Ein wichtiges Signal für mehr Verantwortung, politisch und wirtschaftlich aber der falsche Weg
Contra von Patrick Sarzio
Dass das Handeln einiger Konzerne moralisch nicht zu verantworten ist und unterbunden werden sollte, ist unumstritten. Die Konzernverantwortungsinitiative spricht hier etwas an, vor dem sich Unternehmen und der Bundesrat zu lange weggeduckt haben. Das Problem: Sie weist den falschen Weg.
Betroffen von der Initiative sind nicht nur die oft nicht ganz zu Unrecht gescholtenen Grosskonzerne, sondern gerade viele KMU – es könnte sich um bis zu 80.000 handeln, von denen 80% unter zehn Mitarbeitern haben. Sollte eine Firma dieser Grösse sämtliche Lieferanten prüfen und dokumentieren müssen, bliebe nur der Rückzug aus dem entsprechenden Markt oder der Weg in die Insolvenz.
Dass diese Überprüfung nicht so einfach ist, wie oft beschrieben, zeigt das Beispiel Fairphone: Dieses Unternehmen, das sich die Produktion nachhaltiger Smartphones auf die Fahnen geschrieben hat, ist nicht in der Lage, die Herkunft sämtlicher Materialien zu dokumentieren. Selbst edle Absichten und ein auf Nachhaltigkeit ausgerichtetes Management garantieren diese nicht und schützen genauso wenig vor möglichen Klagen.
Gerade die Wirtschaft betroffener Länder dürfte daher unter der Initiative leiden. Wenn sich kleine Unternehmen fürchten müssen, für die Verfehlungen anderer geradestehen zu müssen, ohne darauf einen direkten Einfluss zu haben, werden sie sich unweigerlich aus risikobehafteten Regionen zurückziehen. Arbeitsplätze fallen somit entweder ganz weg oder werden durch ausländische Konzerne übernommen, die keinerlei Rücksicht auf die Menschenwürde nehmen.
Ebenso schwerwiegend dürften die politischen Konsequenzen der Initiative sein. Das Recht und seine Auslegung ist nicht die Angelegenheit der Schweiz, sondern des betroffenen Landes: Die Handlungen gingen von einem anderen Unternehmen in einem anderen Staat unter anderen Gesetzen aus. Die Schweiz wird somit nicht zu einem Verfechter globalen Rechts, sondern greift direkt in die Souveränität anderer Länder ein und suggeriert dabei, dass diese zur eigenständigen Regulierung und Gesetzgebung nicht in der Lage seien. Dies wiederum scheint mit der Schweizer Prämisse von Eigenständigkeit und Neutralität kaum vereinbar.
Die Schweiz ist kein Global Player und will auch keiner sein. Die Einwohnerzahl beträgt mit ca. acht Millionen gerade einmal ein sechzigstel der Einwohner Europas und ein Tausendstel der Weltbevölkerung. Die Initiative spricht reale Probleme an, setzt aber auf einen nationalen Alleingang, der kaum in der Lage sein wird, das Problem zu lösen. Es braucht dazu eine gemeinsame, globale Kraftanstrengung.
Ein Ablehnen der Initiative führt hier nicht ins Leere, der indirekte Gegenvorschlag tritt danach automatisch in Kraft. Er greift die guten und wichtigen Punkte der Initiative auf, setzt aber auf internationale Kooperation im Rahmen der EU statt nationaler Alleingänge und nimmt KMU aus. Er beinhaltet eine Berichterstattungspflicht für Publikumsgesellschaften und grosse Finanzinstitute mit über 500 Beschäftigen im Bereich Umwelt, Sozial- und Arbeitnehmerbereiche. In Bezug auf Konfliktmineralien und Kinderarbeit geht der Gegenentwurf sogar weiter und verpflichtet zu einer jährlichen, öffentlichen Berichterstattung über die Erfüllung der Sorgfaltspflichten. Die Haftungsfrage ändert sich durch den Gegenentwurf nicht – da aber gerade grosse Unternehmen zur Sorgfalt verpflichtet werden, ist eine Erfüllung dieser Sorgfaltspflicht auch tatsächlich im Bereich des Möglichen.
Die KVI als starkes Zeichen für Verantwortlichkeit, Menschenrechte und Umweltschutz
Pro von Sven Schumann
Das Ziel der KVI ist unbestritten und von keiner Interessensgruppe oder Partei ernsthaft in Frage gestellt: Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass Schweizer Konzerne grundlegende und international anerkannte Menschenrechte auch bei ihren Tätigkeiten im Ausland einhalten müssen. Auch, dass gegen diesen Grundsatz verstossende Konzerne dafür juristisch verantwortlich gemacht werden sollten, ist unumstritten. Der Abstimmungsstreit dreht sich deshalb für einmal nur um die Frage, ob die Initiative die richtige Lösung für das allerseits anerkannte Problem sei. Da vom Ziel der Initiative niemand mehr überzeugt werden muss, konzentriert sich die Pro-Argumentation vor allem auf die Entkräftung der von den Initiativgegnern vorgebrachten Vorbehalte und Warnungen, wie in der Folge exemplarisch gezeigt wird.
Aus dem Lager der Initiativgegner ist zu hören, dass die Annahme der Initiative eine Klagewelle herbeiführe, die nicht nur über Konzernen, sondern auch über unseren KMU einbrechen würde und so den Schweizer Wirtschaftsstandort angreife. Dass dieses Argument einem Faktencheck nicht standhält, wird bei der Betrachtung des Initiativtextes und dem Schweizer Rechtssystem klar. Während der Initiativtext kleinere und mittlere Unternehmen explizit ausnimmt, bietet unser Rechtssystem denkbar schlechte Voraussetzungen für solche Klagen, wie wir sie zum Beispiel aus amerikanischen Filmen kennen. Das Risiko eines Prozesses ist hoch und teuer, die Schweiz kennt keine Sammelklagen und die Zusprechung von Schadenersatz erfolgt traditionell in sehr konservativem Rahmen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu solchen Klagewellen kommen wird, ist deshalb klein. Spitzzüngig kann sogar der Standpunkt vertreten werden, dass der Schweizer Wirtschaftsstandort nach «Cryptoleaks», Bankenskandalen und bekanntgewordenen Unternehmenspraktiken wie beispielsweise von Nestlé und Glencore nur gewinnen kann, wenn die Schweiz für einmal verantwortungsbewusst voranschreitet.
Spannend ist die Frage, wie sich die Initiative konkret auf arme Länder mit Schweizer Unternehmenspräsenz auswirken würde. Gegner der Initiative, weisen darauf hin, dass sich Schweizer Unternehmen aus den Gebieten zurückziehen könnten und ihr Platz von internationalen Unternehmen aus Ländern eingenommen werde, die nicht für ihre grosse Begeisterung für Menschenrechte bekannt sind. Diese Argumentation ist zynisch, da sie die Übeltaten mit Schweizer Beteiligung verharmlost und somit auch legitimiert. Ausserdem lässt sie ausser Acht, dass die Geschäfte wirtschaftlich viel zu lukrativ und im Falle der Rohstoffbranche auch standortgebunden sind. Sprich ein Unternehmen wie Glencore kann und wird sein Kupfer oder Silber nicht fortan in den Schweizer Alpen schürfen, sondern sich gegebenenfalls anpassen müssen.
Am 29. November wird sich zeigen, ob es dem breiten, überparteilichen und weit ins bürgerliche Lager reichenden Bündnis gelang, auch die übrigen Vorbehalte der Gegner zu entkräften und das Abstimmungsvolk ein starkes Zeichen für Verantwortlichkeit, Menschenrechte und Umweltschutz setzen konnte.