Das Leben im Schwebezustand

Wir sind auf dem Höhepunkt der Beziehungsformen angekommen: «Mingles» wollen sich nicht auf eine Beziehung einlassen, möchten aber auch keinen One-Night-Stand ohne Gefühle. Unsere Redaktorin erzählt von ihren Erlebnissen.

Es kostet mich doch etwas Überwindung, diesen Text zu schreiben und so viel von meinem Leben preiszugeben. Da ich aber der Meinung bin, nichts Verwerfliches, Anstössiges oder Unmoralisches getan, niemanden betrogen und schon gar keine falschen Versprechungen gemacht zu haben, erzähle ich euch von meinen Erfahrungen als Mingle. One-Night-Stands sind heute – lassen wir mal die Meinung der erzkatholischen Christen weg und setzen voraus, wir betrügen dabei nicht unseren Partner oder unsere Partnerin – schon beinahe so akzeptiert, wie ein Ferienflirt. Auch die Freundschaften als «Fuck Buddies» und «Friends with Benefits» sind heute weitum verbreitet und zeigen auf, worum es geht: Wir sind befreundet, es ist aber keine Beziehung und ja, wir schlafen miteinander.

So unkompliziert ist es bei Mingles nicht. Es ist mehr als «nur» Sex. Dabei sollte der Begriff an sich doch schon klärend sein. Mixed Single, also eine Art Halb-Beziehung. Ich glaube, mit dem Durchbrechen dieser letzten Schranke zwischen körperlicher Begierde und bedingungsloser Liebe haben wir den Höhepunkt der Beziehungsformen erreicht. Es stehen uns alle Türen offen.

Hätte man mich vor zwei Jahren gefragt, ob ich mich je auf so was einlassen würde, hätte ich mir an den Kopf gefasst und wohl laut «Spinnst du?» gesagt. Dann habe ich Fabian (Name geändert) getroffen. Wir hatten einen ähnlichen Freundeskreis, haben aber nie wirklich ein Gespräch geführt bis an jenem Abend, an dem wir in einer Absteige einige Biere mit Freunden getrunken haben. In der Woche darauf waren wir fürs Kino verabredet, zwei Tage später haben wir miteinander geschlafen. Schon bald stellte sich die Frage «Was sind wir eigentlich?». Wir haben uns entschieden, diese Frage vorläufig mal unbeantwortet im Raum stehen zu lassen. Sie blieb es bis heute.

In den Monaten nach unserer ersten gemeinsamen Nacht habe ich Fabian mindestens einmal in der Woche getroffen, oft auch häufiger. Meistens hatten wir dann Sex. Wir waren aber auch zusammen essen, im Ausgang, an Konzerten, haben auf dem Sofa gekuschelt und sogar eine Zugreise durch die ganze Schweiz gemacht. Während weinseligen Nächten haben wir frierend auf dem Balkon viele tiefgründige und intime Gespräche geführt. Nur über die eine Sache redeten wir nie: über uns.

Das Leben als Mingle ist eine Art Schwebezustand, etwas Halbes. Mehr als nur Freundschaft, mehr als nur Sex und irgendwie doch nicht mehr als diese beiden Dinge kombiniert. Und warum soll es auch mehr sein, wenn man sich nicht binden will? Ich glaube, gerade weil wir die «Generation Y» sind und uns so viele Möglichkeiten offen stehen, wollen oder vielleicht können wir uns nicht entscheiden. Wir haben immer Angst, etwas zu verpassen. Und ganz ehrlich: Ich bin noch so jung, da möchte ich auch nichts verpassen. Ich will mit meinen Freunden in den Urlaub fahren, will ein Semester im Ausland studieren, will alleine wohnen, die Unabhängigkeit in meiner ersten eigenen Wohnung geniessen und am Mittwochabend im Backstage feiern können.

Man sagt den Mingles nach, sie könnten keine Verpflichtungen eingehen und seien nicht bereit, sich auf die Kompromisse in einer Beziehung einzulassen. Aber gerade weil sie sich eben darauf einstellen, keine Beziehung einzugehen und kein Commitment zu machen, sind sie zu einem Kompromiss bereit. Ich wäre gerne in einer Beziehung, aber warum soll ich mich binden und womöglich verstellen, wenn sie doch gar nicht das Richtige ist? Wieso soll ich auf Sex verzichten, nur weil ich meinen Traummann noch nicht gefunden habe und mir ein One-Night-Stand zu wenig emotional ist?

Ich konnte mir nie eine richtige Beziehung mit Fabian vorstellen, wir sind zu verschieden und ich kann mit absoluter Überzeugung sagen, dass es mit uns beiden als Paar nie funktioniert hätte. Eine letzte Frage gibt es aber dennoch zu klären: Was passiert, wenn man in einer Mingle-Beziehung ist und plötzlich den Mann oder die Frau fürs Leben findet? Vielleicht genau weil Fabian und ich nie über uns geredet haben, war es ein Leichtes, den Mingle-Zustand wieder aufzulösen. Wir sind auch heute noch gute Freunde, gehen zusammen feiern, führen stundenlange Gespräche oder gehen ins Kino. Einziger Unterschied: Wir schlafen nicht mehr miteinander. In diesem Sinne: Ein Hoch auf Mingles!


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