CSI St. Gallen – den Tätern auf der Spur

Jeder kennt sie: die Kriminalserien CSI, Criminal Minds und Navy CIS. Aber wie sieht der Alltag der Kriminalpolizei in der Praxis aus? prisma wirft mit dem Chef der Kriminalpolizei, Bruno Fehr, einen Blick hinter die Kulissen.

St. Gallen, es ist Samstagmorgen, und wie so oft im Winter liegt über der Stadt ein undurchdringlicher Nebelschleier. Ein Schatten wandert langsam neben einer winterlich vermummten Person her, während sie eine der orange leuchtenden Strassenlaternen passiert. Ein flüchtiger Blick zur Seite zeigt, dass die Strasse vollkommen leer ist. Das Geräusch des Summers ist zu vernehmen, und kurz darauf schnappt die massive Eingangstür wieder ins Schloss. Danach ist es still. Bis Schüsse die Stille zerreissen. Am nächsten Morgen: Die kleine Wohnung ist überfüllt mit Personen in weissen Overalls und mittendrin steht ein Mann mit Sonnenbrille. Er nimmt diese kurz ab, sieht auf Anhieb das 1 cm grosse Einschussloch in der Wand gegenüber, erkennt die Hautpartikel unter den Nägeln des Opfers als die des Täters und findet auch gleich eine Liste mit Personen, die dem Opfer Geld schuldeten. Als er die Brille aufsetzt, ist der Fall gelöst und Zeit für ein Znüni.

Was im Fernsehen bei CSI so einfach aussieht, gestaltet sich im Arbeitsalltag von Bruno Fehr ein wenig komplizierter. Als Chef der Kriminalpolizei St. Gallen kennt er den polizeilichen Ermittlungsprozess aus nächster Nähe: «Bevor die Ermittlungen überhaupt in Gang gesetzt werden, muss zunächst bei besonders schweren Delikten geklärt werden, ob die Ermittlungen direkt von der Staatsanwaltschaft geführt werden», so Fehr. Horatio, der Protagonist bei CSI, müsste sich zwangsläufig von seinen «Lonely Rider»-Ermittlungsmethoden verabschieden, um sich in das System einzufügen. Dies würde nicht zuletzt aufgrund seines Ranges geschehen. Bereits seine Anstellung als technischer Kriminalermittler weist ihm ein klar abgegrenztes Ermittlungsfeld zu.

Wenn Sherlock auf AFIS trifft

Nichtsdestotrotz sieht Bruno Fehr einige Parallelen zwischen der Realität und der Fernsehserie. Das entsprechende Gegenstück zur CSI aus Miami wäre dabei das so genannte «Kompetenzzentrum Kriminaltechnik Ostpol» bei der Dienststelle Forensische Chemie und Technologie der Kantonspolizei St. Gallen. Hervorgegangen ist dieses Ermittlungsteam aus einer Vereinbarung der Kantonspolizeikorps Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden, Glarus, Graubünden, Schaffhausen, St. Gallen, Thurgau sowie des Fürstentums Liechtenstein. Wie in der Serie versuchen die Mitarbeiter von Ostpol, mit Hilfe modernster Technik auch die kleinsten Spuren aufzudecken. Dabei mag es erstaunen, dass die Daktyloskopie (die Untersuchung auf Fingerabdrücke) auch fast 100 Jahre nach Sherlock Holmes noch eine wichtige Rolle spielt. Geändert haben sich lediglich die Methoden zur Sicherstellung ebendieser Fingerabdrücke. Beispielsweise geschieht dies, indem Cyanacrylat, auch als Sekundenkleber bekannt, auf das Untersuchungsobjekt aufgedampft wird. Dadurch werden auch feine und schwer erkennbare Fingerabdrücke sichtbar.

Endgültig vorbei sind glücklicherweise aber die Zeiten, in denen die Fingerabdrücke mühsam von Hand verglichen werden mussten. Dies erledigt seit geraumer Zeit das Automatisierte Fingerabdruck-Identifikations-System, kurz AFIS.

Robocop – Cyber-Cop – Polizist

Von den neuen Möglichkeiten der Technik profitiert längst nicht nur die Polizei. Auch Kriminelle machen sich diese geschickt zunutze. «Es wird immer schwieriger, belastendes Datenmaterial im direkten Umfeld des Verdächtigen sicherzustellen », so Oberstleutnant Bruno Fehr. Er verweist dabei vor allem auf die schier unbeschränkten Möglichkeiten, die das Cloud Computing mit sich bringt. Hierbei werden lediglich die Anwendungen vom Computer des Verdächtigen aus gestartet. Das Datenmaterial selber kann jedoch auf der ganzen Welt auf verschiedenen Computern gespeichert sein. Fehr ist überzeugt, dass sich dies bereits mittelfristig in einschneidender Weise auf die Ermittlungsarbeit der Polizei auswirken wird. «In Zukunft deutet alles darauf hin, dass wir neben den bereits bekannten Ermittlungen im realen Raum vermehrt den so genannten Cyber-Cops begegnen werden.» Diese, so führt er weiterhin aus, könnten die Polizeiarbeit auch von zu Hause aus erledigen. Schon heute nennen einige Gesetzeshüter das Internet ihr Revier. Das vor allem in Bereichen wie Kinderpornografie, dem illegalen Austausch von Musik, aber auch Geldwäsche.

Zum veränderten Arbeitsumfeld kommt hinzu, dass sich auch die rechtliche Lage im World Wide Web anders auswirkt als im realen Raum. Beispielsweise ist es Schweizer Polizisten nicht gestattet, sich ohne richterliche Erlaubnis anonym an einen Verdächtigen zu wenden. In einem Chat würde dies unter anderem zu der Situation führen, dass sich die Ermittler als solche zu erkennen geben müssten.

Dass ein klar erkennbarer Ermittler in einem sonst anonymisierten Chat oder Forum kaum eine Chance hat, ist nicht weiter der Erwähnung wert. Noch kritischer wird es, wenn es um die Unterscheidung zwischen personenbezogenen und fallbezogenen Daten geht. Wo zieht man rechtlich die Trennlinie und wie weit dürfen polizeiliche Ermittlungen gehen, ohne die persönlichen Grundrechte jedes Bürgers zu sehr einzuschränken? Mit zunehmender Technisierung steigen nicht nur die Anforderungen an die Polizei, sondern vor allem auch an den Gesetzgeber. «Die Polizei kann durchaus mit den Entwicklungen mithalten. Das Problem ist aber, dass die Gesetzeslage häufig ungenügend ausgestaltet ist, um entsprechend handeln und reagieren zu können», gesteht Bruno Fehr mit leichtem Bedauern.

Die Komponente Mensch

Polizeiarbeit umfasst aber nicht nur die technische Seite, sondern vor allem auch eine starke menschliche Seite. Nach wie vor unersetzbar ist laut Kripochef Fehr das logische Ursachendenken, mit dem ein Ermittler einen Fall analysiert. Dazu gehöre aber auch eine ausgeprägte Menschenkenntnis und ein intuitives Vorgehen, führt er weiter aus. Dieser Teil wird wohl auch in Zukunft erhalten bleiben, auch wenn die Täter sich in ihrem Verhalten mit der Zeit weiterentwickelt haben. Nur noch selten werde man einen Täter im Rahmen eines Verhöres zu einem Geständnis bewegen können. Früher sei das durchaus anders gewesen, meint Bruno Fehr. Das hat unter anderem damit zu tun, dass die Täter insgesamt besser informiert sind und nach den gesetzlichen Vorgaben vor der Einvernahme auf ihre Rechte aktiv hingewiesen werden. Ob der grundsätzliche Zugewinn an kriminellem Grundwissen mit den vielen Krimi-Fernsehserien zusammenhänge, könne er aber nicht sagen. Dennoch gibt der Kripochef schmunzelnd zu: «Durch die vielen Fernsehserien und die hohe Aufklärungsquote entsteht unter den Tätern allgemein der Eindruck, die Polizei entdecke alles. Manchmal lassen wir deshalb Verdächtige bei schweren Delikten auch bewusst alle rechtlich möglichen Ermittlungsmassnahmen der kriminaltechnischen Abteilung durchlaufen. Das beeindruckt die meisten und verstärkt den Eindruck zusätzlich.»

Trotz der Unterschiede zur Serie kann man sich den St. Galler Kripochef nach diesem Satz ganz gut mit einer «Horatio»-Sonnenbrille vorstellen. Schliesslich verkörpern beide in diesem Moment den Schauspieler. Einer mehr, der andere weniger.


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