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Das Dorf: Eine Siedlungsform zwischen Vergangenheit und Zukunft - prisma

Das Dorf: Eine Siedlungsform zwischen Vergangenheit und Zukunft

Totgesagte leben länger: Warum das Schweizer Dorf auch im 21. Jahrhundert eine Zukunft hat. Ein Gastbeitrag von Roland Scherer

In der Schweiz spielt «das Dorf» auch heute im Jahr 2010 noch eine sehr wichtige Rolle. Und zwar nicht allein für die Tourismuswerbung, bei der idyllische Schweizer Bergdörfer als wichtiges Werbesujet dienen, sondern auch als die weiterhin dominierende Siedlungsform der Schweiz. Wussten Sie zum Beispiel, dass über die Hälfte aller eigenständigen Gemeinden in der Schweiz weniger als 1000 Einwohner haben? In über 800 Gemeinden wohnen sogar weniger als 550 Personen. Diese Zahlen zeigen deutlich: Das Dorf in der Schweiz lebt – auch wenn es bereits oft totgesagt wurde. Betrachtet man die aktuellen Entwicklungen bei den Gemeindefusionen, ist allerdings tatsächlich ein gewisses Dörfersterben festzustellen. Hat das Dorf als eigenständige Siedlungsform denn für die Zukunft noch eine Bedeutung?

Um diese Frage zu beantworten, muss man einen Blick in die Vergangenheit werfen. Für die Entwicklung der Schweiz spielte der ländliche Raum eine ebenso wichtige Rolle wie die städtischen Zentren. Im ländlichen Raum wurden bereits Anfang des 19. Jh. wichtige Exportgüter, wie z.B. Emmentaler oder Sbrinz-Käse, produziert. Der Ursprung für den Schweizer Tourismus lag in den Dörfern, vor allem im Berggebiet. Auch wurde dort bereits frühzeitig die Energie produziert, die später für die industrielle Entwicklung der Schweizer Städte benötigt wurde. Zudem spielten – und spielen auch heute noch – die Dörfer und der ländliche Raum für die Identität und das Selbstverständnis der Schweizer eine wichtige Rolle. Oder um es mit den Worten eines früheren Stadtpräsidenten von Zürich zu sagen: Die Schweizer sind und bleiben ein Volk von Berglern. Ob er dies nun ausschliesslich positiv gemeint hat, soll hier nicht weiter kommentiert werden.

«Das Dorf» vermittelt das Bild einer idealisierten Lebensform, das Bild einer «heilen» Schweiz. Gleichzeitig kann es aber für eine moderne Schweiz auch ein Negativbild sein, das durch Kleinräumigkeit, enges Denken und starken Konservatismus geprägt ist. Der ländliche Raum – und damit natürlich all die Dörfer, die sich dort befinden – ist heute mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert, die langfristig die dörfliche Entwicklung beeinflussen. Zu nennen ist hier natürlich die globale Wirtschaftsentwicklung, die zu einer immer stärkeren Konzentration der wirtschaftlichen Aktivitäten an den jeweils bestgeeigneten Standorten führt. Dasselbe gilt für den Tourismus, bei dem eine vergleichbare Entwicklung hin zu den jeweils bestgeeigneten Destinationen festzustellen ist. Ausserdem spielen klarerweise die Entwicklungen in der Landwirtschaft eine zentrale Rolle, die mittelfristig zu einem anhaltenden Rückgang der dort Beschäftigten führen werden. Auch die Auswirkungen des demografischen Wandels dürfen gerade für den ländlichen Raum nicht unterschätzt werden.

Wie kann «das Dorf» nun auf diese verschiedenen Herausforderungen reagieren? Muss es seine Eigenständigkeit aufgeben und sich den jeweils nächstliegenden städtischen Zentren anschliessen, um weiterhin überlebensfähig zu bleiben? Sind Gemeindefusionen wirklich der einzige Weg, damit «das Dorf» überleben kann? Dies ist nicht zwingend der Fall, da eventuelle finanzielle Vorteile durch Gemeindefusionen auch auf anderen Wegen erreicht werden können. Deutlich wichtiger für die Zukunft der Dörfer ist es, dass diese sich über ihre zukünftige Funktion im gesamten Gemeinwesen der Schweiz klar werden. Sie müssen sich in einem gewissen Masse neu definieren. Dabei sind selbstverständlich regionale Unterschiede zu berücksichtigen: Ein Dorf im Zürcher Weinland muss sich anders definieren als ein Bergdorf im Münstertal oder ein Winzerdorf am Genfer See. Ähnlich einem Unternehmen in der Umbruchphase muss sich auch «das Dorf» den Herausforderungen des Wandels stellen, die entsprechenden Strategien entwickeln und umsetzen. Gelingt den Dörfern diese strategische Neupositionierung, dann haben sie gerade in der Schweiz auch langfristig eine attraktive Zukunft.


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