Die Ruhe «nach» dem Sturm? Daniel Koch im Interview

Erholung im Ruhestand ist für Daniel Koch nur Theorie – in der Praxis sieht sein Pensionär-Alltag wenig anders aus als beim BAG. Im Interview spricht er über Erlebnisse, neue Aufgaben, Familie und Dankesbriefe.

Mit ruhiger, engelsgeduldiger Stimme und bedachten Worten erklärte Daniel Koch in den letzten Monaten fast täglich die vom Bund getroffenen Corona-Massnahmen und den Stand der Dinge. Nun ist der ehemalige Leiter der Abteilung Übertragbare Krankheiten des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) und Delegierter des BAG für COVID-19 im Ruhestand an Beschäftigung mangelt es ihm aber noch lange nicht.

Besser BAG als «Plan B»

Obwohl er in einer Arztfamilie aufwuchs und seine Mutter als Krankenschwester ebenfalls im Gesundheitssektor arbeitete, war der Berufswunsch Arzt nie am Horizont von Daniel Koch sichtbar. Der Entscheid zum Medizinstudium fiel deshalb, wie vieles in seinem Leben, spontan und dies auch eher aus Mangel an interessanten Alternativen. Kurz vor der Voranmeldung dachte sich Koch «ich probier’s mal», aber nicht ohne eine Alternative in Petto zu haben – falls er das Medizinstudium nicht gepackt hätte, wäre er gerne Lastwagenfahrer geworden. Heute blickt der Arzt nach über 30 Jahren Berufserfahrung mit einem Lächeln auf seine spontane Entscheidung zurück: «Es hat offenbar gereicht».

So spontan wie seine Entscheidung zum Medizinstudium erfüllte sich auch sein Wunsch, einmal im Ausland zu arbeiten. In einer Ausbildungslücke nach dem Studium sah sich Koch an ein und demselben Tag gleich mit zwei Möglichkeiten konfrontiert. Um im Ausland arbeiten zu können, entschied er sich zugunsten des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK) für eine Stelle als medizinischer Koordinator in Krisengebieten in Afrika und Süd­amerika und gegen eine Stelle in der Gynäkologie im Spital in Zürich. Aus seiner Vorstellung, nach einem Jahr im Ausland mit dem Roten Kreuz wieder in die Schweiz zurückzukehren und in der Gynäkologie zu arbeiten, wurde dann aber auch nichts. Er blieb 14 Jahre beim IKRK hängen und blickte schlussendlich auf mehr als ein Jahrzehnt Aus­landsarbeit, unter anderem in Sierra Leone, Uganda, Südafrika und Peru zu­rück. Durch diese Tätigkeit landete er schliesslich in dem Bereich, in dem er bis zu seiner Pensionierung arbeiten sollte und der ihn schlussendlich schweizweit bekannt machte: der öffentlichen Gesundheit.

Zwischen Stipendium und AHV

Daniel Koch nahm – und nimmt – das Leben immer so wie’s kommt und hatte nie wirklich ausgeklügelte Karrierepläne. «Die Schwierigkeit im Leben ist eigentlich, wie man die Zeit zwischen Stipendium und AHV vernünftig durchbringt», witzelt er und lacht darüber, dass er nun in der AHV-Zeit angekommen ist. So hätte er als junger Arzt auch keine klare Antwort auf die Frage gehabt, wie er sich die letzten Jahre vor seinem Ruhestand vorstelle. «Wahrscheinlich nicht als Hausarzt», blickt er heute zurück und erinnert sich gerne an seine zahlreichen Erlebnisse, schöne Momente und bewundernswerte Menschen zurück, die ihm in seiner langen Karriere begegneten. «Es gibt überall Ups und Downs – ich hatte eigentlich immer Glück im Leben, meine Ups waren viel markanter», sagt er in seiner gewohnt positiven Art. Dennoch, eine unbeschwerte Kindheit kann man Koch, der mit nur sieben Jahren Vollweise wurde und danach schwierige Jahre in einer Pflegefamilie verbrachte, wohl kaum nachsagen. Trotz allem: «Ich wüsste nicht, warum ich nicht positiv sein sollte», lacht Koch und ist dankbar für seine gute Gesundheit, Familie und die Chancen, die er in seinem Leben bislang ergreifen konnte. Ob überhaupt ein Trick zu einem glücklichen Leben existiert, ist er sich nicht sicher, die Dinge «positiv angehen» und ab und zu die nötige Portion Glück sind für ihn ausschlaggebend.

Lebensretter auf vier Pfoten

Einen Grossteil seines Lebens wurde Koch, der wie sein Vater ein grosser Tierfreund ist, vom besten Freund des Menschen begleitet. So freuen sich bestimmt auch seine zwei Hunde, dass ihr Herrchen nun wieder mehr Zeit für sie und gemeinsame Erlebnisse hat. Mit seiner Boxer-Dame hat Koch beim Canicross, ein Geländelauf mit Hund, schon unzählige Preise und Meisterschaften gewonnen. Seine Hunde sind für Daniel Koch Familienmitglieder und – auch wenn es «nur» Hunde sind – vermögen sie es ihn immer wieder ihn zu motivieren und ihm Kraft zu geben.

Das Corona-Buch

Sein acht Monate alter Enkel ist noch zu klein ist, um die aktuelle Situation zu verstehen. Was aber, wenn er seinen Grossvater in zehn Jahren fragt, was Corona war? Auf die Frage antwortet Koch lachend: «Erstmal werde ich ihm ein Buch in die Finger geben, das bis dann sicher veröffentlicht wurde». Die Gesellschaft und sein Enkel werden in zehn Jahren diese spezielle Zeit sicherlich nicht einfach vergessen haben, ist sich Koch sicher. Aus jeder grossen Epidemie zieht man Schlüsse und Erkenntnisse, die später zu Fortschritt und neuer Normalität verhelfen. Für Daniel Koch ist es aber zu diesem Zeitpunkt noch zu früh, voreilige Lehren aus der Corona-Pandemie zu ziehen. Man brauche Evaluationen, eine detail­lierte Aufarbeitung der Geschehnisse und genug Zeit, um effektiv ein Fazit ziehen zu können. In seinen Einsätzen in den Task Forces gegen die SARS-Pandemie und die Vogelgrippe konnte Koch, und mit ihm die gesamte Bundesverwaltung, bedeutende Erfahrungen für den Kampf gegen das Coronavirus sammeln und das Zusammenspiel trainieren: «Man hatte bei den Krisen davor viel gelernt». Wie in seinem ganzen Leben sieht er auch Positives in der Corona-Situation und wünscht sich, dass man sich noch lange an die überwälti­gende Solidarität der Gesellschaft erinnern wird.

(K)ein Mediensprecher?

Seine Rolle – während der Corona-Krise beinahe täglich Medien und Bevölkerung über den aktuellen Stand, Vorsichtsmassnahmen und Einschränkungen aufzuklären – würde er aus heutiger Sicht nicht fundamental anders machen. «Ich glaube es ist gut gelaufen», blickt Koch auf die vergangenen Monate zurück. Es sei aber nach wie vor äusserst wichtig, dass sich die verantwortlichen Behörden bewusst sind, dass ihre Rolle stark auf Kommunikation aufbaut. Speziell im Bereich der öffentlichen Gesundheit, beteuert Koch, sei es ausgesprochen wichtig, dass man die Bevölkerung informiert, mit welchen Mitteln man probiert, ein Problem zu bewältigen. Das Verhalten könne man nur dann beein­flussen, wenn die Leute begreifen, worum es geht. Auch wenn seine diversen Ausführungen und Auftritte es einige Leute glauben liessen: «Ich bin nicht der Mediensprecher vom BAG», will Koch absolut klarstellen. Er hätte nur das gesagt, wozu er auch effektiv stand und die Entscheidungen mitbeeinflussen konnte. Einfach nur zu kommunizieren, was ande­re entscheiden, konnte und wollte er nicht: «Es war mir wichtig, dass ich auch hinter diesen Entscheidungen stehen konnte und diese mitprägte». Nicht nur das Gesundheitswesen, auch Politik, Wirtschaft, Medien – kurzum jeder und jede ist von der Corona-Situation betroffen. Durch seine Erfahrungen bei früheren Epidemien weiss Koch aber, dass der grösste Druck beim Krisenmanagement nicht von extern kommt, sondern von internen Schwierigkeiten ausgeht – umso mehr bei einer derart grossen Organisation wie dem Bund. Diese Schwierigkeiten zu lösen, sei meist viel anspruchsvoller innerhalb einer Krisenorganisation, als der gesamte Druck von aussen. Dies wurde auch bei vergangenen Fehlern des BAG zu Ansteckungszahlen und Hotspots sichtbar, was Daniel Koch aber nicht kommentieren will: «Es wäre falsch, wenn ich mich jetzt über das BAG äussern müsste». Koch ist der Überzeugung, dass die allermeisten Leute einfach einen «guten Job» machen wollen. So war es ihm auch nie zuwider, mit einer engelsgleichen Geduld auf die Fragen der Journalisten zu antworten, wo so manch anderer sich schon längst im Ton vergriffen hätte. «Ich denke auch für die Journalisten war die Zeit schwierig, vom ei­nen auf den anderen Tag nur noch über ein Thema zu berichten», gibt Koch verständnisvoll zu bedenken. Schlussendlich beruhe es immer auf Gegenseitigkeit und «zusammen geht’s meistens besser», sagt Koch, denn auch er sei froh, wenn die Leute ihm helfen, einen guten Job zu machen.

Tanzabend mit Smartphone?

Auch wenn er nun im Ruhestand ist, der Terminkalender von Daniel Koch ist zum Bersten voll mit Referaten, Beratungen sowie Medienanfragen. Solange die Krise anhält will Koch helfen und hat so auch für Studierende wertvolle Tipps. Für die junge Generation sei es «pickelhart», ist er sich sicher: «Man hat nie so viele soziale Kontakte wie in der Jugend – diese sind sehr wichtig». Insbesondere Studierende müssten immer wieder daran erinnert werden, dass es nicht so sein kann wie vorher. Das Wichtigste sei, sich auch in einer neuen Normalität unter neuen Voraussetzungen guter Lösungen bewusst zu sein und die Situation positiv anzugehen. Es nütze nichts, auf dem Campus die Vorschriften zu befolgen und Abstand zu halten, dafür nach Unterrichtsende in einer überfüllten Bar anzustossen – das Problem begegne uns überall im täglichen Leben, nicht nur auf dem Campus. Vernunft ist dabei die Kernbotschaft von Daniel Koch. Er ist sich bewusst, dass Technologie einiges vereinfacht und Treffen ersetzt, aber: «Man kann auch mit dem Smartphone kaum einen anständigen Tanzabend veranstalten», fügt er mit einem Lächeln hinzu und mahnt, die sozialen Kontakte nicht zu unterschätzen.

Ruhestand – Arbeiten Kapitel II

Seine jetzige Prominenz war nie ein Ziel von Daniel Koch und er «weiss nicht, ob es überhaupt ein erstrebenswertes Ziel ist, prominent zu sein». Er ist jedoch dankbar für die Möglichkeiten, die sich ihm dadurch nun eröffnen. Dazu gehören beispielsweise Treffen mit Personen wie etwa Altbundesrat Adolf Ogi, die er ansonsten vermutlich nie getroffen hätte. «Man muss im Leben mit den Dingen umgehen, die man eh nicht ändern kann – ich kann jetzt nichts machen, dass mich niemand mehr kennt», gibt Koch in seiner ruhigen Stimme zu bemerken. So geht Daniel Koch auch mit den unzähligen Dankesbriefen um, die er in den letzten Wochen und Monaten erhielt. Er war sehr überrascht, erinnert er sich an den ersten Brief, der in sein BAG Postfach flatterte. «Es stieg explosionsartig an» und er brauchte bald ein System zur Ablage und für das spätere Beantworten der Nachrichten. Letzteres blieb in den vergangenen Wochen leider mehrheitlich auf der Strecke, was ihm «schon ein bisschen auf dem Magen liegt». Er will so gut wie möglich alle Briefe, Geschenke und Karten persönlich beantworten und sich dafür bedanken – eine Arbeit, die mehrere Wochen in Anspruch nehmen wird. Trotz all der aussergewöhnlichen Ereignisse will Koch ein normaler «Typ Grossvater» sein und freut sich schon auf all die Erlebnisse und Zeit, die sein Enkel mit ihm verbringen wird. Der geborene Erzieher sei er aber bei weitem nicht. Er sei einfach zu wenig konsequent – lacht er und hofft auf das Verständnis seiner Tochter: «Bei mir wird mein Enkel dann wahrscheinlich allen Blödsinn lernen ob meine Tochter das dann so toll findet, bleibt zu bezweifeln». Ob dieser «Blödsinn» auch bald in einem neuen Video der «bebadbaren Aare» zu sehen ist, bleibt noch abzuwarten.

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