Ulrich Tilgner berichtet seit 30 Jahren als Korrespondent über den Nahen und Mittleren Osten – früher für das ZDF, seit 2009 nur noch für das Schweizer Fernsehen. prisma sprach mit dem gebürtigen Bremer über sein neues Buch, die Berichterstattung der westlichen Medien im Mittleren Osten und die Atompolitik des Iran.
Herr Tilgner, wie sind sie zum Beruf des Korrespondenten gekommen?Es war eine der Möglichkeiten, die sich nach meinem Studium entwickelte. Begonnen hat es mit einem Praktikum bei einer deutschen Rundfunkanstalt, welches ein Professor vermittelt hatte. Danach schrieb ich für Zeitungen, arbeitete in einer Nachrichtenagentur und für den Rundfunk. Anschliessend ging ich bereits 1981 als freiberuflicher Journalist in den Iran, da mir die Wartezeit, um als Auslandskorrespondent zu arbeiten, zu lang war. Heute wäre ein solcher Schritt wohl kaum noch möglich. Denn sie benötigen als Freiberufler sehr viele Aufträge, um überhaupt vernünftig leben und arbeiten zu können.
Wegen der Kosten?Genau. Als Korrespondent benötigen sie im Orient zumindest einen Übersetzer, welchem sie die Reisekosten sowie Vergütungen finanzieren müssen. Zudem bezahlen die Medien heutzutage immer weniger für denselben Aufwand und dieselbe Arbeit. Man steht als unabhängiger Korrespondent vor zunehmenden Problemen, wohingegen früher vergleichsweise angenehme Arbeitsbedingungen möglich waren.
Warum genau haben Sie sich denn für den Iran und den Mittleren Osten als Schauplatz Ihrer Berichterstattung entschieden?Ich besass während meines Studiums immer schon ein bestimmtes Interesse am Iran. Denn dieses Land spielte in der deutschen Studentenbewegung in den Sechzigerjahren eine grosse Rolle. Es gab oft Demonstrationen gegen das damals im Iran herrschende Schah-Regime. Ich wollte mich allerdings nicht damit zufrieden geben, lediglich gegen irgendjemanden zu demonstrieren und machte mir stattdessen vor Ort selbst ein Bild, also reiste ich als Student in den Iran. 1979, als ich bereits Journalist war, brach in dem Land dann die islamische Revolution aus. Natürlich brannte ich darauf, die Geschehnisse vor Ort als Korrespondent zu begleiten. Zu Anfang berichtete ich nur an meinen freien Tagen aus dem Iran und flog, so oft es der Arbeitsplan zuliess, nach Teheran. Zwei Jahre später machte ich den Iran dann zu meinem alleinigen Standort und kündigte meinen Vertrag in Deutschland.
Und sind bis heute geblieben.Ja, zumindest habe ich immer aus der Region berichtet. Denn es ist mir wichtig, nicht von einer Ecke des Globus in die nächste zu springen. Sie benötigen enorme Spezialkenntnisse, um sich mit den Problemen einer Region ernsthaft auseinandersetzen zu können und über sie zu berichten. Die analytischen Instrumente und der Augenschein allein reichen nicht aus. Gerade wenn ein Gebiet völlig anders als die westeuropäischen Staaten funktioniert, benötigen sie lange, um die Unterschiede wirklich zu begreifen.
Wie gehen Sie demnach bei der Berichterstattung genau vor?Ich arbeite immer mit Menschen zusammen, die in dem jeweiligen Land leben. Sie können meine Informationslücken schliessen, die ich als Westeuropäer besitze, und Kontinuität in die Betrachtung der Prozesse bringen, da sie sich immer vor Ort befinden. Normalerweise sind das ein Fahrer, ein Producer und ein Kameramann. Ich habe mir über die Jahre im Mittleren Osten ein Netz von solchen Mitarbeitern aufgebaut. So erhalte ich auch Zugänge zu unterschiedlichsten Kontakten und kann diese auch pflegen. Ohne solche Arbeitszusammenhänge steigt die ohnehin immer vorhandene Gefahr, dass ich beginne, in meinen Berichten Stereotypen zu reproduzieren und damit Vorurteile zu verstärken.
Wie beurteilen Sie denn die jüngsten Entwicklungen im Iran? Steht dem Land eine Öffnung gegenüber dem Westen bevor?Der neue iranische Präsident Hassan Rohani stammt aus dem Zentrum der herrschenden Klasse. Damit kann er als pragmatischer Vermittler zwischen den verschiedenen Fraktionen auftreten. Rohani möchte keine Verwestlichung des iranischen Systems, sondern signalisiert lediglich Verhandlungsbereitschaft und wartet jetzt auf internationale Reaktionen. Die Grundposition des Iran, insbesondere im Atomkonflikt, hat er nicht verschoben. Rohani möchte den Westen aber nicht verprellen und arbeitet auf eine Lösung der Spannungen hin. Dabei steht er unter massivem Druck radikal-konservativer Kräfte. Seine Ziele, wie der Abbau der internationalen Sanktionen, die Wiederherstellung der Geldwertstabilität oder die Integration der Bedürfnisse der Bevölkerung in die iranische Politik, sind äusserst ehrgeizig. Es handelt sich also nicht um eine Änderung des Systems, sondern um einen Neuanfang iranischer Politik nach einer Dekade der Misswirtschaft.
Die Atompolitik des Iran bleibt also bestehen?Absolut. Dass der Iran die Atombombe bauen will, bleibt ein Vorwurf aus dem Westen, der im Lande bestritten wird. Ich bin der Überzeugung, dass der Iran lediglich die Fähigkeit erwerben möchte, die Bombe bauen zu können, und nicht plant, dies dann zu tun. Der Westen muss dem Iran darüber hinaus Anreize bieten, auf diesen Schritt der nuklearen Aufrüstung für immer zu verzichten. Druck ist zur Erreichung dieses Zieles eher kontraproduktiv. Dabei gilt es, die geografische Situation des Irans zu berücksichtigen. Der Atom-Staat Pakistan ist ein direkter Nachbar. Israel schliesst nicht aus, Iran mit nuklearem Arsenal anzugreifen und selbst die Weltmacht USA hat gegenüber Iran keine Atomwaffen-Verzichtserklärung abgegeben. Diese Umstände machen es unheimlich schwierig, den Iran davon abzuhalten, die Fähigkeit zum Bombenbau zu erwerben. Der Westen hat in dieser Beziehung bisher versagt.
Die Mittelost-Politik des Westens wird von Ihnen ja auch in Ihrem neuen Buch «Die Logik der Waffen» beschrieben. Können Sie diese genauer ausführen?Die USA haben in den letzten Jahren zwei Konflikte in der Nahost-Region verloren und müssen einer neuen Harvard-Studie zufolge sechs Billionen US-Dollar für deren Kosten tragen. Diese Einsätze können also unmöglich ökonomisch motiviert gewesen sein. Es handelte sich um reine Hegemonialpolitik. US-Regierungen haben versucht, die Region nach eigenen Vorstellungen mit militärischen Mitteln neu zu organisieren. Da dies offensichtlich nicht funktionierte, verfolgt USPräsident Obama eine neue Taktik, die ich im Buch zu beschreiben versuche. Im Gegensatz zu den offenen Kriegen der Vergangenheit erfolgt die neue Kriegsführung vor allem mit Einsatz von Drohnen, Computern und Spezialkommandos. Die USA informieren nicht mehr über die Einsätze und ermordeten Menschen mithilfe von Drohnenangriffen. Der Cyberwar gewinnt an Bedeutung und Attentate werden anonym ausgeführt. Im Iran wurden beispielsweise mehrere Nuklearwissenschaftler durch Autobomben ermordet und Zentrifugen in Atomanlagen durch einen Computervirus ausser Kraft gesetzt.
Wer ist denn für diese Ermordungen verantwortlich?Die US-Regierung führt eine sogenannte «Kill List», auf der Personen aufgeführt sind, die getötet werden sollen. Wer genau für die Morde verantwortlich ist, bleibt meist unklar, doch die westlichen Staaten verurteilen diese Morde nicht. Das ist eine Katastrophe für die globale politische Kultur. Langfristig unterminiert der Westen durch solch ein Verhalten seine Glaubwürdigkeit. Wenn Bürger westlicher Staaten ermordet werden, nennt man die Täter Terroristen. Wenn die USA in Pakistan mit Drohnenangriffen über 3’000 Menschen töten, nennt man das «smart policy» oder intelligente Nutzung von Macht. Die Amerikaner haben mittlerweile ein globales Netz von Drohnen-Stützpunkten aufgebaut, von denen aus sie jederzeit Menschen töten können. Völkerrechtlich gesehen sind solche Drohnenangriffe absolutes Neuland, weshalb sie überhaupt nicht geregelt sind. Diese Lücke scheint Politiker jedoch nicht ernsthaft zu interessieren. Dabei müssten die Regelwerke geändert werden, wenn sich die Rahmenbedingungen für Kriege ändern.
Wird diese Art von Kriegsführung ein Stück weit auch von westlichen Medien durch einseitige Berichterstattung ermöglicht?Die Medien tragen insofern Verantwortung, als sie ihrer Aufgabe der aufklärenden Berichterstattung nicht mehr gerecht werden. Verdeckte amerikanische Kriege werden oftmals nicht einmal wahrgenommen. Es ist nicht so, dass Journalisten freiwillig Propaganda für die US-Regierung betreiben, aber sie durchschauen deren Politik nicht mehr. Wenn die USA Menschen umbringen, wird kaum darüber berichtet, doch wenn Terroristen Menschen töten, sind das Ereignisse, mit denen die Welt in Atem gehalten wird. So verhält es sich auch beim Iran. Das global gezeichnete Bild des Iran befindet sich schlichtweg in einer Schieflage. Doch auch die Politiker und eine unaufmerksame Öffentlichkeit tragen Verantwortung dafür. Insbesondere die Schweiz sehe ich aufgrund ihrer neutralen Position in einer gewissen Handlungspflicht gegenüber solchen Missständen.
Was denken Sie denn, wo diese Entwicklungen noch hinführen?
Die politischen Anstrengungen, um die Situation der Menschen in den Krisengebieten des arabischen Frühlings zu verbessern, werden zunehmend geringer. Bis zum Sturz der Diktatur in Tunesien gab es nicht einmal 100 Tote. In Ägypten waren es dann knapp 1’000 und in Libyen bereits 30’000 bis 50’000 Opfer. In Syrien ist man jetzt bereits bei 120’000 Todesopfern. Die Verwilderung dieser Konflikte nimmt also wahnsinnige Ausmasse an. Es werden nicht mehr politische, sondern nur noch militärische Lösungen gesucht. Zudem traut man den arabischen Staaten die Demokratie nicht wirklich zu, da in diesen Ländern dem Westen nicht genehme islamische Parteien gewählt werden. Die Regierung von Mohammed Mursi in Ägypten hat keinerlei ausländische Hilfe erhalten, während die USA zeitgleich die Putschisten des Militärs unterstützt haben. Als diese dann an die Macht gelangten, erhielten sie bereits am ersten Tag neun Milliarden US-Dollar von den Golfstaaten. Mit solch einer Vorgehensweise lässt sich in arabischen Staaten kein demokratisches System aufbauen.