Das Semester ist wieder zu Ende und schon ist man schon wieder mitten in der Prüfungsvorbereitung. Manche schwitzen Blut, fühlen sich gepeinigt vom ewigen Quälgeist, dem Gewissen, und sehnen sich nach einer Nacht, in der sie sich endlich wieder in ihr Bett legen können, ohne an die kommende Prüfung denken zu müssen, ohne diese Pein der immer währenden Stimme im Hinterkopf, die fies grinsend flüstert: Hast du schon genug gelernt? Bist du wirklich vorbereit? Wären es aber nur die Fragen! Hämisch hält die Stimme jede Nacht fest, dass man eigentlich noch nichts weiss. Man möchte sich losreissen von diesem Hohn. Man sehnt sich nach Ruhe. Eine neue Facebook-Gruppe könnte diese Sehnsucht lindern, denn sie bietet das, was die Universität nicht kann, oder will: Musterprüfungen. Selbsthilfe 2.0 sozusagen.
Es ist dies eine seltsame Zeit, die ihre ganz eigenen Blüten treibt. Schlafmangel, Nervosität – und einige Studierende tragen auch Kopfwunden davon: Das St.Galler Tagblatt berichtete am 8. November 2010 von einem Studenten, der seine Nachbarn um ein wenig Ruhe bat und ein Kopfwunde fand. «Bei einem Nachbarschaftsstreit sind am Sonntagabend ein 27-jähriger Student und ein 44-jähriger Mann verletzt worden. Der Student trug eine Kopfverletzung davon, sein Kontrahent eine Bisswunde am Arm. Der 27-jährige Student wollte gemäss Mitteilung der Stadtpolizei lernen, wurde aber durch Lärm aus der Nachbarwohnung gestört. Als der Student um mehr Ruhe und Rücksicht bat, geriet er mit dem 44-jährigen Nachbarn in einen handfesten Streit. Als die Polizei eintraf, blutete der Student am Kopf, der Nachbar hatte eine Bisswunde am Arm.»
Damit sowohl der Quälgeist leiser als auch die Kopfwunden weniger werden, bietet die Universität einige Stützen für die Prüfungsvorbereitung. Insbesondere Studierende im Assessmentjahr und solche auf der Bachelor-Stufe können von Prüfungen und deren Musterlösungen profitieren. Während das Angebot an Prüfungen für die Assessment-Studierenden recht reichhaltig ist, müssen sich die Bachelor-Studierenden mit einem sehr kargen Menü zufrieden geben: Eine Marketing-Prüfung aus dem Jahr 2003; eine Makro-III-Prüfung, ebenfalls aus dem Jahr 2003; einige Prüfungen aus dem Major Rechtswissenschaften.
Obschon zahlreiche Dozierende und Studierende über Beispielprüfungen oder auch ältere Prüfungen verfügen, gibt es keine zentrale Stelle – oder zumindest Internetseite – die diese Dokumente sammelt, speichert und den unter Schlafmangel leidenden Nervenbündel zur Verfügung stellt. Weil man nicht will, dass diese Prüfungen im ewigen Gedächtnis des Internets gespeichert werden, da man sonst jedes Jahr an neuen Fragen tüfteln müsste und den alten Multiple-Choice-Fragebogen zu überarbeiten hätte. Oder weil man – didaktisch sehr wertvoll – die Studierenden dazu ermutigen will, sich eigene Fragen zu überlegen und kein vorgekautes Prüfungsschema auswendig zu lernen.
Ganz so düster scheint die Realität aber doch nicht zu sein. Einige Studierende haben sich der gegenseitigen Liebe und Unterstützung verpflichtet und die Facebook-Gruppe “Sharing is caring” gegründet. Gemäss eigenen Angaben soll die Gruppe zu einer Community wachsen, die sich gegenseitig in zahlreichen Bereichen unterstützt. Wer Interieur für seine neue WG sucht oder Lust auf einen Tapetenwechsel, wer eine Mitfahrgelegenheit in die Heimat sucht oder den Drang verpürt, ein Quartett im Auto anzustimmen, wer Stress vor der Prüfung hat, wem K-Karten zu teuer sind, der soll hier richtig sein.
Natürlich ist das eine interessante Idee – auf besonderes Interesse stiess sie bisher allerdings noch nicht. Mittlerweilen hat sich die Mitgliederzahl verdoppelt, von rund 500 auf über 1000 Mitglieder. Es scheint zwar kein besonderes Interesse an alten Möbeln zu bestehen, oder an der Beantwortung von grösseren und kleineren Lebensfragen. Wenn aber auf einmal alte IMT-, Wirtschaftsrecht- oder andere Prüfungen «geshart» werden, dann wird die Plattform gestürmt.
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