Bleibt mein Ich auf der Strecke?

Es gibt Studenten, die sich mit einem zunehmenden psychischen Druck konfrontiert sehen. Welche Hilfestellungen werden ihnen geboten? Ein Besuch bei der psychologischen Beratungsstelle der HSG liefert Antworten.

In unserer Gesellschaft scheint beruflicher oder schulischer Erfolg Pflicht geworden zu sein. Scheitern oder anderweitig Schwäche zu zeigen, ist zunehmend durch eine negative Konnotation charakterisiert. Wenn Personen, welche unter einem solchen Leistungsdruck stehen, mit einer Situation konfrontiert werden, in der sie nicht mehr weiterwissen, ist es oftmals schwierig, den Rat einer anderen Person einzuholen. Man möchte sich keine Blösse geben, geschweige denn, andere mit den eigenen Problemen belasten. Deshalb werden diese Gedanken meistens verschwiegen. Sie werden schon von selbst wieder verschwinden. Man wird auf die eine oder andere Art damit klarkommen und eine Lösung finden. Manchmal jedoch verschwindet das Problem nicht. Es wird zunehmend zu einer Belastung.

Sobald dieser Punkt erreicht wird, ist es schwierig, sich selbst einzugestehen, dass professionelle Hilfe den gesuchten Ausweg ermöglichen könnte. Es braucht enorm viel Mut, diesen Schritt zu gehen, wobei klar ist, dass es keine Patentlösung gibt. Allein die Möglichkeit darüber zu reden und mit einer Fachperson nach Lösungen zu suchen, kann bereits massgeblich dazu beitragen, den eigenen Wesenszustand zu verbessern.

Die Anlaufstelle abseits vom Campus

Dieser Aufgabe geht die psychologische Beratungsstelle der Universität St. Gallen an der Girtannerstrasse 6 nach. Sie ist aus drei Psychologen zusammengesetzt, welche diese professionelle Hilfestellung anbieten: Florian Schulz, Leiter der Beratungsstelle, der selber an der Universität St. Gallen promoviert hat, sowie Katharina Molterer und Mark Laukamm, welche beide momentan noch am promovieren sind. Sie beraten Studenten in all ihren Anliegen, die psychologische Dinge betreffen. Neben den Studenten können aber auch Doktorierende, wie auch Mitarbeitende der HSG dieses kostenlose Angebot wahrnehmen und jederzeit einen Beratungstermin per E-Mail oder Telefon vereinbaren.

Wenn es um den Unterschied zwischen Psychologischer Beratung, Psychiatrie oder Psychotherapie geht, ist das für einen Laien nicht immer ganz ersichtlich. In der Psychiatrie werden psychische Erkrankungen mit Medikamenten behandelt, während in der Psychotherapie dafür Gespräche verwendet werden. Psychologische Beratung ist jener Bereich, in welchem nicht unbedingt eine psychische Krankheit vorliegen muss und versucht wird, mit den Ratsuchenden Probleme zu lösen, bevor sie schwerwiegend oder chronisch werden. «Im Schnitt trifft man sich zur Beratung zwei bis drei Mal, wobei eine grössere Zeitspanne zwischen den einzelnen Treffen liegen kann», erklärt Katharina Molterer.

Sollte eine Person, welche eine schwere psychische Problematik aufweist, den Weg zur Beratungsstelle finden, werde diese nicht einfach abgewiesen, so Molterer. «Wir sind auch mit anderen Stellen in St. Gallen vernetzt und wissen, wohin wir diese Person verweisen können.» Das Angebot bestehe in diesem Zusammenhang auch darin, dass die Person an die richtige Stelle komme und dort gut aufgehoben sei, fügt Laukamm hinzu.

Ein gemeinsamer Suchprozess

Es gebe eine relativ breite Aufgliederung der Themen, so Florian Schulz. Auf der einen Seite stehe der Bereich Krisen, aber es bestehe auch ein ganz grosser Bereich, bei dem es um Fragen geht, wie der Studenten- und Lernalltag bewältigt werden soll. Müsste man eine Liste erstellen, welche Themen von den Studenten vor allem angesprochen werden, dann seien dies vor allem Fragen bezüglich Lernproblematiken, Erwachsenwerden und Lebensführung, Selbstfindung, Identitätskrise und auch Beziehungsthemen. Die Psychologische Beratungsstelle übernehme hierbei vor allem auch eine präventive Rolle und verfolge damit das Ziel, den Betroffenen schon früh gute Lernprozesse oder Lebens- und Arbeitsstrategien zu vermitteln.

Zudem werde das Ziel der Beratung durch die Personen selbst definiert. «Jeder, der eine Beratung aufsucht, setzt eine gewisse Erwartung oder einen Wunsch an den Ausgang des Gesprächs voraus. Genau da befindet sich unser Ansatzpunkt, in einem gemeinsamen Suchprozess die Lösung zu finden», führt Florian Schulz aus. Sollte sich die Person selbst nicht im Klaren sein, welches Problem überhaupt bestehe, werde natürlich versucht, ihr aus diesem Zustand der allgemeinen Verwirrtheit zu helfen. Dabei profitiert der oder die Betroffene von der vertraulichen Atmosphäre und der Schweigepflicht des betreuenden Psychologen.

«Wie kann ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage», zitiert Florian Schulz den englischen Autor Edward Morgan Forster und beschreibt damit in einem Satz das Prinzip der psychologischen Beratung. Damit wir das aussprechen können, was ein bestimmter Zustand in uns weiss, dafür brauchen wir jemanden gegenüber, der – so beschrieb es Heinrich von Kleist – unser Gemüt erregt. Es sind unsere Gedanken, die erst beim Reden «verfertigt» werden. Bei der Beratung handelt es sich somit keineswegs um eine Couchtherapie, wie die Psychologen meistens stigmatisiert werden, sondern um kooperatives Problemlösen.

Eine hohe Auslastung

Es lassen sich verschiedene Phasen der Auslastung bei der Beratungsstelle unterscheiden. «Immer wenn es auf Prüfungen oder sonstige Deadlines zugeht, ist die Belastung und der Druck für die Studenten höher, weshalb vor allem zu diesen Zeiten auch wir ziemlich ausgelastet sind», erklärt Mark Laukamm. Im Jahr nutzen etwa vier Prozent aller Studenten das Angebot, was bei einer Zahl von ungefähr 7000 eine doch beachtliche Anzahl von etwa 280 Personen ausmacht. Sich in kürzester Zeit auf verschiedenste Menschen und Anliegen einzustellen, stelle immer wieder eine Herausforderung dar. «Diese Herausforderung und der Kontakt mit vielen verschiedenen Charakteren, neben der wissenschaftlichen Aktivität, ist aber auch genau das, was unglaublich viel Spass macht», meint Mark Laukamm. Die Arbeit mit jungen Leuten, die sehr motiviert seien, sei das Spannende an dieser Arbeit, ergänzt Katharina Molterer.

Beratung über die Jahre hinweg

Die Nachfrage nach Beratung nehme jedes Jahr um wenige Prozentpunkte zu, erklärt Florian Schulz. Die Zunahme sei dabei in etwa proportional zu den Studienzahlen. Vor zwölf Jahren, als die Psychologische Beratungsstelle angefangen habe, seien überproportional viele Frauen gekommen. Mittlerweile habe sich dieses Verhältnis ziemlich angeglichen. Dies hänge unter anderem auch mit der zunehmenden gesellschaftlichen Akzeptanz gegenüber psychologischer Beratung zusammen.

Die Generation vor uns war vielleicht entschleunigter, hatte aber sicher schon ähnliche Probleme. Heute durch das Internet können wir uns mit jeder Person vergleichen und tun dies auch. «You only live once» sei Fluch und Segen. «Alles aus dem Leben machen zu können und auch alles machen zu müssen, was für ein Druck ist das?», fragt sich Florian Schulz. Das schaffe eine enorme Angst vor dem Scheitern, was sehr existentiell werden könne.

Fraglich ist auch, was die Zukunft bringen wird. «Was passiert die nächsten 30 Jahre mit der Arbeitsfähigkeit?, ist für mich die zentrale Frage» sagt Florian Schulz. «Schaffen die Studenten, die wir jetzt ausbilden, 35 Jahre Berufsleben auf einem solch hohen Niveau und mit diesem Tempo?» Insgesamt gebe es momentan einen Kultur- und Generationswechsel und solche Themen beschäftigen momentan auch die HSG. Räume wie die psychologische Beratungsstelle leisten dabei einen Beitrag und helfen, entsprechende Fragestellungen zu reflektieren.

Bilder Livia Eichenberger


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