«Als Rechtsmediziner wird man manchmal als Exot wahrgenommen.»

Roland Hausmann ist Chefarzt und Leiter des Instituts für Rechtsmedizin (IRM) am Kantonsspital St. Gallen. Seit vergangenem Herbstsemester unterrichtet er zudem im Rahmen des Kontextstudiums an der Universität St. Gallen. prisma hat sich mit ihm in seiner Wohnung am «Gipfel» des Rosenbergs zum Interview getroffen.

Es ist April und der St. Galler Frühling schöpft aus dem Vollen. Bei wolkenverhangenem Himmel und angenehmen neun Grad nehmen wir den Aufstieg zu Roland Hausmanns Wohnung auf dem Rosenberg in Angriff. Gefühlte 300 Stufen später erreichen wir den Höhenweg und werden vom Professor für Rechtsmedizin in die gute Stube gebeten.

Die Wohnung wirkt auf den ersten Blick geräumig und gut eingerichtet. Es gibt eine grosszügige Küche, einen einladenden Esstisch und aus dem Wohnzimmer erhaschen wir einen Blick auf die Ecke, die ganz eindeutig dem Nachwuchs gewidmet ist. «Am 20. August des vergangenen Jahres haben wir unsere Tochter bekommen. Sie ist momentan mein grösstes Glück», erklärt uns Roland Hausmann. Die Stube kennzeichnet sich durch ein volles Bücherregal sowie zwei einladende, crèmefarbene Sofas, auf denen wir es uns bequem machen und den Professor zum Interview bitten.

In der Rechtsmedizin hängengeblieben

Nach dem Medizinstudium begann Roland Hausmann an der Universität Erlangen-Nürnberg seine Weiterbildung zum Facharzt für Rechtsmedizin, die er 1996 abschloss. Danach widmete er sich als Oberarzt vermehrt der Wissenschaft, was im Jahr 2000 zur Habilitation und damit zum Erwerb der Lehrbefugnis führte. Weitere bedeutende Schritte in seiner Karriere waren der Wechsel ans Institut für Rechtsmedizin der Universität Basel im September 2007 und schliesslich die Berufung zum Chefarzt am IRM des Kantonsspitals St. Gallen.

Interessant dabei ist, dass für den heutigen Leiter des IRM die Rechtsmedizin nicht immer das Ziel seiner Karriere war. «Zu Beginn meines Studiums wollte ich eigentlich eine Ausbildung in einem klinischen Fach wie Innere Medizin oder Chirurgie absolvieren», schildert uns Roland Hausmann. Sein Interesse sei erst während des Studiums geweckt worden. Bei der Suche nach einem Thema für die Doktorarbeit stolperte er sinnbildlich über die Rechtsmedizin und blieb dieser dann treu – nicht zuletzt, weil ihm sein damaliger Doktorvater vertiefte Einblicke in das Fach ermöglichte und später eine Stelle vermitteln konnte.

Gekoppelt an seine leitende Funktion am Kantonsspital unterrichtet der Rechtsmediziner im Kontextstudium auf Masterstufe an der Universität St. Gallen. Den Kurs bot er im vergangenen Herbstsemester zum ersten Mal an und war vom Ansturm begeistert. Eine Erklärung für diesen Erfolg könnte darin liegen, dass uns in TV-Serien wie CSI beinahe täglich vorgeführt wird, wie Morde innerhalb von 45 Minuten aufgeklärt und Täter dingfest gemacht werden – und das zum Teil mit sehr skurrilen Methoden. Auch das Berufsbild des Rechtsmediziners wird durch solche Serien geprägt. So kommen möglicherweise ganz unrealistische Vorstellungen zustande: «Als Rechtsmediziner wird man in der Öffentlichkeit manchmal als Exot wahrgenommen.» Während sich die Tätigkeit in der TV-Rechtsmedizin fast ausschliesslich auf die Untersuchung von Tatopfern beschränkt, ist das Fach in der Realität sehr viel umfassender und abwechslungsreicher. Das Spektrum reicht von der klassischen Rechtsmedizin, die dem Laien am besten bekannt ist, über Toxikologie und Forensische Genetik bis hin zur Verkehrsmedizin. Diese Vielfalt ist das, was dem Dozenten denn auch besonders gefällt.

«Kleine» Fälle können gross sein

Der Weg zu seiner aktuellen Position sei aber nicht immer ein Zuckerschlecken gewesen. «Gerade als ich noch in Deutschland an der Hochschule war, herrschten oft prekäre Bedingungen», erläutert uns Roland Hausmann. Die Arbeitszeiten lagen oft weit über dem «normalen» Niveau und auch im wissenschaftlichen Bereich herrschte eine Ellbogenmentalität, gerade wenn es um Publikationen und die damit verbundenen Erwartungen ging. Letzten Endes überwiegen aber Freude an der Arbeit und Abwechslung diese Unannehmlichkeiten bei Weitem.

Es mag vielleicht erstaunen, dass es für den Forensiker nicht nur die spektakulären «grossen» Fälle – also Schwerverbrechen – sind, die in besonderer Erinnerung bleiben. Oft stellen die scheinbar «kleinen» Fälle eine ebenso grosse Herausforderung bei der Bearbeitung dar und können ebenfalls sehr spannende, manchmal auch überraschende Befunde ergeben. «Nach meiner Pensionierung werde ich vermutlich auf ein sehr abwechslungsreiches Berufsleben sowie auf eine Menge eindrücklicher Erlebnisse zurückblicken können. Der Wechsel in die Schweiz nimmt dabei eine besondere Stellung ein.» In privater Hinsicht ist sicherlich die Geburt seiner zweiten Tochter im vergangenen Herbst ein besonders positiver Einschnitt in seinem Leben. «In meinem Alter noch eine Tochter zu bekommen, ist ein grosses Glück», meint der 50-Jährige. Prägend für ihn ist aber auch seine Tochter aus erster Ehe, die heute 20 Jahre alt und eine ständige Lebensbegleiterin ist.

Bei der Arbeit kennen gelernt

Der Umzug nach St. Gallen hatte vor allem berufliche Gründe. Der Aufstieg vom Abteilungsleiter in Basel zum Chefarzt in St. Gallen bedeutete einen Sprung nach oben auf der Karriereleiter. Dieser Schritt wollte aber gut überlegt sein. «Auch für meine Basler Frau, die als Juristin ebenfalls eine sehr gute berufliche Tätigkeit in ihrer Heimatstadt ausübte, musste dieser Wechsel stimmen», erklärt uns der Wahl-Ostschweizer. Seit vergangenem August lebt die kleine Familie nun glücklich hier. Einzig das soziale Netz sei nach einer so kurzen Zeit noch ausbaufähig, was aber mit der Zeit von alleine geschehen dürfte. Zumindest wohnlich entsteht aber ein durchaus vollkommener Eindruck. Anscheinend täuscht die Einrichtung aber: «Wir sind keineswegs vollständig eingerichtet. Die Möbel sind praktisch alle noch aus unserer Wohnungszusammenlegung in Basel und die Sofas gehören nicht zusammen; der Zufall wollte es, dass sie die gleiche Farbe haben, so haben wir sie nebeneinander gestellt», meint der Professor. Die Einrichtung werde aber mit der Zeit noch vervollkommnet.

Ein neuerlicher Wegzug kommt für Roland Hausmann vorderhand nicht in Betracht. Ein solcher müsste ernsthafte berufliche Gründe haben. In seiner aktuellen Position gibt es für ihn kaum noch Aufstiegsmöglichkeiten: «Als Rechtsmediziner können Sie in der Schweiz und in einer vergleichbaren Position an gerade einmal sechs Instituten arbeiten.» Ein Wechsel zurück nach Deutschland kommt für ihn – auch mit Blick auf seine Familie – ebenfalls nicht in Frage.

An dieser Stelle fragen wir nach, ob er denn seine Frau bei der Arbeit kennen gelernt habe, und tatsächlich: «Meine Frau war Juristin bei der Staatsanwaltschaft in Basel. Wir haben uns damals an einer Kaderveranstaltung kennen gelernt, an die ich kurz nach meinem Arbeitsbeginn am IRM als Referent eingeladen war. Dort haben Salomé und ich uns zum ersten Mal gesehen», schildert Roland Hausmann. Das Ja-Wort gaben sich die beiden dann im Juni 2011.

Mit leichtem Druck auf Reisen

Auf die Frage, wie denn ein Rechtsmediziner nach der Arbeit am besten abschalten könne, antwortet der stolze Vater: «Dies geschieht bei mir in dem Augenblick, in dem mich meine kleine Tochter am Abend anstrahlt.» Der Familienvater ist deshalb auch froh, dass er sich seine Arbeitszeiten derzeit relativ geregelt einteilen kann. Normalerweise beginne die Arbeit morgens um 7.45 Uhr und ende gegen 19.00 Uhr. Das Wochenende kann er sich meist freihalten und so die Zeit mit seiner Familie verbringen, selbst wenn er als Chef ständig erreichbar sein muss.

Momentan eher etwas zu kurz kommt seine zweite Leidenschaft: der Sport. Gerne würde er auch abends mal eine grössere Runde mit dem Fahrrad drehen, was aber zeitlich kaum drin liegt, so dass er mit einer halben Stunde Joggen im Quartier vorliebnehmen muss. «Vielleicht sind grössere Ausflüge bald wieder möglich, wenn die Tage etwas länger werden», hofft der Sport-Fanatiker.

Ein materieller Mensch ist der Mediziner übrigens nicht. Spontan wüsste er nichts, was er sich anschaffen wollte. Würden wir ihm heute einen grossen Geldbetrag in die Hand geben, ginge er am nächsten Morgen wie jeden Tag zum Arbeiten in sein Institut. Am ehesten würde er in eine Reise mit der Familie investieren: «Meine Frau ist fasziniert von Asien. Mich zieht es eigentlich nicht so sehr in die Ferne, ich lasse mich aber gerne von der Begeisterung meiner Frau anstecken.»

So hofft Roland Hausmann denn auch, in fünf bis zehn Jahren beruflich immer noch auf Erfolgskurs zu sein, das Institut vorangebracht zu haben und mit seiner Familie glücklich die dann zumal neu gewonnene Freiheit zu geniessen.

Zur Person

Roland Hausmann
Geboren:
4. November 1961 in Nürnberg
Hobbys:
Ausdauersport, Musik und seit gut neun Monaten seine Tochter
Lieblingslektüre:
Schiffbruch mit Tiger von Yann Martel
Lieblingsschauspieler:
Jack Nicholson
Lieblingsgericht:
Italienisch, zum Beispiel Ossobuco

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

*

*

*