Wer spätnachts nach Hause geht, nimmt, sofern er sich in einem aufnahmefähigen Zustand befindet, meist den Müll wahr, der auf den Strassen insbesondere in der Innenstadt liegt. Wer sorgt dafür, dass die Stadt am nächsten Morgen wieder bewohnbar aussieht?
Leere und zerbrochene Flaschen liegen auf dem Boden oder sind auf Häuservorsprüngen und Fensterbänken aufgereiht. Plastikbecher, Essensreste und Schlimmeres liegen auf dem Boden, schwimmen in den Brunnen und verschandeln die Stadt. Wer schon um 6:00 Uhr in der Früh aus dem Haus geht, so wie ich an diesem Freitag, sieht die Zerstörung, die ein einziger Donnerstagabend anrichten kann, noch in ihrem vollen Ausmass. Um sechs Uhr aus dem Haus zu gehen, heisst, um die gleiche Zeit in der Stadt unterwegs zu sein, zu der auch die Mitarbeitenden des Strasseninspektorates ihren Dienst antreten.
Von der Theorie zur Praxis
Die Strassen St. Gallens, mit allen Wegen und Gässchen, umfassen nicht weniger als eine Strecke von 210 Kilometern. 210 Kilometer, die gereinigt, unterhalten und im Winter gepfadet werden müssen. Acht Reinigungsmaschinen und über 50 Strassenwärter und Strassenwärterinnen sind zur Bewältigung dieser Aufgabe abgestellt. Einer von ihnen ist Bruno Dörig. Im November ist es 31 Jahre her, dass er im Strasseninspektorat der Stadt St. Gallen angefangen hat: «Während ich mich damals um unseren Hof gekümmert habe, hat mein Vater in St. Gallen als Maurer gearbeitet. Irgendwann war diese Stelle ausgeschrieben, ich habe mich beworben und den Job erhalten. Nach drei Jahren war im Kreis 1 die Stelle als Strassenwärter freigeworden, ich habe mich beworben und sie schliesslich auch bekommen. Seitdem bin ich hier.»
Als Strassenwärter ist man Chef eines Kreises. Man ist für die Koordination der Arbeiter zuständig, fordert im Winter weitere Fahrzeuge zum Pfaden an – eine Stelle, die viel Verantwortung mit sich bringt. «Ich habe damals noch einen Kurs in Zürich besucht, aber das war alles sehr theoretisch. Heute muss allerdings eine normale Lehre absolviert werden, die dann auch praxisorientiert ist.»
Aber wie sieht so ein Tag in der Praxis des baulichen und betrieblichen Strassenunterhalts überhaupt aus? Beispielsweise heisst das: Arbeitsbeginn an Werktagen im Sommer um 6:00 Uhr morgens. Die Strassen werden gereinigt, die Papierkörbe geleert und der Abfall wird eingesammelt. Das Stadtbild soll gepflegt und gewahrt werden. Aber natürlich gehört auch der Unterhalt der Strassen zu den Aufgaben der Strassenwärter: mit der «schwarzen Sauce» (Bitumenemulsion) und Splitt werden Risse und unfallgefährliche Stellen ausgebessert, um die Strassen länger befahrbar zu halten. Der strengste Tag der Woche ist für Bruno Dörig jedoch der Samstag. In der Nacht von Freitag auf Samstag sei halt viel Volk unterwegs und es werde mehr Material liegen gelassen. Auch wenn Zahltag gewesen sei, merke man dies: «Sie haben wieder Geld und geben es in Bars aus, die Menge des Abfalls steigt da schon.» Ob die Winter- oder die Sommermonate härter sind, sei schwierig zu beurteilen. Im Winter komme der Schnee als erschwerende Komponente dazu, im Sommer liege mehr Abfall herum, besonders bei schönem Wetter.
Ein Retter in der Not
Aber nicht nur für das Stadtbild ist Bruno Dörig zuständig, sondern auch in Situationen, in denen sich sonst vermutlich niemand verantwortlich fühlt, greift der Appenzeller helfend ein. «Vor ein paar Jahren musste ich die Polizei rufen, weil jemand von den Wohnungen oberhalb des McDonalds eisige Schneebälle auf die Strasse geworfen hat. Und erst vor ein paar Wochen randalierte einer am Marktplatz und demolierte Autos.» Muss man als Strassenwärter also auch damit rechnen, selber in Bedrängnis zu geraten? «Nein, aber natürlich darf man kein ängstlicher Mensch sein, schon nur deswegen, weil man häufig alleine arbeitet und es ja morgens, besonders im Winter, noch dunkel ist. Ich versuche immer freundlich zu bleiben und so das Eis zu brechen.» Als «normaler» Einwohner mag man bei Problemen zum Beispiel auch an die Junkies beim Marktplatz denken. «Nein, die sind absolut kein Problem. Im Gegenteil: Als ich noch für den Kantipark zuständig war, habe ich mit ihnen eine Abmachung getroffen. Wenn sie den Park sauber halten, kriegen sie auch keinen Ärger und dürfen sogar bleiben. Mit ein paar von ihnen habe ich mich dann noch länger unterhalten, dass sie quasi ein Auge auf die Ordnung werfen. Schliesslich sind sie auch Teil unserer Gesellschaft und sollten und können ihren Beitrag leisten.»
Begegnungen bereichern den Alltag
An seiner Arbeit schätzt der dreifache Familienvater besonders die speziellen Begegnungen. Dazu zählt jene mit dem tibetanischen Mönch genauso wie jene mit der einfachen, alten Dame, die sich mit den Worten «Sie sind denn aber en Liebe!» für eine Wegbeschreibung bedankte. «Solche Komplimente freuen mich am meisten. Sie kommen wirklich von Herzen und sind ehrlich gemeint. Wirklich kritisiert werde ich eigentlich nicht, auch wenn wir in der Öffentlichkeit arbeiten. Die Leute sehen, was du machst. Umgekehrt bekommt man auch sehr viel zu sehen und zu hören. Man erfährt den Menschen an sich so im Alltag viel intensiver, als wenn man zum Beispiel in einem Büro arbeiten und den ganzen Tag nur mit seinesgleichen verbringen würde. Bei uns findet ein Austausch statt.»
Für den 50 Jährigen sind aber auch der Zusammenhalt und die Atmosphäre im Team sehr wichtig. Eine offene Gesprächskultur und ein ehrlicher Umgang miteinander sind für ihn von spezieller Bedeutung. Im Sommer arbeiten auch Studierende als Aushilfen bei der Strassenreinigung mit. Dieser Austausch zwischen den verschiedenen Generationen fördert seiner Meinung nach die Harmonie – «man hat den Wissensdurst der Jugend, das Wissen des Alters und die Balance in der Mitte». Ein eindeutiger Beweis dafür, dass das Klima bei ihnen im Kreis gut ist, ist die geringe Fluktuation. Die meisten arbeiten schon seit zehn Jahren bei der Strassenreinigung: «Irgendwie ist es eine halbe Ehe, man freut sich und trauert miteinander und nimmt natürlich auch immer etwas von zu Hause, aber auch nach Hause mit.»
Gemeinsam mit Respekt
Vor 18 Monaten lancierte die Stadtverwaltung zusammen mit der Stiftung Suchthilfe und Privaten die Kampagne „Gemeinsam mit Respekt“. Sie ist speziell auf Jugendliche und junge Erwachsene ausgerichtet und soll mit Ständen, den auffällig gelben Plakaten und diversen Aktionen wie etwa dem Schaufenster-Wettbewerb für Probleme im öffentlichen Raum wie Gewalt, Lärm, Littering und Alkoholexzesse sensibilisieren. Es soll dadurch letztlich eine Verhaltensänderung der Adressaten bewirkt werden.