«Ich wollte immer ein Bein in der Praxis haben» – Profs privat mit Bernhard Ehrenzeller

Empathisch, enthusiastisch und gleichzeitig gelassen – diesen Eindruck hinterlässt der frischgebackene Rektor der HSG, Bernhard Ehrenzeller, bei uns. Voller Energie packt er die neue Aufgabe an, obwohl eigentlich bereits seine Emeritierung angestanden wäre.

Der frischgebackene Rektor beim Gespräch mit prisma.

Irgendwann HSG-Rektor zu werden war sicher nicht von Anfang an der Plan von Prof. Ehrenzeller. Auch alles andere auf seinem Lebensweg hat sich eher so ergeben, als dass es von Vornherein geplant war – so jedenfalls unser Eindruck, als er von seinem Werdegang erzählt.

Ans Gymnasium, um Agronom zu werden

Ursprünglich wollte Ehrenzeller nicht Rechts- sondern Agrarwissenschaften studieren, um ein «gescheiter Bauer» zu werden. Während seiner Zeit am Kollegium in Altdorf verbrachte er die Ferien wochenweise auf dem Bauernhof seines Onkels und war fest davon überzeugt, das Gymnasium aus dem Grund zu besuchen, um danach den Weg des Landwirts einzuschlagen. Als er dann aber merkte, dass Chemie und Physik nicht zu seinen Stärken zählten, hielt er Ausschau nach etwas anderem. Ein ihm bekannter Anwalt und zugleich Nationalrat im Kanton Uri riet ihm sodann, Jus zu studieren: «Dann hast du noch alles offen.» Offenbar hat ihn dieser Rat so überzeugt, dass er sich tatsächlich in das Feld der Rechtswissenschaften stürzte. Bereits anfangs Studium merkte er, dass ihn das Politische am meisten interessierte. Auch im Rahmen des Studiums habe sich schnell bestätigt, dass ihm das öffentliche Recht mehr liegt als das Privatrecht. Dabei hat es ihm besonders das Staatsrecht angetan, wobei er auch ein gewisses Flair für Völkerrecht habe.

Nach dem Lizenziat in Fribourg zog es ihn zurück in seine Heimat Solothurn, wo er das Anwaltspraktikum und anschliessend -patent machte. Er liess sich alle Wege offen: «Ich hätte mir sowohl eine juristische als auch politische Karriere im Kanton Solothurn vorstellen können.» Irgendwann merkte er jedoch, dass ihn ein Doktorat sehr reizen würde. Nachdem er mit seiner Dissertation begonnen hatte, bekam er ein Stellenangebot bei der Solothurner Verwaltung. Da unmittelbar die Revision der Kantonsverfassung hängig war, konnte er nicht umhin, das Angebot zu akzeptieren. «Es war eine grosse Sache und ich konnte dabei mitwirken.» Parallel dazu schrieb er seine Dissertation, welche in der Folge im Fachkollegium sehr gut ankam, weshalb er beschloss, auch noch zu habilitieren. Dennoch entschied er sich nicht für eine rein wissenschaftliche Karriere: «Ich habe mich nie als Wissenschaftler in Person gesehen, sondern wollte immer ein Bein in der Praxis haben.» Nach erfolgreicher Habilitation nahm er eine Stelle als persönlicher Mitarbeiter von Bundesrat Arnold Koller, einem ehemaligen HSG-Professor, an und blieb sechs Jahre. Nebst der durch die enge Zusammenarbeit aufgebauten persönlichen Beziehung entstand auch eine Verbindung zur HSG, bei der sich in der Folge ein neues Entwicklungsfeld und die Möglichkeit, seine Praxiserfahrungen hineinzubringen, ergab. So kam Prof. Ehrenzeller an die Uni St. Gallen.

Von der öffentlichen Verwaltung an die Universität

Auch heute sehen sich der Altbundesrat und er noch regelmässig. Als die Stelle als Rektor aktuell wurde, habe er seinen ehemaligen Chef ebenfalls um seine Meinung gefragt. Die Zeit im Bundeshaus hat ihn stark geprägt. «Man ist unmittelbar dort, wo Entscheidungen getroffen werden.» Zu sehen und zu verstehen, wie eine solche öffentliche Organisation funktioniert, helfe ihm nun auch als Rektor der HSG, denn «so verschieden ist das gar nicht». Er habe beim Bund gelernt, trotz Spannungen und Skandalen eine gewisse Ruhe zu bewahren. Zudem habe er als Mitarbeiter viel über die Führung in der öffentlichen Verwaltung gelernt: «Niemand kann das alles alleine machen, man ist angewiesen auf die Mitarbeitenden.» Deshalb sei ein guter Umgang miteinander absolut entscheidend, um deren Motivation und Zufriedenheit sicherzustellen. Diese Erkenntnis will er auch als Rektor mit einbringen.

Eine dynamische Persönlichkeit

Gemäss Ehrenzeller ist es zentral, den Rahmen für Innovationen zu schaffen. Selbst sei er zwar nicht die innovativste Person – «es gibt viel innovativere Leute an der HSG als mich» – aber dynamisch. Es sei wichtig, sich nicht auf den Lorbeeren der HSG-Vergangenheit auszuruhen, sondern nach vorne zu blicken und weiterhin positiv etwas zu gestalten: «Die HSG hat den Anspruch, führend zu sein. Dieser Anspruch lässt sich nicht nur mit vergangener Reputation erfüllen, sondern diese muss laufend erneuert werden.» Daher sieht er es als seine Aufgabe, weiterhin Innovation zu ermöglichen: «In dieser Position ist man nicht in einem halben Emeritierungszustand!» Man müsse erkennen, was in Zukunft auf uns zukommt sowie was im Hinblick darauf notwendig und auch sinnvoll für die Uni ist. In diesem Zusammenhang steht für ihn die Schaffung von Glaubwürdigkeit und einer Vertrauens- und Wortkultur im Vordergrund.

Gleichzeitig dürfe man auch die Vergangenheit nicht vergessen. In diesem Zusammenhang zeigt uns Rektor Ehrenzeller einen grossen, im Eingang des Rektoratgebäudes liegenden Kunstharzstein des Künstlers Wilhelm Mundt. Dieser ist gefüllt mit dessen Abfall. Ehrenzeller versteht den Standort des Steins als Appell – nicht umsonst liege dieser im Foyer des Rektorats. Vor allem die Leute des Rektorats sollen «darüber stolpern» und dadurch erinnert werden, dass teilweise auch die Taten von gestern noch Einfluss auf die Gegenwart haben können. Das Gleiche gilt mit Taten von heute in der Zukunft.

Diskurs, Vertrauen und Glaubwürdigkeit

Ganz im Sinne seiner Vision einer Vertrauens- und Wortkultur ist das Zuhören mehr als nur eine Aufgabe für ihn. Generell ist Ehrenzeller der Überzeugung, dass viele Leute etwas zu sagen haben. So war für ihn auch der Besuch des Studentenparlaments sehr interessant und lehrreich. Nicht nur bei der Studentenschaft, auch mit dem Verwaltungspersonal, Mitarbeitenden und Kolleginnen und Kollegen sei das reflektierte Verständnis anderer Ansichten absolut unabdingbar, um die richtigen Entscheidungen treffen zu können: «Es gibt viele Leute, die mehr Erfahrung in einem Bereich haben und auf die man hören muss.» Es sei wichtig, Vertrauen und Glaubwürdigkeit zu schaffen und diese Vertrauenskultur auch nach aussen zu tragen.

Überdies erhofft sich Ehrenzeller dadurch auch mehr Spielraum in der Politik, die wegen negativer Schlagzeilen in den vergangenen Jahren immer öfter denke, sie müsse vorschreiben, was an der HSG geschehen solle. Dies sei nicht gut, denn eine Universität dürfe man nicht gleich führen wie eine andere selbständige Anstalt oder Verwaltungsabteilung des Kantons. Vom neuen Universitätsgesetz wünscht er sich deshalb eine gute Rahmenordnung mit ausreichend Gestaltungsspielraum. Die Universität müsse dafür wieder mehr auf ihre regionale Verankerung eingehen und ihrer Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit mehr Aufmerksamkeit schenken. Dies vor allem durch eine stärkere öffentliche Diskursstruktur, die auch ausserhalb als solche wahrgenommen werden soll.

HSG-Kultur

Mit Blick nach innen, sagt er, gebe es nach wie vor eine HSG-Kultur, die aus wesentlich mehr als bloss studentischen Vereinen und Initiativen bestehe. So beispielsweise der Senat der Universität, ein in der Schweiz einzigartiges universitäres Organ. Dieser ist bis heute für Beschlüsse in allgemeinen universitären Angelegenheiten und den Antrag an den Universitätsrat bzgl. der Rektorwahl verantwortlich.

Auch der Umgang der Dozierenden untereinander spiele eine Rolle. Sich anzuspornen, offen zu kommunizieren, zuzuhören und zu vertrauen, sei essentiell. Diese Kultur werde intern überaus geschätzt und so sind Anlässe wie das alljährliche «Schneeglögglidinner», ein gemeinsames Essen der Dozierenden mit weit über hundert Personen, ein fester Bestandteil dieser Kultur, die er auch weiterhin pflegen und fortführen wolle. Als Student selbst war es Ehrenzeller persönlich immer wichtig, sich während des Studiums zu engagieren und er lobt die zahlreichen, grossartigen Aktivitäten und Angebote der HSG, vom Studentenparlament, über Start Summit, bis hin zu HSG-Talents. Diese Plattformen ermöglichen es den Studierenden, vieles zu lernen und von Gesprächen, Erfahrungen und persönlichem Engagement zu profitieren: «Einfach nur studieren, das ist nicht HSG».

Spaziergänge zum Nachdenken und Reflektieren

Im Privatleben ist die Familie ein zentraler Bestandteil für Ehrenzeller. Sie sei eine grosse Stütze – egal ob im Alltag oder in schwierigen Situationen. So habe er auch seinen Entscheid, Rektor der HSG zu werden, eingehend mit Frau und Kindern besprochen. Die Universität und die Familie seien nie zwei separate Welten, man nehme immer etwas von der Arbeit mit nach Hause. Deshalb sei es umso wichtiger, dass beides im Einklang und Einverständnis ist. Seine zwei Kinder, fügt Ehrenzeller lachend an, hätten beide keine Absicht, an der HSG zu studieren, schon gar nicht Recht. «Vielleicht haben sie davon schon zu viel mitgekriegt», witzelt er.

Nebst der Familie spielt auch die Natur eine wichtige Rolle in seinem Leben. Das Engadiner Bergdorf Sils Maria, welches er während seines eigenen Studiums durch Seminare kennengelernt hatte und später sogar selbst als Privatdozent mit Studierenden besuchte, ist daher sein bevorzugter Rückzugsort zur Erholung. Freiheit findet er vor allem bei langen Spaziergängen im Freien, die er zum Nachdenken und Reflektieren nutzt. Dabei habe er schon den einen oder anderen Vortrag einstudiert, Reden vorbereitet und sogar Teile seiner Dissertation entworfen. Nicht nur im Freien trifft man Prof. Ehrenzeller an, sondern auch an den Stehtischen der A-Mensa. Es sei ihm wichtig, dass die Leute sehen, dass der Rektor da ist: «Wenn jemand etwas besprechen will, soll er oder sie einfach am Tisch vorbeikommen.»

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