prisma traf den neuen Rektor der HSG zum Gespräch über heutige Wachstumsprobleme und künftige Baustellen unserer Universität.
Sie sind seit 14 Jahren an der HSG. Was hat sich in dieser Zeit verändert?Vor 14 Jahren waren Universitäten einem weitgehend regionalen Wettbewerb unterworfen. Man hat sich stark an deutschsprachiger Literatur orientiert, es gab gerade die ersten E-Mails, sehr vieles – gerade auch bei Fachzeitschriften – lief noch über die klassische Papierpost. Jeder Lehrstuhlinhaber war weitgehend selbständig, hatte seine Vertiefungsrichtung und damit auch den Kontakt zu «seinen» Studierenden. Was wir in diesen 14 Jahren erlebt haben, ist, was viele andere Sektoren auch erlebten: eine Marktöffnung, eine Internationalisierung, eine Verstärkung der Arbeitsteilung und Spezialisierung und damit mehr Arbeit in Teams. Vom ehemals nationalen Wettbewerb haben wir uns zu einem Europäischen bewegt. Und die Entwicklung geht weiter in Richtung Globalisierung, beispielsweise was die Rekrutierung von Professorinnen und Professoren sowie von Studierenden angeht. Jede Universität braucht ihre Eigenständigkeit. Für die HSG werden auch in Zukunft Unternehmertum sowie die HSG-spezifische Vertrauenskultur wichtige Erfolgsfaktoren sein. Wenn eine Universität eine Qualitätsführerschaft anstrebt, muss sie sich aber bis zu einem gewissen Grad der internationalen Entwicklung stellen.
Man hat den Eindruck, dass der Ruf von der Uni und den Studierenden in der Stadt St. Gallen nicht der beste ist. Woran liegt das und wie kann man das bekämpfen?Ich glaube, die Universität St.Gallen wird in der Region und in der Stadt geachtet und respektiert. Das man sie nicht immer «liebt» dürfte an drei Gründen liegen: Die HSG ist eine spezialisierte Universität, die seit ihrer Gründung als Handelsakademie auf überregionale Nachfrage ausgerichtet ist. Deshalb gibt es im Vergleich zu anderen Universitäten nur einen kleinen Teil der Maturandinnen und Maturanden aus der Region, für die die HSG aufgrund der fachlichen Interessen in Frage kommen. Die HSG hat auch wenig Botschafter in der Bevölkerung. In Basel hat praktisch jeder Hausarzt, Anwalt oder Mittelschullehrer an der dortigen Uni studiert, deshalb greift sie viel mehr ins Leben. Das zweite hängt mit dem Standort zusammen. Der Campus hier hat enorme Vorteile, insbesondere dass sich die Studierenden begegnen können. Er ist überschaubar, es ist ruhig – ideale Studienvoraussetzungen. Aber er ist weiter weg von der Stadt, anders als in Basel oder Luzern, wo der Campus mitten in der Stadt liegt und damit die Integration auch physisch besser ist. Dann gibt es noch einen dritten Grund: Mit der zunehmenden Internationalisierung sowie dem hohen Arbeitsdruck und Wettbewerb ist ein kleinerer Teil der Professorinnen und Professoren in der Region direkt spürbar – sei es in Vereinen oder in Parteien. Wir sind uns dessen bewusst und arbeiten daran, Persönlichkeiten wieder spürbar zu machen, uns den Diskussionen zu stellen. Es wird aber nie dasselbe sein wie bei einer Volluniversität mitten in der Stadt.
Wie könnte man die HSG-Kultur denn beschreiben?Professor Dyllick hat dazu mal eine Untersuchung gemacht, und das erlebe ich selbst auch: Sie ist gezeichnet von einer Familiarität. Vor allem in der Professorenschaft, aber ich glaube auch zwischen den Studierenden und im Kontakt zwischen Verwaltung und Wissenschaft. Das drückt sich in einer Vertrauenskultur und einer relativ offenen Kommunikation aus. Der zweite Aspekt, auch in der Art wie gearbeitet wird, ist das Unternehmertum. Wenn ein Kollege oder jemand aus der Verwaltung etwas verwirklichen und bewegen will, wird selten gesagt: Das wollen wir nicht, das darfst du nicht. Wir versuchen Innovation zu ermöglichen, in den Instituten und in der gesamten HSG.
Was wird sich verändern unter Rektor Bieger? Gibt es etwas, das Sie charakterisieren wird im Vergleich zu Ihren Vorgängern?In allen Branchen, die auf langfris-tig entwickelte Ressourcen aufbauen, ist Kontinuität in der Strategie und Führung ein wichtiger Erfolgsfaktor. So ist auch die HSG wie die meisten Schweizer Universitäten auf Kontinuität ausgerichtet. Nur so können wir unsere Faculty oder auch unsere Reputation nachhaltig entwickeln. Darüber hinaus hätten wir gar nicht die Mittel für plötzliche Strategieänderungen oder markante Einschnitte aufgrund einer neuen Leitung. Die Schweizer Universitäten sind glücklicherweise alle auch durch die öffentliche Hand so finanziert, dass sie eine gute Qualität bieten können. Dementsprechend besteht keine Notlage, aber man hat kein Geld für Luxus und kann sich auch keine Fehlinvestitionen leis-ten. Es ist klar, dass jeder Rektor seine Schwerpunkte setzt, aber das wird möglicherweise erst am längerfristigen Erfolg ersichtlich sein. Zudem ist es bei uns so, dass es nicht nur einen Rektor, sondern ein ganzes Rektoratsteam die Universität prägt, aktuell mit Ulrike Landfester, Vito Roberto, Torsten Tomczak und Markus Brönimann.
Es gibt bereits Zugangsbeschränkungen zu einigen Masterprogrammen, das Betreuungsverhältnis Dozenten-Studierende hat sich verschlechtert… Was wird sich für die Studierenden, die schon hier sind, weiter verändern?Dank dem Entscheid des Universitätsrates, zehn neue Lehrstühle zu schaffen, werden wir das Betreuungsverhältnis verbessern können. Damit bietet sich auch die Chance einer verstärkten Internationalisierung des Lehrkörpers. Dabei geht es nicht nur um die Nationalität der Professorinnen und Professoren, sondern um deren internationale Erfahrung und Einbettung in internationale Netzwerke. Im Moment sind Reformen der Lehrprogramme auf allen Stufen im Gange – wir dürfen hier auch auf die Unterstützung unseres Delegierten für Qualitätsentwicklung, Dieter Euler, zählen. Studienanfänger werden voraussichtlich in zwei Jahren von einer englischsprachigen Assessmentstufe profitieren können. Diese spricht nicht nur ausländische Studierende an, sondern auch die immer grössere Zahl von Maturandinnen und Maturanden aus der Schweiz, die eine Matura in englischer Sprache absolviert haben. Auf Masterstufe sind fast zehn Programme in Erneuerung. Wir arbeiten an Projekten wie dem MSC auf Englisch oder dem Master in Unternehmertum, quasi als deutschsprachiger SIM. Kurzfristige Entlastung in Bezug auf die Raumkapazitäten erhoffen wir uns durch eine Vielzahl von Massnahmen organisatorischer Art oder Provisorien zu erreichen. Wir haben auch Initiativen gestartet, die unserem Anliegen, verantwortungsvolle Persönlichkeiten zu entwickeln, Rechnung tragen sollen: Beispielsweise gibt es im SIM bereits Sozialprojekte. Kollege Thomas Dyllick wird hier als Delegierter für Verantwortung und Nachhaltigkeit neue Akzente setzen.
Wie zeigt sich denn konkret der Effekt eines solchen Sozialpraktikums? Es fällt schwer zu glauben, dass jemand, der es davor nicht war, danach zu einer verantwortungsvollen Persönlichkeit wird.Verantwortliches Handeln benötigt alle drei Ebenen: Hand, Herz und Verstand. Voraussetzung ist Wissen über die Wirkungen des eigenen Verhaltens. Deshalb vermitteln wir insbesondere durch das Kontextstudium Reflexionskompetenz. Das soll letztlich erlauben, die Wechselwirkungen in verschiedenen Umfeldern seines eigenen Handelns zu beurteilen. Neben dieser kognitiven Komponente gibt es die affektive, die man beispielsweise durch eigene Erfahrung generieren kann. Die Handlungskompetenz pflegen wir unter anderem mit unserem gelebten Unternehmertum – beispielsweise im Rahmen der studentischen Initiativen. Wir stützen uns somit auf eine freiheitliche Ordnung und kein System, in dem wir Gesinnungsprüfungen in Bezug auf verantwortliches Handeln machen.
Sie haben zu Beginn Ihrer Amtszeit gesagt, es werde ein neues Gebäude entstehen. Wo wird das sein?Vom Kanton sind die Bedürfnisse für einen Ausbau unserer Raumkapazitäten erkannt und anerkannt. Neue Raumkapazitäten müssen in einem engeren Perimeter um oder auf dem Campus selbst geschaffen werden. Und zwar deshalb, weil einerseits betriebliche Synergien genutzt werden können. Man braucht beispielsweise viel weniger Reservekapazitäten oder Hausdienstmitarbeitende bereit zu halten, und man braucht keine zweite Bibliothek. Andererseits ist es für die HSG als Wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Universität, wo die Forschung stark vom sozialen Austausch abhängt, wichtig, dass Begegnungen und Austausch auf dem Campus möglich sind.
Wie wird Ihre Kommunikation mit den Studierenden aussehen? Wie können die Studierenden ihre Anliegen vorbringen?Wir haben verglichen mit anderen Universitäten eine Open-Door- respektive Open-Mailbox-Kultur. Für mich galt schon als Abteilungsvorstand und Prorektor, dass wenn man eine E-Mail von Studierenden bekommt, diese ernst genommen und beantwortet wird. Wir sind zudem hier auf dem Campus und ansprechbar. Auch haben wir nicht ein Vollzeit-Universitätsmanagement, meine Kollegin und Kollegen im Rektorat, auch ich selbst, sind immer noch in der Lehre präsent. Ich habe den Eindruck, dass die HSG-Studierenden mit diesen offenen Zugängen verantwortungsvoll umgehen. Man kommt dann, wenn es ein echtes Problem gibt, und das ist ja auch richtig.
Aber wie nehmen Sie die Studierenden an der HSG wahr? Wir sind ziemlich einseitig als Wirtschaftsuni aufgestellt, gleichzeitig gibt es eine unglaublich hohe Vereinsdichte…Unsere Studierenden sind sehr unternehmerisch. Das sehen wir auch an den vielen studentischen Initiativen. Zudem wird in Befragungen deutlich, dass sehr viele neben dem Studium arbeiten, das ist ja auch Ausdruck dieser unternehmerischer Orientierung. Da staune ich angesichts dieser hohen Zahlen: Je nach Stufe und Studienprogramm geht das bis an die 80%. Das zweite ist, dass ich die HSG-Studierenden als äusserst zielstrebig erlebe. Sie wissen, welche extracurricularen Aktivitäten wie Austausch oder Praktika sie absolvieren wollen – und nicht zuletzt haben sich unsere Studierenden für ein Studium entschlossen, das insbesondere auf der Assessmentstufe anspruchsvoll ist.
Immer mehr Leute machen ja einen tertiären Abschluss. Ist es eine gute Entwicklung, dass so viele Menschen an die Unis und Fachhochschulen strömen?Wenn ich sehe, wie viele Akademiker die Schweiz im Moment im Ausland rekrutieren muss – das betrifft ja nicht nur Mediziner, sondern auch Wirtschaftswissenschaftler – und wie schnell unsere Absolventen häufig vor der Diplomierung einen Arbeitsplatz haben oder welches Interesse von Seiten rekrutierender Unternehmen an den Veranstaltungen von HSG Talents bestehen und wenn ich dann noch die Tertiärquote der Schweiz mit anderen Ländern vergleiche, dann habe ich nicht den Eindruck, dass auf absehbare Zeit ein Überschuss an Hochschulabsolventinnen und -absolventen produziert wird.
Welchen Vorteil bietet die HSG ihren Studierenden, einmal abgesehen von ihrem Ruf, wenn sie einen Abschluss von hier mitbringen?Wir bieten als Basis, was jede Universität bietet, nämlich Fachkenntnisse. Im Vergleich zu Fachhochschulen zeichnen sich Universitäten durch ihre forschungsbasierte Lehre aus, das heisst die Dozierenden lehren das, was sie forschen. Dadurch wird die Lehre aktuell und authentisch. Gegenüber anderen Universitäten macht die Mischung aus einem vergleichsweise hohen Grad an Internationalisierung, Unternehmertum und Praxiskontakten den spezifischen Wert der HSG aus – Des weiteren sind die HSG-Community und die Alumni etwas Besonderes. Die Erklärung dafür ist einfach: Wir haben nur 10% Studierende, die aus der näheren Umgebung von St. Gallen stammen, also kommen mehr als 90% von ausserhalb. Das heisst neun von zehn sind interessiert, hier neue Freunde zu finden. Das gibt dann dieses spezielle Studentenleben, den guten Zusammenhalt und eben auch die starke Alumni-Organisation, die einem, egal wo man ist auf dieser Welt, den Anschluss ermöglicht.