A Workaholic’s Paradise

Man kann es nur als vermessen bezeichnen, sich nach knapp mehr als einer Woche Aufenthalt in einem Land ein Urteil über dessen Bewohner zu erlauben. Da ich aber kaum viel länger – nämlich insgesamt zwei Wochen – dort sein werden, muss ich mich der imperialistischen Arroganz des Europäers doch hingeben und schicke wenigstens die Warnung voraus, dass die folgenden Ausführungen zu meinen aktuellen koreanischen Mitbürger von Verallgemeinerungen und fehlender empirischer Validität geprägt sind.

Diese „Insel“ in Ostasien (eigentlich Halbinsel, aber Nordkorea ist schwerer zu durchqueren als das Meer)  ist von ca. 50 Millionen arbeitswütigen Langweilern bevölkert. So arrogant dies klingen mag, zumindest der durchschnittliche Arbeiter ist wirklich so: Gearbeitet wird gut und gerne mehr als 70 Stunden in der Woche, wobei zu betonen ist, dass diese Überstunden in den seltensten Fällen voll bezahlt werden, Urlaub wird keiner bis sehr wenig genommen und die restliche „Freizeit“ wird in fast schon zwanghafter Abgeschiedenheit mit der Familie verbracht. Und was bedeutet das nun genau für den Alltag?

Feierabendbier mit Kollegen? Sicher nöd! Frau und Kinder warten zu Hause (von denen die meisten Koreaner innerhalb kürzester Zeit exakt zwei zeugen), ein privater Kontakt mit den Arbeitskollegen ist nur in Ausnahmefällen möglich und eigentlich auch nicht gewünscht. Alle Bildschirmhintergründe, die ich bisher gesehen habe, ob Telefon oder PC, zieren Fotos der eigenen Kinder. Erstes Gesprächsthema sind sodann auch die Kinder, wie viele, wie alt und was sie tun. Dieselben Szenen, die sich in Europa im Nähclub und an Tupperwarepartys abspielen, finden sich in Korea am Kantinentisch. Eine weitere Manifestation dieser Abschottung ist die Tatsache, dass 99% der koreanischen Autos verdunkelte Scheiben haben und somit sogar auf der Strasse die Familie vor fremden Blicken abschirmen.

2011-07-21 12.03.15

Letzte Woche hat mir unser Accounting Manager bei meinem Training stolz von seiner Beförderung erzählt und ausgeführt, dass jeden Montag das Reporting an die Holding nach Europa geschickt werden muss. Folglich ist er seit Antritt seines neuen Postens noch nie an einem Montag im Urlaub gewesen. Auf meinen etwas erstaunten Blick hin erklärte er mir, dass er seinem Vorgesetzten keine zusätzliche Arbeit aufbürden wolle. Ausser natürlich, ein nationaler Feiertag falle auf einen Montag, da müsse er sich ja freinehmen. Die Chancen stehen dazu nicht schlecht, schliesslich gibt es in Korea 12 davon.

Südkorea also bevölkert von pflichtbewussten Workaholics? Nicht ganz, denn der klassische Workaholic, wie wir ihn an der HSG beigebracht bekommen, braucht den Stress und das Adrenalin, wie die Luft zum Atmen. Koreaner kennen meiner Meinung nach aber keinen Stress bzw. haben es gelernt ihn zu umgehen und zelebrieren ihn auch nicht wie der durchschnittliche europäische Manager. Ich habe bis jetzt noch keinen gehetzten Koreaner gesehen, nicht morgens, nicht im Feierabendverkehr, noch nicht einmal im Büro. Ein Volk also von ruhigen, konzentrierten und arbeitsamen Familienmenschen, deren liebste Freizeitbeschäftiguneng Golfen und Wandern sind (Korea ist der wichtigste Absatzmarkt für Bergsportbekleidung), deren absolutes Highlight ein Besuch im „Everland“ ist? Das kommt ganz gut hin.

2011-07-23 13.21.06

Irgendwie erinnert einen Südkorea in gewissen Dingen an die Schweiz: Neben der ausgeprägten Disziplin, Genauigkeit, Ruhe und Liebe zu den Bergen, haben beide Länder einen ungeahnten Enthusiasmus wenn es um heimische Produkte geht, speziell Fleisch. Denn, dass kann ich euch sagen: Das koreanische Beef ist das beste Fleisch der Welt, zumindest kriege ich das jeden Tag aufs neuen von meinen wechselnden Lunch-Partnern bestätigt. Und was dem Schweizer sein Käse, ist dem Koreaner sein Gimchi. Ein vergorenes Gemüse (meist krautähnlich) das er zu jeder Mahlzeit und zu jeder Tages- und Nachtzeit essen kann und will.

Abseits von diesen Klischees und Überspitzungen, zeigt sich eine Bevölkerung, die sich freundlich lächelnd und respektvoll gibt und bemüht ist, in diesen vor Globalisierung rauschenden Zeiten die eigene Kultur und Tradition nicht zu verlieren. Aus diesem Grund wird wahnsinnig viel Wert auf Stolz und Ehre gelegt (sodas schon zig Politiker, Prominente und Manager vor dem Gesichtsverlust in den Freitod geflüchtet sind), gemischt mit einer kräftigen Portion Disziplin, Verantwortungsgefühl und Selbstkontrolle, die zwar zu einer Menge unterdrücktem Frust führt, aber dafür am Wochenende mittels befreienden Schreien auf den Bergen abgebaut wird. Eine sehr stolze und ehrwürdige Kultur also, die mich in dem zweiwöchigen Aufenthalt sehr fasziniert hat und von der man sich als Europäer auf jeden Fall etwas aneignen sollte. Der Wert der eigenen Familie und der eigenen Integrität scheint mir nämlich in unseren Breiten zunehmend verloren zu gehen.

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