Der migrationspolitische Kompass zeigt gegen Nord-Süd

Migration steht in Europa immer mehr unter Beschuss, vor allem von rechts. Doch auch migrationsfreundliche Gruppierungen helfen durch fehlende Kompromissbereitschaft nicht, Migration gerechter und anerkannter zu machen.

Beinahe die gesamte Bevölkerung von 22 Millionen ist auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die Infrastruktur ist zerstört, die gesundheitliche Versorgung existiert praktisch nicht mehr. Rund 1.8 Millionen Kinder sind akut mangelernährt, wovon 400 000 vom Hungertod bedroht sind. Zivile Einrichtungen wie Spitäler oder Schulen werden bombardiert. Bürgerkrieg und eine militärische Intervention unter der Führung Saudi-Arabiens haben den Jemen in eine humanitäre Katastrophe stürzen lassen. Man verschiebt nun den Blick vom Jemen, über «das Tor der Tränen», eine Meeresstrasse im roten Meer, bis man nach Eritrea gelangt. Dort herrscht ein diktatorisches Regime mit einem Nationaldienst, welcher mehr als zehn Jahre andauern kann; mit minimalem Sold und schlechten Lebensbedingungen.

Dieser Nationaldienst wird meist als Fluchtgrund angegeben, wenn Eritreer, oft über einen gefährlichen Weg via Nordafrika, nach Europa gelangen. In der Schweiz stellen Eritreer mit Abstand auch die grösste Gruppe der Asylsuchenden im Jahr 2017 dar. Jemeniten finden sich dagegen in der nach Land geordneten Statistik nicht unter den zwanzig häufigsten Asylgesuchsstellern. Dies liegt unter anderem daran, dass der Jemen von einer Blockade durch eine Allianz von arabischen Golfstaaten betroffen ist. Es ist für die jemenitische Bevölkerung also schwierig bis unmöglich, sich überhaupt auf die Flucht zu begeben. In Eritrea geht das viel leichter, auch durch die kürzliche Grenzöffnung mit dem Nachbarland Äthiopien. Es geht nicht darum, verschiedene Flüchtlingsgruppen gegeneinander auszuspielen, sondern nur zu zeigen, wie ungerecht das heutige System der ungeregelten Migration ist. Flüchtlinge von bestimmten Regionen ist es gar nicht erst möglich, in Europa Schutz zu suchen.

Migrationspolitische Irrungen

Doch die migrationspolitische Debatte in Europa dreht sich hauptsächlich um die Flüchtlinge und Migranten, welche diese erste Hürde überwunden haben und sich auf den Weg machen können. Eine Regulierung dieser Migrationsströme, und damit auch eine Begrenzung, wird von vielen NGOs und linken politischen Gruppen verworfen. So geschehen beim EU-Türkei-Abkommen, dem sogenannten «Flüchtlingsdeal». Dabei wird grundsätzlich alles abgelehnt, was nicht der eigenen Maximalforderung nach einer möglichst offenen Migration entspricht. Zwar bleibt damit ihre eigene moralische Integrität bestehen, den politischen Zielen dieser Gruppen dürfte dies aber nicht helfen. So führt ungeregelte Migration zu Unmut in Teilen der Bevölkerung der aufnehmenden Staaten. Durch die selbstattestierte moralische Überlegenheit wird diesen Bevölkerungsteilen Kritik an Migration als illegitim abgesprochen. Dabei übernehmen diese dadurch natürlich nicht die moralische Position der anderen, sondern entfremden sich noch mehr davon. Es kommt zur Spaltung innerhalb der Länder, durch den Aufstieg rechtspopulistischer, teilweise rassistischer Parteien, und auch zwischen den Ländern, wenn diese an die Macht gelangen. So schlägt das berechtigte Ziel der Schaffung einer möglichst offenen Gesellschaft ins Gegenteilige um. Italien verweigert nach der Regierungsbildung, angeführt von der rechtspopulistischen Lega, die Öffnung der Häfen für in Seenot geretteter Menschen. Der globalen Herausforderung der Migration entziehen sich so gewisse Länder und verunmöglichen eine ausgewogene Lösung durch Mitarbeit aller europäischen Staaten. Leidtragende davon sind natürlich die Migranten selbst, durch Festsitzen in unsicheren Staaten wie Libyen, und durch zunehmende Fremdenfeindlichkeit in den Ländern selbst.

Ungleich hohe Hürde für
Aufenthaltsbewilligung

Doch auch in anderer Hinsicht ist mit ungeregelter Migration den Migranten nicht geholfen. Es wird suggeriert, dass jeder, der es nach Europa schafft, automatisch ein Recht auf Bleibe besitzen würde. Dies ist falsch. Es gibt Personen aus Nationen, die praktisch nie eine Aufenthaltsbewilligung erhalten. Beispielsweise solche aus dem Kosovo oder aus westafrikanischen Staaten. Bevor also jedem ein Recht auf Migration zugesprochen werden sollte, müsst zuerst die Rechtsprechung und Gesetzgebung geändert werden, was durch die aktuelle politische Spaltung nicht möglich sein dürfte. Andernfalls sind die Migranten in der Illegalität gefangen. Es wurde alles aufgegeben und investiert, um den Weg nach Europa zu bestreiten. Eine Rückkehr kommt so auch aufgrund der Schande des Scheiterns nicht in Frage. Eine geregelte Arbeitsweise fällt aus und der Gang in die Kriminalität bleibt oft der einzige Ausweg, was den Grund liefert, weshalb Westafrikaner im Jahr 2016 pro tausend Einwohner fast sieben Mal öfters verurteilt wurden als Schweizer. Dies nicht, weil sie schlechtere Menschen sind; es dürfte keines Westafrikaners Traum gewesen sein, einst an der Langstrasse Kokain verkaufen zu müssen. Die Flucht aus bestimmten, verhältnismässig sicheren Gebieten muss unter der aktuellen Gesetzeslage zwingend eingeschränkt werden. Denn auch die Gefahr politischer Instrumentalisierung solcher, in die Kriminalität getriebener, Migranten für die Torpedierung des Anspruchs auf Schutz ist gross.

Ungerechte Vorselektion

Natürlich soll dies nicht bedeuten, dass einer bestimmten Nationalität grundsätzlich das Recht auf Asyl abgesprochen werden soll. Eine Möglichkeit für akut Schutzbedürftige, in Westafrika oft Homosexuelle, wäre das Stellen eines Asylantrags in einer Schweizer Botschaft. Leider hat die Bundesversammlung diesen Weg durch die Änderung des Bundesasylgesetzes im Jahr 2012 stark eingeschränkt. Mittlerweile sind nur noch Visumsanträge möglich und auch nur dann, wenn der Antragsteller unmittelbar, ernsthaft und konkret an Leib und Leben gefährdet ist. Die Hürden sind also sehr hoch und zwingen auch Personen, deren Asylgesuch in der Schweiz wohl bewilligt worden wäre, auf eine ungewisse, gefährliche Flucht. Schwachen und kranken Personen ist die Flucht oft gar nicht möglich, womit wieder eine ungerechte Vorselektion bestimmt, wer es überhaupt nach Europa schaffen kann.

Die Schwächsten leiden
unter Dickschädeln

Die aktuell unregulierte Migrationspolitik ist schreiend ungerecht. Ein Teil der Welt hat aufgrund der geografischen und politischen Lage überhaupt nicht die Möglichkeit, das Asylrecht wahrzunehmen. Alte, Kranke und Schwache scheiden auch in den anderen Ländern aufgrund des gefährlichen Fluchtweges aus. Doch statt sich beispielsweises auf die Ausweitung des Resettlement-Programms zu konzentrieren, bei der besonders gebrechliche Personen direkt im Konfliktgebiet Asyl erhalten könnten,
lehnen migrationsfreundliche Gruppierungen jede Regulierung ab, ignorieren die politischen Wirklichkeiten und führen zu einer politischen Spaltung ohne Lösungsmöglichkeiten. Leidtragende sind wie immer die Schwächsten: die Flüchtlinge und Migranten.


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