Wer in den Austausch will, muss gute Englischkenntnisse haben. Mit einem faktischen Monopol auf deren Nachweis setzt das Unternehmen hinter TOEFL jährlich eine Milliarde Dollar um. Ein fragwürdiges Geschäft auf dem Rücken der Studenten – und mit dem Segen der Universität.
Nur ein einziger Punkt fehlte. Ein entscheidender Punkt. Das Gymnasium absolvierte Denis zweisprachig – Geschichte, Mathematik, Biologie und Chemie wurden auf Englisch unterrichtet. In der elften Klasse war er ein Jahr im Austausch an einer High School im US-Bundesstaat Illinois. Als er zurückkam, wagte er sich an den Cambridge Proficiency-Test und bestand mit Bravour: Grade A.
Doch das nützt ihm heute nichts mehr. Sein Zertifikat ist zwar lebenslang gültig, aber die HSG schreibt vor, dass der Englischnachweis für den Austausch nicht älter als zwei Jahre sein darf. Back to square one. Also meldete sich Florian für den «Test of English as a Foreign Language» (TOEFL) an und erreichte 99 Punkte – einen Punkt zu wenig.
Monopolistin der Testindustrie
Nach Angaben von Educational Testing System (ETS), jenem Unternehmen aus Princeton, New Jersey, welches den TOEFL entwickelt und vermarktet, wurde der Test seit seiner Einführung im Jahr 1964 bisher weltweit über 25 Millionen Mal absolviert. Unter den Absolventen sind auch zahlreiche HSGStudenten, die den Test bequem direkt an der Uni machen können. Schliesslich ist das Sprachenzentrum der HSG ein von ETS akkreditiertes Testcenter. 250 US-Dollar kostet die Prüfung, Lernmaterialien exklusive. Für die Durchführung der Prüfungen wird die HSG entschädigt: «ETS kompensiert die zur Verfügung gestellte Infrastruktur», heisst es beim Sprachenzentrum der HSG. In Deutschland erhalten die Testcenter 30 bis 40 Euro pro durchgeführten Test. Für die Schweiz gibt es keine Zahlen; die Anfragen von prisma wollte ETS nicht beantworten.
Neben dem TOEFL ist ETS auch für den Scholastic Assessment Test (SAT) verantwortlich – die standardisierte amerikanische Maturaprüfung. Laut eigenen Angaben ist ETS somit das grösste Unternehmen in der globalen Testindustrie. In den vergangenen Jahren hat das Unternehmen schleichend eine Monopolstellung eingenommen, denn der TOEFL ist für viele Universitäten im englischsprachigen Raum eine Zulassungsvoraussetzung für ausländische Studenten; der SAT für Amerikaner unumgänglich, wenn sie studieren möchten. Mit der wachsenden Bedeutung der TOEFL-Zertifikate und der fehlenden Alternativen sind auch die Preise explodiert. In Deutschland zum Beispiel sind die Kosten für die Prüfung seit 2006 um 55 Prozent gestiegen. Laut ETS sei das auf erhöhte administrative Ausgaben zurückzuführen.
Eine Milliarde Umsatz
Brisant dabei ist vor allem eines: ETS ist eine Non-Profit-Organisation und zahlt somit in den USA keine Steuern. Die Organisation macht rund eine Milliarde US-Dollar Umsatz im Jahr. Gleichzeitig werden Kosten tief gehalten, indem studentische Mitarbeiter die Texte im Akkord korrigieren. Der CEO Kurt Landgraf wird mit einem Jahresgehalt von etwa 1.2 Millionen US-Dollar für den weltweiten Erfolg entschädigt. Weil ETS keinen externen Evaluationen ausgesetzt wird und als «gemeinnützige Organisation» der amerikanischen Regierung und den Steuerbehörden kaum Rechenschaft ablegen muss, kann sie nach eigenem Befinden schalten und walten.
Dies könnte auch einer der Gründe dafür sein, dass die Gültigkeitsdauer des Zertifikates auf zwei Jahre beschränkt ist. «Der TOEFL-Test misst die Englischkenntnisse zu einem bestimmten Zeitpunkt. Es handelt sich nicht um ein Sprachenzertifikat, das darauf abzielt, eine bestimmte Stufe des Fremdsprachenerwerbs genau zu überprüfen», sagt Pavla Rulfova-Schlegel, Leiterin des Sprachenzentrums der HSG und Verantwortliche für die Durchführung der TOEFL-Prüfungen. Nach wissenschaftlichen Studien, unter anderem durchgeführt durch ETS, können sich die Englischkenntnisse eines Kandidaten verändern, wenn er beispielsweise zwei Jahre kaum mehr Englisch spricht.
Freiwillige Abhängigkeit
Wer an einer Partneruniversität der HSG ein Austauschsemester absolvieren will, hat durchaus andere Möglichkeiten als den TOEFL. Akzeptiert werden neben einem Grade C im Cambridge Proficiency auch ein Cambridge Certificate in Advanced English mit Grade B oder ein IELTS Academic Test mit Grade 7. Das erfolgreiche Bestehen des universitätseigenen Sprachkurses auf Niveau II reicht hingegen nicht als Voraussetzung für den Austausch – obwohl der bestandene Kurs auf dem Sprachniveau C2 (nach dem gemeinsamen europäischen Referenzrahmen GER) abschliesst. Warum also werden die Studentinnen und Studenten der HSG gezwungen, ein externes Zertifikat vorzuweisen? «Viele Universitäten sind rechtlich dazu verpflichtet, die Sprachkenntnisse durch ein anerkanntes Sprachdiplom zu überprüfen, bevor sie eine Zulassung zum Gastsemester aussprechen», rechtfertigt das Jürgen Brücker, Leiter Aussenbeziehungen und Entwicklung der HSG. International anerkannte Sprachtests seien deshalb ein guter Indikator der Sprachkenntnisse. Mit den HSG-eigenen Sprachprüfungen auf Niveau I oder II habe der TOEFL nur wenig zu tun. «Wer in den Austausch will, ist nicht gezwungen, Englisch-Kurse zu absolvieren, sondern kann seine Fremdsprachen im Studium frei wählen», so Andreas Härter, Verantwortlicher für die Fremdsprachen an der HSG. Ein TOEFL-Diplom verhindert also, dass die Studenten ihre Fremdsprachenwahl aufgrund des Austauschsemesters einschränken müssen. «Der TOEFL-Test erfüllt auf unproblematische Weise die Anforderungen für den Austausch und ermöglicht allen Studierenden, die in den Austausch wollen, dieselben Bedingungen», sagt Jürgen Brücker. Dasselbe gelte auch für die Zulassung zu englischsprachigen Masterstudiengängen.
Doch das Monopol von ETS beginnt allmählich zu bröckeln. Während man an der HSG am TOEFL als anerkanntes Diplom festhält, entscheiden sich mehr und mehr Universitäten, den Test von ihrer Liste der Zulassungskriterien zu streichen. Im Mai 2012 entschied sich etwa die Universität Hamburg, auf den Test als Voraussetzung für einen Bachelor in Anglistik zu verzichten. Wie die Zeit Online schrieb, sei der administrative Aufwand zu gross. An der HSG ist man sich der Monopolstellung von ETS durchaus bewusst, von einer Abhängigkeit könne aber nicht die Rede sein, so Rulfova-Schlegel. «Die HSG macht für ganz bestimmte Zwecke von einem einfachen Testverfahren Gebrauch, das durchaus durch andere Testverfahren ersetzbar wäre», so die Leiterin des Sprachenzentrums. Wesentlich sei vor allem, ergänzt Härter, dass sich die HSG bei ihren eigenen Sprachangeboten, den Kursen auf Niveau I und II, nicht unter die Autorität eines kommerziellen Anbieters begebe. «Das Sprachenzentrum behält aber die Entwicklung im Markt der Sprachtests im Auge», sagt Rulfova-Schlegel.
Um den TOEFL kommt man also an der HSG zwar herum, wenn man bereit ist, sich einem anderen – noch teureren – Sprachtest zu unterziehen. Die universitätseigenen Sprachkurse auf Niveau I und II reichen aber nicht als Zulassung zu einem Austauschsemester – auch wenn sie auf einem vergleichbaren Niveau abschliessen und ein guter TOEFL-Score nur begrenzt etwas mit gutem Englisch zu tun hat. Und so werden wohl noch viele HSGler in den Räumlichkeiten des Sprachenzentrums vor dem PC sitzen, um sich der TOEFL-Challenge zu stellen und sich in die Fänge einer zwielichtigen Organisation begeben.