Wer kennt es nicht? Jeden Tag der Lernphase verwenden wir dafür, das Wissen des vergangenen Semesters aufzunehmen und kommen dabei oftmals an unsere Grenzen. Und dann kommt er, der eine Tag, an dem wir alles abrufen müssen: Der Tag der Prüfung. Ein bisschen Nervosität gehört dazu, aber was ist, wenn diese das «normale» Ausmass übersteigt? Wenn Panikattacken folgen oder gar ein Blackout an der Prüfung? Gemäss Dr. Florian Schulz und Dr. Katharina Molterer, Leiter und stellvertretende Leiterin der psychologischen Beratungsstelle der HSG, gibt es immer mehr Fälle von Studierenden, die sich auch wegen Prüfungsangst an sie wenden.
Angst primär als Schutzfunktion
Gemäss Florian Schulz ist Prüfungsstress für die meisten Studierenden immer wieder ein Thema – die meisten kennen zumindest die Nervosität vor einer wichtigen Klausur. In diesem Zusammenhang sei ein gewisses Mass an Anspannung vor der Prüfung und die Sorge vor dem Versagen durchaus normal: «Angst ist in erster Linie eine Schutzfunktion: In diesem Sinne motiviert sie uns und schützt uns davor, Dinge zu tun, die nicht gut für uns sind.» Katharina Molterer zeichnet die «Dodson-Kurve» (siehe Bild nächste Seite) auf den im Büro stehenden Flipchart auf, um die Relation zwischen Anspannung (x-Achse) und Leistung (y-Achse) zu verdeutlichen. Bis zu einem gewissen Grad hilft die Anspannung, um mehr Leistung zu erbringen, doch sobald man beim Tipping-Point ankommt, sinkt die Leistung rasant. Dann kann es dazu kommen, dass man während der Prüfung ein Blackout hat. Befindet man sich bereits längere Zeit in einem Zustand dauernder grosser Anspannung, sei die Wahrscheinlichkeit grösser, eine Panikattacke und/oder ein Blackout zu bekommen.
Angst ist in erster Linie ein Gefühl, durch welches Hormone wie Adrenalin im Gehirn ausgeschüttet werden. Die Hormonausschüttung lässt wiederum das Herz schneller schlagen und führt dazu, dass das Blut in die Peripherie gepumpt wird und man eine Einengung der Wahrnehmung erfährt, welche dem Überleben dient. Was kurzfristig sinnvoll ist, ist langfristig für den Körper sehr anstrengend und erschöpft dessen Ressourcen. Gemäss Schulz ist das auch der Grund, weshalb viele Leute nach einer Prüfung krank werden: Der «Rebound-Effekt».
Dabei gibt es bei der Angst nicht nur einen physischen Anteil, sondern auch einen psychischen, nämlich die Bewertung der Situation und der eigenen Ressourcen. Mit anderen Worten: Die eigenen Gedanken. Die klassische Angstassoziation sei eine Situation, die einem wichtig ist, der man sich aber nicht gewachsen fühlt. Fängt man innerlich an, an sich zu zweifeln, komme sehr schnell auch Angst mit ins Spiel. Laut Schulz kommen auch viele Leute in die Beratungsstelle, welche noch nie Probleme mit Prüfungen hatten und plötzlich anfangen, Angst davor zu entwickeln. Oft seien das «Highperformer», die sich selbst enorm viel Druck machen, ihr hohes Niveau halten zu können. Im Allgemeinen sei es zusätzlich ein Problem, dass man an der HSG sehr spät Rückmeldungen zu Prüfungsergebnissen erhält. Dies lasse die Unsicherheit bezüglich der eigenen Leistung bei vielen Personen wachsen. Im Assessmentjahr kommt noch erschwerend hinzu, dass von allen Seiten gesagt wird, wie schwer es sei und wie viele es nicht schaffen würden.
Oft besser als Medikamente: Entspannungstechniken
Wenn man Angst hat, ist man gleichzeitig auch angespannt. Umgekehrt sei es nicht möglich, körperlich entspannt zu sein und gleichzeitig Angst zu haben – und genau hier setzen viele therapeutische Mittel gegen Angst an. Molterer bietet immer wieder sogenannte Entspannungsgruppen an, in denen Techniken zur Herbeiführung von Entspannung erlernt werden. Schulz erklärt, dass sie besonders mit zwei Verfahren gute Erfahrungen gemacht hätten und diese häufig besser wirkten als angstlösende Medikamente. Einerseits ist dies die progressive Muskelentspannung nach Jacobson, andererseits das autogene Training. Diese beiden Methoden sind extrem simpel, bewirkten aber enorm viel, um dauerhaft das physiologische Stressniveau herunterzubringen. Wichtig sei einfach, dass man die Methoden erlernen sollte, wenn man keine akute Angst hat – also nicht erst in der Lern- und Prüfungsphase. Jeden Tag eine Viertelstunde würde schon reichen. Daneben wirkten auch Aktivitäten wie Yoga und Meditation äusserst positiv, meint Schulz.
Nebst der Entspannung ist jedoch auch die Gewöhnung an den angstauslösenden Impuls wichtig: «Je mehr man sich in Situationen habituiert, die Angst auslösen, desto schwächer wird diese. Wichtig ist vor allem, dass man diesen Situationen nicht aus dem Weg geht und dadurch starke Einschränkungen für das eigene Leben erzeugt.» Bei ausgeprägter Prüfungsangst kann es sich auch um eine Phobie handeln. Dementsprechend sei der therapeutische Ansatz dann, die betroffene Person mit dieser Situation schrittweise zu konfrontieren. Allerdings werde das bei Prüfungsangst meist «nur» mit Imagination der Situation getan (in sensu). Mittlerweile wisse man, dass die in-sensu-Situation ähnliche Gefühle auslöst wie die tatsächliche (in vivo). Behandelt wird die Prüfungsangst also, indem zuerst eine Entspannung des Körpers herbeigeführt wird und man sich danach die Prüfungssituation möglichst echt vorstellt.
Maximal 8 Stunden lernen
Obwohl die Behandlungsmethoden oftmals gut funktionierten und die Betroffenen, auch wenn sie die Angst möglicherweise nicht vollständig wegbekommen, wenigstens einen pragmatischen Umgang damit lernen, gilt: Je früher man einschreitet, desto besser. Noch besser sei aber, wenn es gar nicht erst soweit komme. Ein wichtiger Bestandteil davon ist die Lernmethode und -planung. Besonders wichtig sei es, Pausen einzuplanen und nicht aufgrund der Prüfungsangst noch mehr lernen zu wollen, um ja nicht zu versagen. Schulz erklärt, dass man sich auch «überlernen» könne: «Nach mehr als 8 Stunden intensivem Lernen fängt das Gedächtnis an, das im Laufe des Tages Aufgenommene zu überschreiben.» Zusätzlich ist genug Schlaf, Bewegung und die entsprechende Planung Grundvoraussetzung.
Leuten, die sich immer selbst sehr viel Druck machen, rät Schulz, dass sie akzeptieren müssten, dass jeder psychische und physische Grenzen habe. Das zu tun, ist nicht immer leicht, sei aber wichtig, um sich nicht in Prüfungsangst hineinzusteigern. Ausserdem sei man auch nicht in jeder Lebenslage bereit, die ganze Leistung abzurufen, fügt Molterer hinzu. Jeder habe einmal eine schwere Zeit. Oftmals seien die Leute dann zu streng mit sich selbst und akzeptierten nicht, dass es gar nicht möglich ist, in diesem Zustand eine Prüfung zu schreiben. Dazu komme, dass viele ihre momentane Lebenslage und die sich entwickelnde Prüfungsangst nicht in Beziehung zueinander setzten, obwohl das sehr oft zusammenhängen könne.
Ausbrechen aus dem Angstkreislauf
Sobald jemand in einem Angstkreislauf ist, sei es schwer, aus diesem wieder alleine herauszukommen, so Molterer. Hat man bereits die Erfahrung einer Panikattacke oder eines Blackouts gemacht, gehe man viel angespannter in die Prüfungsvorbereitungsphase, wodurch die Symptome beim zweiten Mal schneller auftreten könnten. Deshalb sei es wichtig, sich spätestens dann professionelle Hilfe zu suchen. Die psychologische Beratungsstelle ist für alle Angehörigen der Universität kostenlos. Sie bietet auf Anfrage anonyme Beratungsgespräche an und deckt das ganze Spektrum an studiums- und lebensbezogenen sowie psychischen Fragestellungen ab. Schulz meint: «Wir verstehen uns als Ressource und sind dafür da, Leuten frühzeitig zu helfen, wenn sie alleine nicht weiterkommen.»