Eine Studentin wechselt von der Uni Fribourg an die Uni St. Gallen. Doch einiges ist anders. Es scheint ihr, als wäre an der HSG das Studium ein reines Mittel zum Zweck der Nutzenmaximierung. Scheitern ist ein Tabuthema. Eigenartig, schliesslich lernt man gerade aus Fehlern am meisten.
Ich bin neu hier und erklimme jeden Morgen unter Keuchen die Stufen, immer höher hinauf, bis ich zuoberst bei der Top-Universität angelangt bin. Um mich herum recken und strecken die meisten während der Vorlesung gespannt, beinahe gierig, den Hals. Alle wollen hoch hinaus. Ich bleibe unten, da ich sowieso nichts weiss. Erschöpft in den Stuhl fallen liegt mir mehr als auffallen. Versteht mich nicht falsch, ich will mich nicht klein machen. Zu gerne trage ich hohe Absätze.
Inmitten dieses Meeres von hocherhobenen Häuptern mit mehr drin als in meinem habe ich kürzlich mit meinem Master begonnen. Ich wurde aber bereits vom – oder eben gerade durch den – Strom abgetrieben und falle immer weiter zurück. Ich kann nicht mitschwimmen. Schliesslich habe ich an der Universität Fribourg nur plantschen in der Saane gelernt. In St. Gallen wird in Turnhallen beigebracht, wie man kämpft, gewinnt und Erster bleibt. Übersetzt bedeutet dies: Businessmodelle, Networking, erfolgreiches Management. Wahrscheinlich ist der Vergleich zu banal oder sogar unrichtig und ganz nach dem Motto der Uni St. Gallen müsste man wohl sagen «höchst» wahrscheinlich. Ich verstehe hiervon nichts. Ich gehöre nicht zur Kategorie Brain, sondern Pinky. Eventualiter liegt es in casu auch daran, dass ich Jura studiere. Überspitzt ausgedrückt, belegen die Studenten Turnunterricht und lernen Kampfsport und Wettbewerbsdenken. Die Universität ist stolz auf ihre ehrgeizigen Studierenden, auf die Stehaufmännchen. (Ich stütze diese Aussage auf meine juristischen und somit analytischen Fähigkeiten, welche ich als äusserst ausgeprägt erachte. Schliesslich erkennt nicht jeder auf eine Distanz von 100 Metern, ob die Gucci-Tasche eine Fälschung ist. Dieses kritische Auge wird übrigens an der Universität täglich geschult.) Das Wichtigste im Kampfsport ist jedoch, in erster Linie zu lernen, richtig hinzufallen.
Keine Versager
Ein Kleinkind verbringt den ganzen Tag damit, hinzufallen. Es versucht zu gehen, bewegt sich im Grunde aber plumpsend fort. Durch dieses Plumpsen wird der menschliche Schutzreflex entwickelt. Die Patschehändchen werden eingesetzt, mit dem Ziel, das «Aua» zu verringern. Wirtschaftlich ausgedrückt: Mehr Aufwand, im Sinne von effektiver Schadensbegrenzung, führt zu mehr Ertrag. Der homo oeconomicus ist geboren. Somit erhält infantiles Verhalten (auch in Fribourg lernt man Fremdwörter; sogar eine ganze Fremdsprache, wenn man will) eine völlig neue Bedeutung. Dies ist so paradox, dass es schon fast wieder affig wirkt. Wenn das Kleinkind zu einem Kind heranwächst, vernimmt es nur allzu oft folgende Worte: «Pass auf, dass du nicht hinfällst!» Erst aber nachdem das Kind hingefallen ist, trifft es die nötigen Vorkehrungen, damit das Umfallen nicht mehr vorfällt – es lernt daraus. Der Mensch ist folglich praxisbezogen. Die Uni St. Gallen bekanntlich ebenfalls. Es werden den Studenten viele Praktikumsmöglichkeiten bei erfolgreichen Firmen (an-)geboten, damit sie Erfahrungen sammeln können, mit dem Ziel, daraus zu lernen. Am besten lernt man jedoch immer noch aus Fehlern.
Ein Student ist (noch) nicht erwachsen. Ab und an schliesse ich gerne von mir auf andere. Den Kindern der Universität wird es verwehrt, hinzufallen, denn wenn man fällt, hat man versagt, und die Uni St. Gallen erzieht keine Versager. Sie züchtet Gewinner. Es scheint, als seien Fehler verpönt. Diese Haltung schlägt jedoch fehl. Ein Student in St. Gallen ist in erster Linie lernwillig und fleissig. Aber aus Fehlern lernt man. Folglich sollte ein guter Student auch Fehler machen dürfen. Im Gegensatz zur Universität St. Gallen bietet Fribourg in diesem Bereich volle Unterstützung: Man erhält für jeden Fehltritt einen ECTS-Punkt. Ich vermisse hier den Misserfolg. In diesem Kurs wäre ich gut.
Liebe Studierende, lasst euch fallen! Unter diesem Blickwinkel ist auch die Tatsache, dass momentan vieles in die Konkursmasse fällt, erfreulich. Und die Finanzkrise bietet sich als Chance.