Es gibt ganz verschiedene Arten von Eltern-Kind-Beziehung. Die meisten Studenten verlassen zu Beginn ihres Studiums das erste Mal das elterliche Zuhause und die Beziehung verändert sich. Hier in Weiss und Schwarz:
Da laufen die Studenten umher in den Universitätsgebäuden und jeder hat sein Bündel mit sich herumzuschleppen. Das Bündel aus Problemen, Aufgaben und Lösungen ist einmal leicht wie eine Feder und ein anderes Mal schwer wie Beton. Die Beziehung zu den Eltern trägt viel dazu bei, ob wir unbeschwert mit Freunden tratschen und Kaffee trinken können oder ob wir gestresst jede Sekunde des Tages an unseren Studiumsbüchern kleben. Unsere Eltern bestimmen, meist indirekt, zu einem grossen Teil, ob unser Studium Himmel oder Hölle ist.
Variante eins: weiss
«Ich muss schnell meine Putzfrau anrufen, weil sie später kommen soll», erklingt unbeschwert die Stimme im Audimax von einem Assessment-Kandidaten. Nicht schlecht. Kaum hat er das heimatliche Nest verlassen und sich in die grausame, komplizierte Welt aufgemacht, fehlt es ihm an nichts. Von diesen Personen gibt es viele an der Universität St. Gallen. Sie haben alles und dafür leisten müssen sie nichts. Die Eltern erwarten nichts von ihnen, als artig in der Vorlesung zu sitzen und sich anzuhören, was die Dozenten sagen. Es geht ihnen gut. Finanziell und emotional ist die Beziehung zu ihren Eltern ausgewogen und stimmig in ihren Augen. Da gibt es nicht mehr zu sagen als: Gratulation. Die Realität klopft später an die Tür.
Ein ebenso häufiger Fall im weissen Bereich ist folgende Konstellation: Eltern und Kinder verstehen sich wunderbar, nur haben die Eltern nicht die Möglichkeit, ihrem Kind jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Also bleibt dem Studenten nichts anderes übrig, als sich neben dem Studium etwas Geld hinzuzuverdienen und sich auf diesem Weg einen Cocktail am Abend oder einen neuen Pulli zu finanzieren. Wieso ist dies ein weisser Fall, wenn der Student doch arbeiten gehen muss neben dem Studium und damit höherem Druck ausgesetzt ist als der Alles-Haber? Die Antwort ist ganz einfach: weil die Beziehung zu den Eltern stimmt. Sie würden gerne mehr für ihr Kind machen, aber sie können nicht. Sie unterstützen ihn so weit wie möglich und lassen ihm dabei alle Freiheiten, die er braucht. Es heisst nicht, dass sie mehr Unterstützung leisten könnten, aber nicht wollen, damit er das Arbeitsleben kennen lernen muss. Nein, ganz und gar nicht. Die Beziehung zwischen den Eltern und dem Zögling ist ausgeglichen und jeder steuert seinen Teil dazu bei, mit dem Ziel, das Verhältnis so positiv wie möglich zu gestalten. Auch vereinzelte Konflikte schwärzen dieses Bild nicht ein. Denn es ist nur zu selbstverständlich, dass Meinungsverschiedenheiten auftauchen, wenn der Student das heimische Nest verlässt und beginnt, sein eigenes Leben, seinen eigenen Rhythmus zu entwickeln.
Zwischenresultat
In beiden Fällen kann wenig daran rütteln, dass Eltern und Kinder sich gut verstehen und vermutlich auch nicht so schnell miteinander brechen werden. Die ursächlichen Gründe mögen verschieden sein und es mag noch unendliche Variationen mehr geben, doch sind die Konsequenzen immer ähnlich: Die Studenten fühlen sich wohl und sicher, denn sie kennen einen Ort, an welchen sie immer wieder zurückkehren können und wo sie jederzeit mit offenen Armen empfangen werden, ohne zuerst irgendwelche Konflikte überwinden zu müssen. Die Gewissheit, sich gut mit den Eltern zu verstehen, stärkt und fördert die emotionale Gefühlswelt des Studenten. So lassen sich viele Probleme von Anfang an vermeiden und das Studium gestaltet sich entspannter.
Variante zwei: schwarz
Der Fall ist selten, und doch wird man ihn bemerken, wenn man aufmerksam den Gesprächen in den Universitätsgebäuden lauscht. Die Variante ist irrational und abwegig und doch Realität. Was, wenn Eltern es nicht verkraften, dass ihr Kind auszieht und ein eigenes Leben beginnt? Was, wenn Eltern nicht loslassen wollen und doch dem Kind ein Studium an einem anderen Ort nicht verwehren können? Dann wird die Beziehung zwischen den Eltern und dem Kind stückweise, langsam zu Grunde gehen. Denn dann nimmt ein schwarzes Schicksal seinen Lauf, das auch vor HSG-Studenten nicht Halt machen wird.
«Solange du die Füsse unter meinem Tisch hast, machst du, was ich will.» Jeder kennt diesen Satz und viele waren froh, endlich von zuhause auszuziehen. Die Füsse sind nicht mehr unter dem heimatlichen Tisch und die Freiheit empfängt uns mit offenen Armen – meistens, nicht immer. Das Gegenteil ist ebenso möglich. Die Eltern sehen ihren Kontrollverlust nicht ein, und so werden andere Wege gesucht und leider auch gefunden, um ihren Sprössling weiter in der Hand zu haben: Die Finanzen! Die Finanzen dienen als ideales Kontrollmittel, besonders wenn der Student von den Eltern abhängig ist und keine Möglichkeit besitzt, sich selbst das Studium zu finanzieren. Die Eltern haben die Vollmacht über das Konto des Kindes und scheuen sich auch nicht, diese Macht zu nutzen. In Buchhaltungskursen kann der Student nicht viel Neues lernen, denn die Eltern wollen alle seine Ausgaben aufgelistet sehen – jedes noch so kleine Detail. Während andere Eltern dankbar sind, dass ihr Kind aus dem Haus ist und selbstständig wird, besteht diese Art von Eltern darauf, dass das Kind jeden Tag nach Hause telefoniert und am Wochenende vor der Haustür steht. Wer die Fernsehserie «Gilmore Girls» kennt, dem wird dieses Bild bekannt vorkommen. Finanzielle Mittel gegen Kontrolle und eine positive Schein-Beziehung. Was im Fernsehen so amüsant wirkt, ist im echten Leben die reinste Tragödie. Neben diesem elterlichen Druck müssen selbstverständlich noch gute Noten erbracht werden. Immerhin finanzieren die Eltern nicht umsonst «so ein unendlich teures Studium», was der Student auch immer wieder zu hören bekommt. Nein, sie wollen auch eines Tages stolz auf ihr Kind sein und mit ihrem Zögling prahlen können. Das Beste aus der Sicht dieser Eltern ist, dass sie so viel Macht wie möglich an sich binden, damit ihr Kind nicht im Ansatz eigenständig leben kann. Ihr Kind wird auf immer in ihrer Sicherheit gefangen bleiben – oder?
Nein, wird es nicht. Wenn ein Student erstmal Freiheit geschnuppert hat, wird er sich diese auch nicht mehr nehmen lassen. Er wird ein zweites Konto eröffnen, ohne die Eltern zu informieren. Er wird nicht jede Sekunde an den Büchern kleben, ohne die Eltern zu informieren. Er wird seine Einkäufe falsch deklarieren in der Eltern-Auflistung, ohne sie zu informieren. Er wird sich entwickeln und trotz allem seine eigene Entwicklung vorantreiben. Nur leider werden die Eltern davon nichts mitbekommen und schlussendlich wird er ihnen doch entgleiten, aber nicht im Guten. Dieser Student steht im Zwiespalt, da er doch seine Eltern liebt, aber kann er auf Freiheit verzichten? Diese Freiheit ist es wert, dass man mit den Konsequenzen des elterlichen Handels umgeht: Konflikte, Lügen, Entfremdung und Loslösung. Und ganz nebenbei beeinflusst dieser emotionale Druck das Studium. Wie soll man sich auf seine Leistungen konzentrieren, wenn der eigene Feind so nah ist? Nein, Studenten können nun wirklich nicht alles. Es ist sonst schon schwer genug, zurechtzukommen.
Fazit
Eltern können und dürfen nicht alles. Sie können ihrem Kind meistens nicht alles bieten und manchmal können sie ihr Kind nicht ewig ihrer Macht unterstellen. Aber Eltern müssen etwas anderes: Sie müssen sich freuen, wenn es ihrem Kind gut geht im neuen Lebensabschnitt. Sie müssen lernen, loszulassen, und erlauben, aus eigenen Fehlern zu lernen. Somit können sie ihm helfen, eine gute Beziehung zu erhalten, und können ihr Kind ein Leben lang ohne belastende Beeinflussung stützen. Eine Beziehung, die nicht rein elterlich-hierarchisch, sondern auch freundschaftlich ist, soll das Ziel sein. In einer solchen Beziehung studiert es sich für alle leichter!