Wie bei euch, so hat nun auch bei mir die Lernphase begonnen: Seit einer frühen Tagwacht am Montagmorgen war all mein Tun und Denken nur einem Ziel gewidment: Meine gesamte Prüfungsarbeit und -vorbereitung bis zum Freitagabend zu erledigen. Um genauer zu sein: Drei Essays, eine längere Arbeit über die Rolle von Religion im japanischen Staatsbildungsprozess (ist tatsächlich spannender als es klingt), Recherche für eine Debatte über Walfangverbot (ist leider langweiliger als es klingt), Wiederholung des gesamten International Security Stoffes (immerhin 11 umfangreiche Kapitel mit je zwei haarsträubend streitbaren Diskussionspunkten), Recherche für eine Gruppenarbeit über Idols (war nicht meine Idee) und nicht zuletzt Repetition des gesamten Japanisch-Materials (12 Grammatik-Kapitel, etwa 400 Vokabeln, und 200 Kanji).
Es ist Freitagabend, 21.15, und ich erkläre mein Vorhaben für gescheitert. Die Essays und Arbeit stehen, den Rest hab ich etwas unsystematisch überall ein wenig angefangen.. Warum, werdet ihr euch jetzt vielleicht fragen, der ganze Stress? Prüfungen sind nämlich erst in zwei Wochen. Die Gründe für die Eile sitzen gerade im Flugzeug und sind auf dem Weg hierher: Meine Geschwister kommen zu Besuch, und morgen Samstag werd ich hoffentlich pünktlich am Narita International Airport stehen und sie abholen. Darauf freue ich mich seit der spontanen Bekanntgabe, und nichts soll die Freude trüben, schon gar nicht schnöde Prüfungsvorbereitung. Deshalb der strenge Plan, während all meine Freunde hier die Beine baumeln lassen und ausspannen. Okay, natürlich hab ich nicht pausenlos gerackert, das war nur schon wegen meiner Raumtemperatur unmöglich. Abwechselnd hab ich mich mit heissem Tee und Wohnheim-Spaziergängen aufgewärmt. Obwohl ich jetzt nämlich widerstrebend die Klimaanlage benutze (die man auf warm stellen kann, so dass sie wie ein riesiger Fön warme Luft ins Zimmer bläst), wird es nicht gross wärmer. Aber zum Glück kann man sich auch viel besser konzentrieren wenn es kalt ist. Von dem her hätte ich mehr schaffen müssen in den fünf Tagen, obwohl mein Plan natürlich von vornherein nicht umsetzbar war. Aber man sollte seine Ziele besser zu hoch als zu niedrig stecken. Nur so kann man sich selbst übertreffen.
Aber bevor ich noch mehr halbphilosophische Weisheiten von mir gebe, erzähle ich euch noch von den letzten zwei Wochen. Zuerst einmal wäre da die Neujahrs-Party des International Center der Hosei Universität. Wir Austauschstudenten und auch unsere japanischen Freunde waren herzlich eingeladen, den Samstagnachmittag 17. Dezember hoch oben im Boissonade Tower bei Speis und Trank zu verbringen. Für Programm und Unterhaltung war ausreichend gesorgt. Unglücklicherweise war die Tafel schon gedeckt als wir ankamen, so dass während der einleitenden vier Reden die Blicke öfter zum reichhaltigen Buffet wanderten als in Richtung Sprecher.

Allerdings verstanden wir auch nicht gerade viel, da alles Japanisch war. Trotzdem schämte ich mich etwas für einige meiner Mitstudenten, die sich nicht einmal die Mühe machten, sich leise zu unterhalten, so dass der Geräuschpegel ziemlich laut war, und die Redner sich kaum dagegen behaupten konnten. Danach kam das grosse Drängeln am Buffet, und wie immer konnte man sein hart erkämpftes Essen kaum verspeisen, weil man ununterbrochen in Konversation verwickelt wurde. Es war aber äusserst unterhaltsam, und als dann auch noch einige unserer japanischen Freunde eine recht lustige Tanznummer aufführten, war die Stimmung definitiv auf dem Höhepunkt. Abkühlung kam mit dem nächsten Programmpunkt: Der Ouendan Club hatte 10 Mitglieder abkommandiert, uns ihr Können zu zeigen. Bei einer Ouendan Performance gibt es üblicherweise Mädchen, die eine Art Cheerleader-Choreographie tanzen, zu der sie Parolen rufen. Meist wird auch eine grosse Pauke geschlagen. Das Beeindruckendste sind aber die männlichen Darbieter, die mit aller Kraft (!) unverständliche Parolen schreien (es ist wirklich zum erschrecken), grimmig dreinblicken, und blitzartige Bewegungsabfolgen vollführen, die an eine Mischung aus Militärparade und Kampfsport erinnern. Ich wusste nicht genau, ob ich erschrocken, erstaunt, begeistert oder belustigt sein sollte, auf jeden Fall aber war ich beeindruckt. Zum Schluss erhielten wir alle ein Geschenk (einen edlen Schreibblock mit passendem 4-farbigem-Kugelschreiber mit integriertem Minenbleistift), und recht früh war der Spass schon wieder vorbei.

Tags darauf ging es zum wiederholten Male nach Asakusa, meinem Lieblingsort in Tokyo, diesmal mit Jessica. An diesem Sonntag wurden in der Nakamise nämlich spezielle, reich geschmückte Holzschläger verkauft. Die sind eigentlich Bestandteil eines Ballspiels, nicht aber die hier angebotenen hübschen Exemplare. Die sind wohl einfach zum anschauen, oder bringen vielleicht Glück, ich weiss nicht genau. Natürlich gab es für das Auge des Touristen mal wieder Nahrung in Hülle und Fülle, traditionelles Handwerk vom Feinsten:
Wie immer auch mit ein paar kreativ-modernen Ausnahmen, hier Lady Gaga:

und Mona Lisa:

und eine Spielerin der japansichen Frauenfussball-Nationalmannschaft (die dieses Jahr ja die WM gewonnnen hat):

Ja, die restlichen Tage bis Weihnachten bildeten den Abschluss des Uni-Semesters, und waren geprägt von den bevorstehenden Weihnachtstagen: Ich bastelte fleissig Weihnachtsgeschenke für meine Freunde; hier seht ihr das stolze Resultat: Falls ihr nicht wie die meisten Austauschstudenten (und Japaner natürlich ebenso) eingefleischte Ghibli-Filme-Fans seid, hier die Erklärung: Das sind aus Socken genähte Waldgeister ähnlich Totoro aus dem Film ‘Tonari no Totoro’ (Mein Nachbar Totoro), jeweils in der Lieblingsfarbe des jeweiligen zu Beschenkenden:

Weihnachten selber war äusserst vergnüglich. Jessica und ich hatten keine Lust gross Party zu machen wie einige andere das vorhatten, sondern wollten lieber wie wirs uns gewohnt sind einen gemütlichen, ruhigen Abend geniessen. Was brauchts dazu? Gute Unterhaltung, feines Essen und ein weihnachtlich wohlig-warmes Ambiente. Also gingen wir zuerst zu einer Einkaufsmall, kauften uns vom Kuchenbuffet was das Herz begehrte, steuerten noch ein paar Weihnachtsguetzli bei, verlegten das Ganze in Jessicas Zimmer (sie bringt die Temperatur auf stolze 27°). So schauten wir uns fünf Filme an, wobei wir gegen Ende immer weniger schauten und vielmehr über tausend Dinge redeten, und stellten die Nahrungsmittelpyramide auf den Kopf indem wir uns nur von Kuchen, Torte, Zimt-Schokolade, Guetzli, einem Schoko-Panettone, mit Vanillecreme gefüllten und Schokoguss überzogenen Cremerollen, Lebkuchen und immerhin einem grossen Krug Kräutertee ernährten. Es war herrlich, und wir spürten keine Reue ab der zugegebenermassen etwas unvernünftigen Völlerei.

Ich wünsche euch allen ein tolles 2012! Möge euch das neue Jahr viel Erfolg bringen (es ist das Jahr des Drachen!), und natürlich Freude und Zufriedenheit.
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MEHR DAZU