Virgin Tales

Der Film beginnt mit dem Segnen der Kinder durch den Vater zu Weihnachten. Die neunköpfige Wilson-Familie ist eine Vorzeigefamilie evangelikaler Christen. In “Virgin Tales” wird das Leben der Familie geschildert. Im Speziellen liegt der Fokus der Regisseurin dabei auf dem Keuschheitsgelübde der Kinder, keinen Sex vor der Ehe zu haben. Was grundsätzlich ein vertretbarer Ansatz wäre, erhält aber eine irritierende Komponente, wenn man erfährt, dass die Jugendlichen ihren Glauben noch konservativer auslegen als ihre Elter und nicht nur mit ihrem ersten Mal, sondern auch mit ihrem ersten Kuss bis zur Hochzeit warten.

Vom Alltagsleben der Familie, über die beruflichen Reisen des Vaters, bis hin zum Purityball, der alljährlich stattfindet, werden praktisch alle Aspekte des Lebens der Wilsons aufgezeigt. Dabei werden Aufnahmen durch ein Kamerateam mit Eigenaufnahme der drittältesten Tochter und Nachrichtenzusammenschnitten gemischt. Die Mission der Familie, Keuschheit und Moral wieder aufleben zu lassen, wird dabei in den landesweiten Kontext der Teaparty-Bewegung gestellt und zeigt auch dadurch die weitgreifenden Folgen der radikalen Strömung dieser Glaubensrichtung auf.

Und auch wenn die Ansätze dieses Glaubens, Moral und Anstand hochzuhalten und sich “anständig” zu benehmen, in der heutigen Zeit als durchaus erstrebenswert erscheinen, kann man sich manch ungläubiges Kopfschütteln während der Vorstellung nicht verkneifen. So zum Beispiel, wenn die Väter am Purityball schwören, die Unschuld ihrer Töchter zu beschützen und sie, bei ihrem Versprechen bis zur Ehe jungfräulich zu bleiben, zu unterstützen. Das Kopfschütteln wird bei den daran anschliessenden Tanzszenen und den Reden einzelner Töchter sogar noch stärker. Aber nicht nur Ungläubigkeit, sondern auch Beklemmung beschleicht einen während des Kinobesuchs. So scheint das Verhältnis der Familienmitglieder zueinander sehr warm und herzlich, aber leider wirkt das Gesagte oft wie leere Worthülsen, die nur dazu dienen sollen, noch emotionaler zu demonstrieren, wie sehr man die anderen Familienangehörigen wertschätzt.

Der Film gewährt einem somit spannende, wenn auch irritierende Einblicke in eine fremde Welt, die für rund einen Viertel der US-Amerikaner den Alltag darstellt. So bleibt einem speziell die Aussage der filmenden Tochter im Gedächtnis, die nicht einsieht, warum sie Geld in ihre Ausbildung investieren sollte, wenn sie bereits weiss, dass sie Hausfrau und Mutter werden will.

Auch wenn zeitweise gewisse Längen auftreten, ist Virgin Tales eine sehenswerte Dokumentation, die keine offene Kritik übt, aber durch gezielte Fragen und Zusammenschnitte zum Denken anregt. Virgin Tales läuft unter anderem im Kinok in St. Gallen, sowie in Bern, Zürich und Basel.

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