Militärische Spannungen häufen sich zurzeit weltweit. Wer eine gut gerüstete Armee will, muss sich auch als attraktiver Arbeitgeber positionieren. Höchste Zeit, offene Fragen mit Verteidigungsminister Guy Parmelin zu klären.
Im Zuge der WEA (Weiterentwicklung der Armee) bekommen Offiziere eine Ausbildungszulage. Warum bekommen aber Gruppenführer, die häufig als wichtiges Glied der Armee bezeichnet werden, diese Zulage nicht?Aufgrund der finanziellen Mittel mussten wir Prioritäten setzen. Deshalb haben wir im Verlauf der WEA mit Arbeitgeberverbänden diskutiert, weil die Vereinbarkeit des Studiums mit dem Militär schon immer Konfliktpotenzial barg. Dann war die Idee, eine Motivation für das «Weitermachen» zu bieten, wobei diese mit dem neuen Chef Ausbildungen – KKdt Baumgartner – und verschiedenen Organisationen entstand. Jedoch ist auch das Geld sehr wichtig, dieses Problem liegt daher eher beim Finanzdepartement. Somit ist diese Lösung ein Kompromiss.
Was sagen Sie zu einem Gruppenführer, der sich übergangen fühlt?Wir haben gerade erst mit der WEA begonnen und der Prozess dauert fünf Jahre. Bis die WEA umgesetzt ist, müssen noch einige Analysen vorgenommen und Änderungen gemacht werden. Alles muss auch in Absprache mit dem Parlament geschehen, wobei dieses alle sechs Monate einen Lagebericht zu den einzelnen Stärken und Schwächen der WEA verlangt. Ich denke, dass wir eine Bilanz machen müssen, aber es kann nicht bereits am Anfang alles verändert werden. Das Parlament würde eine Verschiebung der Prioritäten vermutlich auch nicht akzeptieren. Wahrscheinlich müssen aber einige Schwächen verbessert werden, was schliesslich auch unser Ziel ist. Man kann sich bekanntlich immer verbessern.
Bei vielen Studenten gibt es das Vorurteil, dass die anstehenden Wiederholungskurse (WKs) in der Privatwirtschaft ein potenzielles Hindernis darstellen könnten. Was ist die Legitimation des WK-Modells?Es gibt mehrere Möglichkeiten, wobei wir vielleicht zuerst von der Rekrutenschule und dem Studium sprechen sollten, und erst danach von den Wiederholungskursen. Zum einen gibt es die Durchdiener, wobei maximal 15 Prozent aller Rekruten eine solche Art des Dienstes antreten können. Dann muss der Student auch überlegen, ob er Unteroffizier oder höherer Unteroffizier werden möchte. Hier kommen verschiedene Anreize dazu – unter anderem eine verstärkte Ausbildung im Bereich Führung zu erhalten. Es bleibt auch die Möglichkeit, welche jedoch sehr begrenzt ist, den Dienst zu fraktionieren, wenn es ein grundsätzliches Problem bei der Vereinbarkeit mit dem Studium geben sollte. Wenn ich dies mit dem vorherigen Modell vergleiche, sehe ich grosse Verbesserungen, die jetzt in Kraft getreten sind. Sie haben aber Recht, man kann sich immer verbessern. Wenn Sie jedoch eine Armee nehmen und eine Teilmobilisierung befohlen wird, beispielsweise bei einem Terrorangriff, dann hat die Armee einen Rahmen, in dem man sich bewegen muss, der auch immer weniger attraktiv ist als eine freie Wahl.
Es gibt Kantone – beispielsweise Neuenburg – die eine sehr hohe Untauglichkeitsrate haben. Wie sind diese krassen Unterschiede erklärbar?Wir haben im Rekrutierungszentrum in Lausanne mit Militärärzten und -psychologen diskutiert. Am Ende entscheidet die Gesundheit über die Tauglichkeit, was ja anhand von verschiedenen Tests festgestellt wird. Wenn also der Arzt jemanden untauglich stempelt, kann man nichts machen. Wir haben eine Statistik gesehen, in welcher man sieht, dass es keine Frage der regionalen Zugehörigkeit ist. Feststellbar ist, dass in Stadtzonen im Vergleich zu ländlichen Gebieten die Untauglichkeit eher steigt, aber wenn man die Entwicklung in den letzten Jahren anschaut, ist auch dies relativ stabil.
Ich kenne viele Beispiele aus dem Militär, wo Personen auf die Tränendrüse drückten und so untauglich wurden. Kann das so sein?Es gibt immer jemanden, der durchkommt. Was mich aber stört, ist, wenn jemand sagt, dass seine erste Priorität Infanterist sei, seine zweite aber Zivildienst. Das geht einfach nicht, diese Person hat kein Problem mit dem Militär. So wird das Problem der Attraktivität der Armee ersichtlich, aber die Attraktivität der Armee kann einfach nicht grösser sein als jene des Zivildienstes. Wenn Sie entscheiden, ob Sie am Morgen um 8:00 wählen können, wo Sie sein wollen, und am Freitag um 16:00 zu Hause sind, dann kann die Armee nicht mithalten. Im Falle einer Katastrophe muss die Armee auch Einsätze in der Nacht oder über das Wochenende leisten, was nicht gleich interessant ist wie das andere. Wenn alle ihre Verpflichtungen vermeiden wollen, dann haben wir ein Problem bei der Katastrophenhilfe. Wir haben schon Kritik der Kantone erhalten, die nicht mehr genügend Zivilschützer haben. Man muss sich die Frage stellen, wie man das lösen könnte, und niemand will eine Gewissensprüfung, wie es sie früher gab, wieder einführen.
Denken Sie, dass die Attraktivität der Armee bei den Jungen nicht mehr gleich gross ist wie früher?Zum einen ist das wahrscheinlich ein Generationenproblem, zum anderen leben wir in einer Wohlstandsgesellschaft, die glücklicherweise ohne Konflikte aufwuchs. Die Generationen vor uns haben noch einen Weltkrieg unmittelbar mitbekommen. Das war eine harte Zeit. Auch ich habe diese Erfahrung nicht gemacht. Darauf folgte der Kalte Krieg und der Mauerfall 1989, wobei der Gedanke Einzug hielt, dass jetzt der ewige Friede kommen würde. In der heutigen Zeit nehmen die Spannungen zwischen den Staaten aber wieder zu. Zudem werden wir auch immer egoistischer. Wenn Sie Dienst leisten, machen Sie das für das Land und die Sicherheit. Man sieht, dass die Armee zum Schutz der kritischen Infrastruktur gebraucht wird und um die zivilen Kräften zu unterstützen. Offensichtlich wird das am Beispiel Bondo, wo die Armee als letzte Reserve des Bundesrates eingesetzt wurde. Der Sinn der Armee und was sie für das Land leistet, wurde wahrscheinlich zu wenig diskutiert mit der jungen Generation. Das ist kein Vorwurf, aber heute spricht man wieder mehr über Sicherheit. Auch junge Frauen leisten vermehrt Militärdienst.
Sie haben die Frauen erwähnt. Was halten Sie von einer Wehrpflicht für alle?Zuerst denke ich, dass es schade ist, dass Frauen Informationen, welche Männern vermittelt werden, vorenthalten werden. Das ist aber sehr kompliziert, das kann ich Ihnen sagen. Die Idee war, dass der Informationstag für alle obligatorisch wird, aber wir wissen nun, dass es dafür eine Verfassungsänderung braucht. Das Parlament wird diese Idee ablehnen. Da der Informationstag in der Hoheit der Kantone liegt, werden wir das noch einmal diskutieren. Was vielleicht bei den Zahlen der Untauglichkeit auch zum Vorschein kommen könnte, ist, dass gewisse Kantone eine sehr gute Arbeit leisten, während andere eher das Minimum ihrer Aufgabe erledigen. Wenn die Kantone mit Verbesserungen einverstanden sind, wird der Bund das unterstützen. Wenn sie aber nichts verbessern wollen, dann können wir nichts forcieren. Ich habe manchmal junge Frauen, die mir schreiben, dass sie mit der Situation unzufrieden sind. Sie hätten gerne Informationen bekommen, aber keine erhalten, und als sie sich freiwillig bei den Kantonen gemeldet haben, wurde ihnen mitgeteilt, dass sie zu spät seien. Das ist aus meiner Sicht nicht korrekt, denn sie haben nicht die gleichen Möglichkeiten.
Uns wurde als Anreiz zum Weitermachen aufgetischt, dass man einen deutlichen Vorteil am Arbeitsmarkt habe. Doch aufgrund der WK fehlt man jährlich zwei Monate (inklusive vier Wochen Ferien) am Arbeitsplatz. Nicht wenige Arbeitgeber sind davon alles andere als begeistert. Wie stehen Sie zu diesem Problem?Ich denke, dass es schade ist, dass die Arbeitgeber die Milizarmee nicht so anerkennen, wie diese es verdient hätte. Mehrere Länder haben im Moment das Ziel, ein ähnliches Modell wie die Schweiz einzuführen, was ja die Stärken dieses Modells aufzeigt. Wir versuchen den Arbeitgebern darzulegen, was diese Stärken sind, damit es auch in ihrem Interesse ist, dass unsere jungen Leute den Militärdienst machen. Ein Problem, das wir sehen, kommt durch die Internationalisierung der Wirtschaft, denn viele CEOs von grossen Firmen kennen das System nicht, wobei wir versuchen, sie möglichst gut zu informieren.
Zum Thema Cyber Defence: Warum ist das überhaupt aktuell geworden?Ich bin seit dem 1. Januar 2016 für das Departement zuständig. Die Armee hat dieses Problem aber schon im Voraus analysiert. Heute sieht man, dass Cyberattacken ein allgemeines Sicherheitsproblem sind, nicht ausschliesslich für die Armee, sondern insbesondere auch für Unternehmen, KMUs und die Verwaltung. Nach dem Cyberangriff gegen die RUAG im Januar 2016 haben wir unsere Stärken und Schwächen analysiert und einen Cyberplan für die Verteidigung eingereicht. Jetzt wollen wir uns in diesem Bereich verbessern und stehen in Kontakt mit der ETH und der EPFL. Das Hauptproblem sind Kompetenzen und Kapazitäten. Hinsichtlich der Rekrutierung von Cyberspezialisten stehen wir in Konkurrenz mit grossen Unternehmen wie Microsoft oder Google. Die Armee ist aber ein interessanter Arbeitgeber für Cyberspezialisten.
Wäre eine Professionalisierung der Armee in der Cyber Defence dann nicht von Vorteil, also eine Abweichung von der Milizarmee in dieser Hinsicht?Bei uns arbeiten heute bereits 150 Cyberspezialisten. Ihre Aufgabe ist der Schutz unserer Infrastruktur. Die Cyberstelle des Bundes ist beim eidgenössischen Finanzdepartement angesiedelt. Wir werden ab Juni einen Cyberlehrgang für Milizsoldaten anbieten. Diese werden von unseren Cyberspezialisten ausgebildet. Im Gegenzug können wir vom Wissen aus der Privatwirtschaft, das diese jungen Leute mitbringen, profitieren.
Glauben Sie, dass in Zukunft in einer Kriegssituation Cyberangriffe mehr zum Gefahrenherd werden und die «klassischen Kriegsführungsmittel»an Relevanz verlieren?
Nein, man spricht von hybriden Situationen. Am Beispiel der Krim lässt sich das verdeutlichen. Dort gab es zuerst Cyberangriffe, anschliessend marschierten Soldaten ohne klare Staatsangehörigkeit ein. Heute beginnt ein Konflikt oft mit Cyberattacken. Zudem muss bedacht werden, dass diese viel weniger kosten als klassische Kriegsführung. Man kann so Logistikzentren blockieren, und was machen wir dann? Natürlich ergreifen wir da Massnahmen, aber wenn wir 35 000 Soldaten innerhalb von zehn Tagen mobilisieren wollen, müssen diese ausgerüstet werden. Wenn das nicht passiert, haben wir ein Problem. Es muss beachtet werden, dass zuerst eine Störung durch Cyberangriffe erwartet werden muss, aber das Risiko eines normalen Kriegs leider wieder steigt.
Was waren für Sie die einschneidensten Veränderungen, als Sie das Amt des Bundesrates übernommen haben?Es hat viele Änderungen gegeben. Ich war Parlamentarier, also in der Legislative, jetzt bin ich in der Exekutive. Dies ist total verschieden, denn jetzt muss ich Entscheidungen treffen und führen. Natürlich habe ich Unterstellte, die mich unterstützen und ihre eigene Verantwortlichkeiten haben, aber schlussendlich trage ich die politische Verantwortung. Das Familienleben hat sich dementsprechend auch verändert, aber da müssen Sie eher meine Frau fragen, sie kann Ihnen mehr dazu sagen.