«Ich habe die gewaltige Energie der Massen zu Gesicht bekommen. Auf dieser Grundlage kann man jegliche Herausforderung, in welchem Masse auch immer, meistern.» Diese Erkenntnis von Mao Zedong machte er sich selbst zu nutzen, um so mittels der Kulturrevolution an seine Ziele gelangen.
Im Jahre 1949 übernahmen erstmals nach einem langen Bürgerkrieg die kommunistische Partei Chinas (KPCh) das Ruder. An ihrer Spitze war Mao Zedong. Als neues Staatsoberhaupt gab er dem Volk, dass bisher nur Ungerechtigkeit und Korruption kannte, wieder Hoffnung. Mit dem Kommunismus versprach er dem Volk eine chancengleiche Gesellschaft und die glorreiche Wiederauferstehung des Reichs der Mitte. Somit gelang es ihm, im Land wieder ein einheitliches Nationalgefühl herzustellen.
Nach der Machtübernahme Maos folgte anfänglich die Konsolidierung des kommunistischen Regimes. Mittels unzähligen Massenkampagnen wurde den Bürgern der Sozialismus indoktriniert und versucht, die bürgerlichen Strukturen durch eine permanente Revolution zu zerschlagen. Säuberungsaktionen dienten dazu Maos autoritären Machtanspruch zu sichern und seine Feinde aus dem Weg zu räumen. Oppositionelle wurden verhaftet, gefoltert und zum Tode verurteilt. Die Zahl der Todesopfer stieg auf mehrere Millionen.
Besser als der Westen
Um den Westen wirtschaftlich überholen zu können, beschloss Mao in China die Industrialisierung voranzutreiben. Mit «Der grosse Sprung nach vorne» beabsichtigte er den Entwicklungstand Englands binnen 15 Jahren zu übertreffen. Ein wahnwitziger Plan, dem bis 1961 wegen einer Hungersnot fast 45 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Mit diesem verheerenden Ergebnis begann der unbestreitbare Personenkult Maos zu bröckeln. Obwohl er noch Parteivorsitzender war, machten sich vermehrt parteiinterne Gegner laut. Um dem entgegenzuwirken, schmiedete er den Plan einer «Kulturrevolution».
1966 wurde sein Vorhaben wahr. Im August verkündete der Diktator «Revolutionären Angriff auf die alten Vier»: Alte Denkweisen, alte Kulturen, alte Gewohnheiten und alte Sitten. Nur so kann Altes durch neues ersetzt werden, begründet er. Er befahl eine Revolution gegen die Bourgeoisie, denn sie stelle eine Gefahr für die Diktatur des Proletariats dar. Doch die tatsächlichen Gründe Maos lagen viel mehr darin, den Parteiapparat zu säubern und seine Macht zurückzuerlangen. Für sein Vorhaben mobilisierte er Jugendliche, die sich zu den «Rotgardisten» formierten. Zusammen verfolgten sie die «Feinde des Kommunismus», welche mehrheitlich Angehörige intellektueller Kreise ausmachten.
Lehrer an die Maschinen
Songqings Vater war zu der Zeit Lehrer. Als Songqing vier Jahre alt war, wurde sein Vater von den Rotgardisten festgenommen und für ein halbes Jahr lang in der Schule eingesperrt. Er, wie viele andere auch, wurden in der Aula im Rahmen einer politischen Versammlung auf der Bühne gedemütigt. Sie wurden als «Antirevolutionäre» bezeichnet, getreten und verprügelt. Songqings Vater konnte seinen Beruf nie mehr ausüben, sondern musste als Strassenkehrer und später in einer Fabrik arbeiten. Songqing erinnert sich auch daran, wie sein Haus von den Rotgardisten durchwühlt wurde, um nach Beweisen zu suchen, die sie mit bourgeoisen Elementen in Verbindung bringen könnten. Studenten und Schüler begannen eine Hetzjagd gegen jene, die sie als Konterrevolutionäre betrachteten. Sogar die eigenen Eltern wurden von ihren Kindern denunziert. Viele der Verhafteten wurden gefoltert und ermordet. Einige nahmen sich auch aus Verzweiflung das Leben.
Verlust der Kontrolle
Die Bewegung der Rotgardisten eskalierte allmählich und geriet im September 1967 schliesslich ausser Kontrolle. Mao sandte die Volksbefreiungsarmee aus, um wieder Ordnung herzustellen. Diese schickten die jungen Chinesen zur Umerziehung auf das Land, wo sie von den Bauern lernen sollen. Folglich konnten sich die Städte von dem Chaos erholen. Songqing’s Schwester Shi Benzhi lebte bis zu ihrem 27 Lebensjahr auf einem Bauerhof. Das Lehmhaus hatte keine Fenster, kein fliessendes Wasser, keinen Strom. Nur im Winter durfte sie die Familie in Shanghai besuchen. Es waren harte Zeiten, die sie überstehen musste. Songqing erinnert sich, wie ihm einst ein Bauer erzählt hat: «Vor Mao haben wir grobe und feine Nahrungsmittel angebaut. Das Grobe, wie zum Beispiel Mais, gaben wir nur unserem Vieh. Doch jetzt ist auch dies unser Hauptnahrungsmittel.»
Indoktrinierung der Kleinen
Über die nächsten Jahre lernte Songqing in der Schule nur wenig Schulstoff. Vielmehr musste er politische Artikel auswendig lernen. Mittels manipulativen Lehrmitteln im Unterricht soll der jungen Generation von Kindesfrühe an das Feindbild der Bourgeoisie indoktriniert werden. Im Geschichtsunterricht wurde lediglich die Parteigeschichte der KPCh gelehrt. Der erste zu lernende Satz im Englisch Unterricht: «Down with the landlords!».
1976 starb Mao und somit endete die Kulturrevolution. Seither fand jedoch keine wirkliche Aufarbeitung der Zeit statt. Täter wurden kaum verurteilt und eine Rehabilitierung gab es nur für wenige Opfer. Stattdessen wird Mao bis zu der heutigen Zeit noch von vielen geachtet. Sein Porträt hängt noch immer am Tor des himmlischen Friedens in Peking.