«Eigentlich wollte ich Fussballer werden»

Toni Brunner ist nicht nur der bekannteste Bauer der Schweiz, sondern auch seit gut 17 Jahren Parlamentarier. prisma traf ihn unter der Bundeshauskuppel und unterhielt sich mit ihm über seinen Jugendtraum, seine Expansionsvorschläge für die HSG und natürlich Politik. Das Portrait eines alten Hasen.

Herr Brunner, wann waren Sie das letzte Mal im Stall?

Vor drei Tagen, am Montagmorgen um 9.30 Uhr. Ich geniesse diese zwei Welten, auch wenn ihre Gegensätze in meinem Fall sehr krass sind. Bern ist sehr kopflastig, überall Kameras und Blitzlichtgewitter. Bauer sein hingegen heisst Natur, Schweiz und Handarbeit. Ich muss zugeben, wenn ich jeweils nur eine der beiden Welten hätte, wäre es mir langweilig.

Woher kam Ihr Interesse an diesen Welten, der Landwirtschaft und an der Politik?

Mein Weg ergab sich vor allem durch die Umstände. Weil keines meiner Geschwister den Bauernhof übernehmen wollte, musste ich diese Aufgabe erfüllen. Ich gebe zu, wenn es die Umstände nicht erfordert hätten, wäre ich nicht Landwirt geworden. Viel lieber wäre ich Profifussballer bei Bayern München geworden (lacht). Diesen Jugendtraum konnte ich jetzt beim FC Nationalrat nachholen.

Als Sie dann stattdessen mit 21 Jahren in den Nationalrat gewählt wurden, war es mehr ein Unfall als geplante Sache. Waren Sie mit Ihrem Mandat nicht überfordert?

Als einen Unfall würde ich es heute nicht mehr bezeichnen, letztlich hat ja das Volk entschieden. Aber meine Wahl war durchaus etwas Aussergewöhnliches. Ich war der erste und letzte Parlamentarier, der so jung ins Bundeshaus durfte. Überfordert war ich nicht, aber ich war noch ein Kindergärtner im Sessionszimmer und musste das Zusammenspiel von Regierung, Verwaltung und Parlament on-the-job erlernen.

In Toni Brunners ersten politisch aktiven Jahren herrschte eine hitzige Debatte über den Beitritt der Schweiz zum Europäischen Wirtschaftsraum und der Europäischen Union. Die Debatte endete mit einem hauchdünnen Nein in der Volksabstimmung vom 6. Dezember 1992.
Wieso hat Sie ein möglicher Beitritt der Schweiz zum EWR oder zur EU so sehr zum Kampf gegen diese Institutionen motiviert?

Als angehender Bauer beschäftigte mich vor allem die Frage, ob man den Schweizer Nahrungsmittelmarkt öff nen sollte. Doch der Wettbewerb spielt ohnehin nicht richtig: Ein Bauer kann seinen Hof nicht einfach in ein anderes Land verpfl anzen, in dem die Produktionskosten niedriger sind. Boden ist ein standortgebundenes Gut. Die Diskussionen um EWR, EU und WTO stellten die Frage: Wollte man in der Schweiz noch immer Nahrungsmittel produzieren, auch wenn die Herstellungskosten anderswo niedriger sind? Ich bin der Meinung, dass die Landwirtschaft zur Autonomie der Schweiz beiträgt.

Was meinen Sie mit Autonomie? Wir sind doch immer und überall vom Geschehen um uns herum abhängig.

Autonomie heisst, selber über die eigene Zukunft zu entscheiden. Indem wir eben nicht in die EU oder den EWR eingetreten sind, haben wir unsere Autonomie bewahrt. Ich glaube nach wie vor daran, dass es ungemein wertvoll ist, über unser eigenes Schicksal entscheiden zu können. Unser einzigartiges demokratisches System wäre gefährdet gewesen. Zwar kann ich in Sachen Autonomie durchaus noch Verbesserungspotenzial erkennen. Es kann meiner Meinung nach nicht sein, dass unser Bundesgericht Völkerrecht über Verfassungsrecht stellt. Unser Volk hat beispielsweise mit der Ausschaff ungsinitiative entschieden, dass es kriminelle Ausländer ausweisen will. Wenn das Bundesgericht nun Völkerrecht, das von irgendwelchen Experten stammt, über die Verfassung stellt, unterläuft es den Willen des Volkes.

Und Sie kontern darauf mit der Forderung, die Europäische Menschenrechtskonvention aufzukünden?

Dies ist eine von vielen möglichen Lösungen.

Ist es nicht gefährlich, das Volk über grenzwertige Einzelfälle in menschenrechtlichen Fragen entscheiden zu lassen?

Versuchen Sie mal in einer demokratisch aufgeklärten Gesellschaft, wie wir sie in der Schweiz haben, 100’000 Unterschriften für die Folter zu sammeln. Das schaff en Sie nie im Leben. Daher ist die Wahrscheinlichkeit, dass zwingendes Völkerrecht vom Volk unterlaufen wird, gering. Mich stört, dass auch der nicht zwingende Teil der Menschenrechte immer mehr als gegeben betrachtet wird. So erhöht unser Bundesrat nur aufgrund einer UNO-Empfehlung die Entwicklungshilfe um eine Milliarde.

Plötzlich springt Brunner auf. Der Wählerauftrag ruft – eine Abstimmung steht an! Für ein paar Sekunden spurten Parlamentarier der rechten Fraktionen an uns vorbei. Dann wird es gespenstisch ruhig und uns wird bewusst, wie sehr es in diesem Mikrokosmos während der Session wuselt. Der Nationalrat beschliesst mit 107 zu 70 einen konkreten Schritt hin zur Energiewende – gegen den Willen von Toni Brunners SVP. Von Enttäuschung keine Spur. Überhaupt scheint Brunner eine ununterbrochene Heiterkeit zu besitzen, die ihn auch herbe Niederlagen wegstecken lässt.
Sie haben 2007 und 2011 für den Ständerat kandidiert und sind beide Male gescheitert. Wie gehen Sie mit solchen persönlichen Niederlagen um?

Ich empfinde sie als sehr heilsam. Man wird nicht «überstellig». Politik ist sehr unberechenbar, vielleicht werde ich in den nächsten Wahlen nicht mehr gewählt und bin dann nur noch vollberuflicher Landwirt.

Also planen Sie schon ihr Leben nach der Politik?

Mein Leben entwickelte sich bisher immer aus dem Ungeplanten. Mit meiner Wahl zum Nationalrat vor 18 Jahren hatte ich nicht gerechnet und es hat mein Leben umgekrempelt. In diesem Ton verlief auch der Rest meines Lebens. Deshalb plane ich die Zeit nach der Politik nicht. Ich bin mir aber der Wichtigkeit meines eigentlichen Berufes stets bewusst. Ich muss meinen Hof erhalten, damit ich nach der Politik nicht zum Sozialfall werde.

Wie die kleine Bundeshausführung im Anschluss an das Interview zeigt, ist Brunner inzwischen ein political animal wie es im Buche steht. Gewieft schüttelt er Hände von alten Freunden aus der Heimat, reisst Witze mit Fraktionskollegen, erläutert uns den wunderbaren Ausblick von der Bundeshausterrasse (die übrigens als Fumoir des Hauses dient) und beantwortet Journalistenfragen. So quer seine Positionen in der politischen Landschaft stehen mögen, so sehr hat er sein Zuhause im politischen Establishment gefunden.
Herr Brunner, als St. Galler und SVP-Präsident, was halten Sie eigentlich von der HSG?

Die Uni hat sowohl schweizweit als auch international einen sehr guten Ruf. Unser St. Galler SVPRegierungsrat redet sehr überschwänglich über die HSG. Mein Blick von aussen zeigt mir aber auch, dass es Schwachstellen gibt. Die Uni beklagt, dass man aus allen Nähten platzen würde. Für mich gibt es zwei Lösungen, um die Qualität der Lehre zu bewahren: Man limitiert die Plätze noch stärker oder man erweitert. Eine Expansion des Campus in das Toggenburg könnte ich mir sehr gut vorstellen. Mit einer guten S-Bahn-Verbindung würde man von St. Gallen in nur 25 Minuten dorthin gelangen.

Synchron heben wir die Augenbrauen. Meint er das ernst? Im Verlauf unseres Gesprächs wird klar: Unser Gegenüber ist zwar ein knallharter Sparpolitiker, aber sobald Einschnitte in der Landwirtschaft, der Armee oder im Toggenburg drohen, verwandelt sich der SVP-Präsident zu einem unermüdlichen Lobbyisten in eigener Sache. So erstaunt es uns nicht, dass Brunner bei der Besichtigung der vier aus Glas gefertigten Regionenbilder unter der Kuppel von der St. Galler Weberei und Stickerei schwärmt: «Das ist das Schönste.» Spricht man ihn auf die Finanzierung «seiner» Universität und das kantonale Sparpaket an, kehrt er umgehend zum eisernen Sparkurs zurück:

Ich bin der Meinung, die HSG muss sich auf ihre Kernkompetenzen fokussieren. Es hat bei den Ausgaben dank der Mittelinks-Parteien, die Staat und leider auch Uni immer mehr ausbauen wollen, Auswüchse gegeben. Auf der Einnahmenseite ist eine angemessene Beteiligung der Studenten über Studiengebühren legitim. Das grösste Problem haben wir mit der hohen Zahl ausländischer Studentinnen und Studenten, die ihre Ausbildung hier zu billig oder gratis geniessen. In Ländern wie Grossbritannien ist es gang und gäbe, dass die Ausländer sich vollständig selbst finanzieren.

Toni Brunner ist ohne Zweifel die Personifizierung der SVP. Zum Abschluss organisiert er uns sogar zwei Plätze auf der Besuchertribüne, wo wir feststellen, dass Politiker nicht viel anders sind als Studenten, zumindest was Anwesenheit und Aufmerksamkeit betrifft.

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

*

*

*