Katalonien ist nicht gleich Spanien. Das merkt man spätestens, wenn man nach einem entspannten Flug durch das Terminal in Barcelona zur Gepäckausgabe geht und die Wegweiser betrachtet. Weder Spanisch noch Englisch steht als erste Sprache dort. Es ist Katalanisch. Sie ist, neben Spanisch und Aranes, eine der drei Amtssprachen Kataloniens. Wenn man durch die verwinkelten, charmanten, alten Gassen katalanischer Städte flaniert, hört man zwischen den Einheimischen kein Spanisch, sondern fast ausschliesslich Katalanisch. Katalonien ist eine Region in Spanien mit eigener Sprache, Kultur und einem nationalen Selbstverständnis. Und diese Tatsache prägt die Beziehung zwischen Madrid und Barcelona seit Jahrhunderten.
Der Ursprung des Konfliktes
Bereits 1714 zeigte sich das schwierige Verhältnis zwischen Katalanen und Spaniern. Ein spanischer Kommandant schrieb nach Madrid von einem verlassenen Schlachtfeld in Barcelona «Wir müssten alle aufhängen, aber bedauerlicherweise können wir nicht, es fehlt uns an Stricken». Am Tag der Eroberung, dem 11. September, wird noch heute als Nationalfeiertag Kataloniens an die Kapitulation Barcelonas erinnert. Dabei wurde Katalonien durch die Einnahme in einen zentralistischen Staat gedrängt, in dem die Souveränität verloren ging. Der Nationalfeiertag, auch Diada genannt, ist Anlass dafür, dass jährlich Millionen von Menschen in Barcelona für mehr politische Selbstbestimmung demonstrieren.
Als im 20. Jahrhundert Francisco Franco nach einem Bürgerkrieg an die Macht kam und er die katalanische Sprache sowie Kultur verbot, flohen viele ins Exil. Durch seinen Tod 1975 kam es zu einer Entspannung der Lage und den Katalanen wurden durch ein Autonomiestatut einige Kompetenzen übertragen. Dieses Statut war jedoch 2006 nicht mehr zeitgemäss, sodass es ausgeweitet werden sollte. Nach einer Volksbefragung, konnten den Katalanen mehr Rechte zugesprochen werden. Von einem Konflikt war so gut wie nichts mehr zu spüren.
Der Auslöser der Krise
Es kam jedoch zu einem prägenden Ereignis, dass die Beziehung zwi- schen Madrid und Barcelona erneut auf die Probe stellte und bis heute als Auslöser der Unabhängigkeitsbewegung gesehen wird. Die Partei Partido Popular (PP) um den späteren Ministerpräsidenten Mariano Rajoy klagte gegen das Autonomiestatut und bekam in den wesentlichen Punkten nach vier Jahren Beratung Recht. Während sich katalanische Politiker und alle übrigen Parteien für das Autonomiestatut aussprachen, weckte diese Entscheidung Erinnerungen an die systematische Unterdrückung Barcelonas durch Madrid.
Rajoy zeigte sich in seiner Politik wenig kompromissbereit, sodass sich die Fronten immer weiter verhärteten. Verschiedene Streitpunkte in den Bereichen Bildung, Korruption oder der finanziellen Neuverteilung konnten nicht gelöst werden. Katalonien zahlt beispielsweise heutzutage knapp 17 Milliarden Euro als eine Art Länderfinanzausgleich – Bayern zahlt vergleichsweise nur 5.5 Milliarden und der Kanton Zürich umgerechnet weniger als 400 Millionen Euro. Nachdem sich die Unzufriedenheit mit der Regierung in Madrid immer weiter steigerte und die Separatisten in Katalonien die absolute Mehrheit im Parlament besassen, rief es für den 1. Oktober 2017 ein Referendum über die Unabhängigkeit aus.
Das Referendum und die Folgen
Dieses Referendum wurde von spanischer Seite für illegal erklärt und es wurde versucht, mit Polizeigewalt die Bürger am Wählen zu hindern. Dementsprechend lag die Wahlbeteiligung bei 42 Prozent. Jedoch sprachen sich 90 Prozent für eine Unabhängigkeit aus, sodass am 27. Oktober 2017 die katalanische Unabhängigkeit deklariert wurde. Die politische Führung wurde allerdings kurze Zeit später verhaftet oder ist ins Exil geflohen. Die separatistische Regierung wurde von Madrid per Beschluss vom Amt enthoben und Neuwahlen wurden angesetzt. Bei diesen erreichten die Separatisten später erneut die absolute Mehrheit.
Spätestens seit dem Zeitpunkt wurde aus dem spanisch-katalanischen Konflikt ein europäisches Problem, mit dem sich auch die Schweiz auseinandersetzen muss. Während Politiker in Katalonien über ein Jahr ohne Prozess in Untersuchungshaft sassen, wurde gegen die ins Exil geflohenen Politiker ein internationaler Haftbefehl ausgesprochen. Auch die in die Schweiz geflohene Generalsekretärin der links-republikanischen Partei Esquerra Republicana de Catalunya (ERC) Marta Rovira ist davon betroffen und stellt die Schweiz in den Konflikt, ob sie politisch Verfolgte ausliefern soll oder nicht. Bis jetzt wahrte die Schweiz ihre Neutralität und gewährt Rovira Schutz in Genf.
Der Prozess in Madrid
Zurzeit sitzen mehrere ehemalige Politiker in Madrid im Gefängnis. Unter anderem wird ihnen Veruntreuung und Rebellion vorgeworfen mit einem möglichen Strafmass von bis zu 25 Jahren Gefängnis. Die Bewertung der juristischen Handlungen wird dabei kontrovers diskutiert. Auf der einen
Seite argumentiert die Staatsanwaltschaft, dass die Organisation des illegalen Referendums durch das spanische Verfassungsgericht damals verboten wurde. Die Umsetzung dieses und Einsetzen von Mitteln wird als illegal eingestuft.
Katalanische Politiker werfen der Justiz Willkür vor und sehen die Politiker als politische Gefangene, die zur Abschreckung festgehalten werden. Der Hauptvorwurf, die Rebellion, wurde von mehreren anderen Gerichten in Europa als unzutreffend bewertet wurde. Das Oberlandesgericht in Schleswig-Holstein beispielsweise «sieht in dem Vorwurf der Rebellion nach wie vor nicht den Tatbestand des – nach deutschem Recht strafbaren – Hochverrats erfüllt». Daher säumt sich seit letztem Jahr in ganz Katalonien das Symbol der gelben Schleife, die an die politischen Gefangenen erinnern sollen.
Der Prozessauftakt im Februar vor dem Obersten Gerichtshof in Madrid gegen zwölf führende Katalanen wurde mit Spannung erwartet. Der Prozess, der mindestens drei Monate in Anspruch nehmen wird, wird zudem in voller Länge live im Fernsehen übertragen und beherrscht die Medien seit Monaten. Über 100 Zeugen werden insgesamt aussagen.
Der Ausgang des Prozesses ist unklar – im Gegensatz zur Wirkung auf die Gesellschaft. Während rechte und rechtsextreme Parteien zu Demonstrationen für die spanische Einheit aufrufen, demonstrierten bis zuletzt über hunderttausende Unterstützer der Unabhängigkeit in Madrid und katalanischen Städten.
Spaltung der Gesellschaft
Wenn man heute durch Barcelona spaziert und die architektonischen Meisterwerke des Antoni Gaudí bewundert, sieht man an den Balkonen die Flagge der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung, Estelada genannt. Zurzeit liegen Befürworter knapp vor den Gegnern der Unabhängigkeit. Und auch Spanien spaltet sich politisch immer weiter auf, wie die Parlamentswahlen Ende April zeigten. Doch bei einem sind sich die Katalanen einig: Ein Referendum wie in Schottland ist ein Weg, um den Konflikt zu lösen. Stattdessen steuert Spanien auf eine Spaltung der Gesellschaft zu. Der Konflikt zwischen den Parteien wird das Land vor eine Zerreissprobe stellen. Der Prozess um die inhaftierten Politiker kann dabei zum bekannten Tropfen werden, der das Fass zum Überlaufen bringt.