18 Tage in Richtung Sicherheit

Im 11. Jahrhundert entstand die Route des wohl berühmtesten Pilgerwegs. Der Jakobsweg in Spanien zieht jährlich mehr als 100’000 Gläu-bige an. Im letzten Jahr bestritten 183’366 Pilger den Weg zum angeblichen Grab des Apostels Jakobus. prisma unterhielt sich mit Regula Senn, die erst kürzlich den Jakobsweg beschritt.

Du bist 24 Jahre alt und glaubst nicht an Gott. Wieso bist du dann den Jakobsweg gegangen?

Einen bestimmten Grund gibt es dafür nicht. Ursprünglich plante ich eine andere Reise. Meine Pläne fielen dann aber aus verschiedenen Gründen ins Wasser. Da ich gerne wandere, habe ich mich spontan für diese Reise entschieden.

Du warst zweieinhalb Wochen alleine unterwegs. Ich stelle mir das sehr einsam vor.

Ich denke «einsam» ist ein falscher Begriff dafür. Alleinsein ist ein treffenderes Wort, denn einsam war ich nie. Ich habe das Alleinsein bewusst gesucht. Mein Handy war beispielsweise nur einmal die Woche kurz eingeschaltet.

Ich würde aber lügen, wenn ich behaupten würde, die zweieinhalb Wochen seien stets positiv verlaufen. Der Weg war manchmal sehr schmerzhaft und es gab Momente, in denen ich mich miserabel gefühlt habe. Aber es sind viele andere mit dir unterwegs. In schlechten Momenten trifft man Menschen, die es verstehen, einen aufzuheitern.

Den Jakobsweg ganz alleine zu bestreiten, ist ein intensives Erlebnis. Hat dich das verändert?

Diese Frage ist so kurz nach der Reise schwer zu beantworten. Spontan würde ich sagen, dass es mich nicht verändert hat. Doch gelernt habe ich vieles. Ich bin ein sehr nachdenklicher Mensch: Ich denke an tausend Dinge und bin stets im Ungewissen, was den nächsten Tag anbelangt. Während ich gewandert bin, habe ich zum ersten Mal nicht an morgen gedacht. Denn es war eben wichtig, dass ich heute diese bestimmte Etappe laufe. Das hat mir auch geholfen, Sicherheit über Entscheidungen zu erlangen, die ich im Vorfeld getroffen habe.

Gab es einen Moment, der dir im Besonderen in Erinnerung geblieben ist?

Das war, als ich eine Schnellstrasse entlanggelaufen bin und mich erbärmlich gefühlt habe. Da war ein Strassenschild mit der Aufschrift: «When I walk by myself. I am never alone. I miss you and I love you. I walk for you.» Da habe ich mich gefragt: Für wen würde ich laufen?

Für wen bist du gelaufen?

Ich bin für mich gelaufen. Aber in diesem Augenblick habe ich mich meiner Familie sehr nahe gefühlt.

Bevor du den Jakobsweg gewandert bist, warst du nicht gläubig. Hat sich da etwas geändert?

Nein, absolut nicht. Die Reise hat mir höchstens die Sicherheit gegeben, dass ich wirklich nicht an Gott glaube. Aber eigentlich würde ich sehr gerne an ihn glauben, da ich der Meinung bin, dass das Leben dadurch einfacher wird und man sehr viel Kraft daraus gewinnt. Aber irgendwie bin ich unfähig, an ihn zu glauben.

Der Jakobsweg ist sehr beliebt unter Touristen. Hat dich der Kommerz rund um den Pilgerweg nicht gestört?

Lediglich die letzten 100 Kilometer des Jakobsweges werden kommerziell genutzt. Auf dieser Etappe hat es auch sehr viele Wanderer. Die meisten von denen reisen mit dem Bus bis eingangs Dorf und steigen am Ende des Dorfes wieder in den Bus. Ich habe mich eher über diese Leute geärgert als über den Kommerz. Das sind Menschen, die eine Sache nicht richtig machen wollen oder können und doch nicht die Finger davon lassen. Das heisst, dass sie sich nie spüren werden auf dem Weg, denn es ist wichtig, auch die schlechten Momente im Leben voll auszukosten.


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