Der Gründer der Bundeshaus-Band

Andrea Caroni, Dozent für Bundesstaatsrecht und Ständerat des Kantons Appenzell Ausserrhoden, offenbart unter anderem, warum er in Debatten mit seiner Tochter oftmals weich wird.

An einem trüben, windstillen Morgen verlässt prisma seinen Heimatkanton und trifft nach einigen Fahrminuten Richtung Westen in Herisau, dem Haupt-
ort von Appenzell Ausserrhoden ein. Jeder scheint sich hier zu kennen: ob kopfnickend oder mit einem freundlichen Lächeln – man grüsst sich auf der Strasse. Am vereinbarten Ort angekommen, erwarten wir Andrea Caroni in seiner Anwaltskanzlei: «Ich wohne nur einige Minuten von hier weg – ich sehe die Kanzlei wie ein Büro, als eine Ergänzung meines Hauses.» Obwohl er Sprachaufenthalte, Praktika und sein Studium in verschiedensten Ecken der Welt durchführen durfte, zieht es den FDP-Ständerat immer wieder in seine Heimat zurück. «Solange ich mit Freunden an einem Tisch sitzen kann, ist das Gesprächsthema sekundär.»

Ursi und der Karrierewunsch
Andrea Caronis Geschichte nahm ihre Anfänge in Grub, einem kleinen Dorf an der Grenze der Kantone AR und SG. In dieser kleinen Gemeinde mit knapp 1 000 Einwohnern begann seine Schulzeit. «Wir waren immer eine Traumklasse – der Zusammenhalt der Schüler war unbeschreiblich. Bis heute haben wir noch Kontakt miteinander», erinnert sich Caroni. Schon in seiner Primarschulzeit stand eines fest: Er möchte Anwalt werden. Dieser Entscheid fiel einerseits zum Zeitpunkt, als er merkte, dass man nicht nur Monopoly-Partien gewinnen muss, um Bankier zu werden; andererseits war eine Frau im Spiel.
Sein Schullehrer hatte damals eine bemerkenswerte Herangehensweise an die Korrektur von Prüfungen: Er habe diese eingesammelt, durchgemischt und an die Schüler zurück verteilt, sodass sie diese untereinander und unter seinen Anweisungen korrigieren konnten. Andrea Caroni war bei dieser Angelegenheit scharf darauf bedacht, dass ihm ja nicht ein Viertel-Punkt zu wenig gegeben wird. «Aus irgendeinem Grund landeten meine Tests immer bei Ursi», erzählt Caroni. Sie sei als Korrektorin nicht immer auf der Flughöhe gewesen, weswegen er abermals vom Lehrer die von Ursi nicht gegebenen Punkte verlangte. In einem genervten Zustand habe Ursi damals gemeint, er solle doch «so ein blöder Anwalt» werden.
Diese Berufswahl war für Caroni nicht allzu fremd: Sein Tessiner Grossvater zog in seinen jungen Jahren als Anwalt in die Ostschweiz und übernahm dann als Unternehmer die Flug- und Fahrzeugwerke Altenrhein (FFA).Dessen Sohn wollte zwar ebenfalls Anwalt werden, das Familienunternehmen benötigte jedoch einen Ingenieur. «Ich wäre zwar auch gerne
Ingenieur – wie Daniel Düsentrieb – geworden, jedoch habe ich das technische Verständnis einer Tomate», schmunzelt Caroni. Auch in den Folgejahren wurde sein Interesse an Rechtswissenschaften immer wieder gefördert: Selbst in Rollenspielen in der Klasse fand sich der junge Eleve in der Rolle eines Anwalts oder Richters wieder. Zu seiner Maturafeier bekam er von seiner Tante, die selbst als Anwältin tätig war, ein ZGB/OR, als er sich bereits für ein Jus-Studium an der Universität Zürich entschieden hatte. «Ich war so oft es ging in einer Gastfamilie auf Sprachaufenthalt und nach der Kantonsschule wollte ich unbedingt mit Freunden eine WG gründen, was in St. Gallen, so nahe dem Elternhaus, seltsam gewesen wäre», antwortet Caroni auf die Frage, warum ein Studium an unserer Alma Mater für ihn nicht in Frage kam.

Von der Militärmusik in die Bundeshaus-Band
Bevor Andrea Caroni sein Studium in Angriff nahm, diente er der Schweizer Armee, und zwar als Schlagzeuger in der Militärmusik. Seine langjährige Leidenschaft prägte auch weiterhin sein Leben: Caroni spielte in Zürich in drei verschiedenen Bands mit. «Ich wäre zwar liebend gerne bei den Singstudenten mit von der Partie gewesen, doch die saufen so viel wie sie singen und man kann ja nicht einfach nach dem Singen gehen.» Obwohl die Universität Zürich so viele Facetten hat, sei es eine grosse Herausforderung gewesen, neue Kontakte zu knüpfen. Caroni hatte jedoch das Glück, mit zwei seiner besten Freunde in eine WG zu ziehen – die Fortsetzung langjähriger Freundschaft, die bis heute andauert. Währen des Studiums arbeitete Caroni als Assistent an der Uni und absolvierte auch ein Praktikum am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, wo sein Onkel Richter war.
Nach seinem Abschluss absolvierte Andrea Caroni in Costa Rica ein weiteres Praktikum am Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte. Nach seiner Rückkehr wollte der Jurist zwar nicht mehr unbedingt Anwalt werden, da er sich stark für Völkerrecht und internationale Beziehungen interessierte, sah aber das Anwaltspatent als wichtige Ergänzung zu seinem Studium. «Somit hätte ich nicht nur theoretische, sondern auch praktische Erfahrungen, einen Nachweis dafür und je nach Lebensverlauf einen Plan B», erläutert Caroni. Dies wollte er nicht nur aus heimatlichen Gründen in Appenzell Ausserrhoden vollenden, sondern auch weil das Prozedere viel effizienter war. Kurz vor seinem Lizenziat wurde er in den Gemeinderat gewählt und setzte somit seine politische Aktivität fort, die er schon mit 19 Jahren in der Geschäftsprüfungskommission seiner Gemeinde begonnen hatte.
Mit dem Anwaltspatent in der Tasche wollte der diplomierte Jurist seinen Wissenshunger in den Vereinigten Staaten stillen. Nach einer Zusage aus Harvard überlegte sich Andrea Caroni aber, ob er nicht doch zuerst eine Dissertation schreiben wollte. Bald fand er einen Professor, der seine Leidenschaft für Völkerrecht sowie seinen Plan einer effizienten Dissertation teilte. Nach gut einem Jahr wurde er mit summa cum laude promoviert. Bevor er nun aber in die USA reiste, holte ihn der damalige Bundesrat Hans-Rudolf Merz für knapp drei Jahre als persönlichen Mitarbeiter nach Bern. Harvard musste bis 2010 warten, bevor Andrea Caroni nach Merz‘ Rücktritt während zweier Jahre einen Master in Public Administration erwarb. Noch während seiner Harvard-Zeit kandidierte er in den Semesterferien in Ausserrhoden für den Nationalrat und wurde auch gewählt. Kurz danach wurde er Ständerat.
Getreu seiner Leidenschaft, der Musik, gründete er 2012 die Bundeshaus-Band. Sie besteht aus rund 50 aktiven Musikern, treffe sich aber aus zeitlichen Gründen nur zweimal im Jahr, einmal für einen Gesangsabend und einmal für ein Konzert. Andrea Caroni als Schlagzeuger habe aber nebst dieser Band auch das versteckte Talent von Alain Berset und seinem Assistenten entdeckt und jazzt mit den beiden bisweilen im Trio. Die Musik prägt den Ostschweizer – eine langjährige Leidenschaft.

Das perfekte Setup
«Ich beschäftige mich als Anwalt gerne mit Privaten, die mit Behörden im Clinch stehen. Wahrscheinlich kommt hierbei das Liberale in mir hervor», erzählt Caroni. Seit jeher ist er fasziniert von öffentlichem Recht – dies ist auch die Paradedisziplin seiner Anwaltskanzlei. Zum aktuellen Zeitpunkt könnte für ihn sein Leben nicht besser sein. Der Ständerat schafft es, seine juristischen, als auch politischen Tätigkeiten, ein aktives Familienleben, einen Lehrauftrag an der HSG und ein Amt in der Militärjustiz unter einen Hut zu bringen. Sein beschränktes Pensum in der Kanzlei möchte er so beibehalten, denn nur so bleibe genügend Zeit für seine zwei Kleinkinder und die Politik. «Das Angenehmste am Ganzen ist, dass sich die Bundespolitik an die Schulferien hält», meint Andrea Caroni. Das einzige, was wohl in diesem Turnus etwas untergeht, sind die Hobbys und Zeit für Freunde.
Auf die Frage, ob sich der Ostschweizer bald ein Amt als Bundesrat vorstellen könnte, antwortet Andrea Caroni: «Durch meine Tätigkeit als persönlicher Mitarbeiter von Hans-Rudolf Merz kenne ich das Preisschild dieses Amtes und habe kein romantisch verklärtes Bild von Glanz und Gloria dieser Führungsposition.» Ob er sich eine Kandidatur eines Tages vorstellen könne, vermöge er nicht zu sagen.

An Unterhaltung mangelt es dem Anwalt aber auch zu Hause nicht: Seine Tochter debattiert in eigener Sache eifrig mit. «Als Jurist ist man geschult, Schwachstellen in den Argumentationen zu finden, logisch einzuordnen und mit der Sprache zu spielen» – der kleine vierjährige Apfel scheint nicht weit vom Stamm gefallen zu sein. Zu den Diskussionen, warum die Tochter nun ins Bett muss und keinen Film mit ihren Eltern schauen darf, warum die Regeln und Rechte nicht für Gross und Klein dieselben sein können, meint der Jungvater: «BV-8-Beschwerden den ganzen Tag!» Im Kopf seiner Tochter wirke ein Team aus zehn Anwälten, die mehr Süssigkeiten und späteres Zubettgehen anbegehrten, gegen welche Caroni nur schwer eine Chance hat. Darin erkennt er augenzwinkernd ein allgemeines Dilemma von Eltern und Dozenten: Man wolle kritische Geister, die vieles in Frage stellen und sich eigene Meinungen bilden – solange die eigene Autorität in Ruhe gelassen wird.
Andrea Caroni sieht die HSG als einzigartige Universität – in der Schweiz sei dies das, was dem erfolgreichen amerikanischen Studienmodell am nächsten kommt. Das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Leistungsbereitschaft seien herausragend. «Die HSG als Leuchtturm der Ostschweiz – ich bin unglaublich stolz darauf, hier dozieren zu dürfen.»


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