übernahmeangebote abgelehnt. Für die Zukunft stehen vor allem grössere
Investitionen in die Produktions-
anlagen an. «Aber auch eine grössere Marketingoffensive wäre denkbar», führt Björn Koch die Pläne weiter aus. Ob das dafür nötige Kapital nicht vielleicht mit einem Börsengang beschafft werden kann? «Haben wir bereits abgeklärt. Ich will aber lieber nicht riskieren, die Kontrolle über die Firma zu verlieren», bestätigt Roger Koch noch einmal die Grundwerte der Firma «Koch & Gsell», die im Verlaufe des Gesprächs deutlich geworden sind: authentisch, organisch, schweizerisch und selbstbestimmt.