Platsch! Um Millimeter hatte der Wasserballon den Arm des Fahrers verschont, nur um stattdessen Sekundenbruchteile später tosend am Kopf des gebeutelten Mitstreiters zu zerbersten. Volltreffer! Doch ein erfahrener «Paperbike Waterballoon Battle»-Spieler weiss: Der nächste Angriff kommt bestimmt.
Also nichts wie weiter, wenn die kostbare Fracht ihr Ziel am anderen Ende des Spielfeldes in unversehrtem Zustand erreichen soll. Für jene, die erst später zugeschaltet haben: Wir schreiben die letzte Woche im Oktober dieses Jahres und befinden uns am Roble Field der altehrwürdigen Stanford University in Kalifornien, an welcher sich in diesen Tagen Studenten verschiedener Fachrichtungen aus aller Welt zum Kick-off eines Kurses treffen, welcher in dieser Form an der HSG sicherlich nicht zu den üblichen Kursen zählt. Und dennoch: Auch hier wird er gelehrt. Und so haben auch wir, die 12 IMT-Studenten des aktuellen Jahrgangs, uns wagemutig in dieses Abenteuer gestürzt, das uns bereits nach kürzester Zeit klargemacht hat, wie spannend der Unialltag doch tatsächlich sein kann.
8’000 Wasserbomben und 16 Paperbikes
Gefahren wird also, wie bereits erwähnt, auf Paperbikes, welche während des Spiels den Zweck haben, möglichst viel in Ballone verpacktes Wasser über das Spielfeld zu transportieren. Der darauf sitzende Spieler ist für das Be- und Entladen besorgt, während ein weiterer das Gefährt ziehen oder stossen muss. Das gegnerische Team schaut aber nicht untätig zu, sondern darf die Mühen mit ausgewachsenen Wasserballonschleudern nach Belieben stören. Dies stellt eine besondere Herausforderung für das Rollmaterial dar, besteht es doch, wie der Name bereits verrät, ausschliesslich aus Papier und Karton.
So hatten wir also in den wenigen Wochen seit Semesterbeginn Papierrollen gesammelt, Konstruktionszeichnungen gemacht, gebohrt, gesägt, zusammengebaut, getestet, verworfen und kombiniert. Im ersten Moment mag diese Aufgabe komisch oder gar unmöglich klingen, aber es funktioniert. Und das sogar sehr gut – denn man lernt, abgesehen vom Handwerken, viel mehr, als man am Anfang denken mag. Und das ist auch genau das, worum es bei dieser Übung geht: ein Gefühl für eine Denkweise zu entwickeln, welche uns in den nächsten Monaten in einem Projekt mit grossem Praxisbezug tagtäglich begleiten wird.
Design What?
«Design Thinking» ist das Stichwort, und gemeint ist damit fast genau das Gegenteil von «Analytical Thinking», der sonst an der HSG so hochgepriesenen Tugend. Anstatt lange zu diskutieren und zu konzeptionalisieren, geht es hier darum, ohne jede Beurteilung so viele Ideen wie möglich zu generieren und diese anschliessend anhand von einfachen Prototypen möglichst rasch erlebbar zu machen und zu testen – denn nur so kann wirklich herausgefunden werden, ob eine Idee funktioniert. Inputlieferant kann dabei fast alles sein – neben dem klassischen Brainstorming gehört es auch dazu, Leute bei ihrer Tätigkeit zu beobachten oder Kindergartenkinder ihre Sicht der Dinge malen zu lassen. Prof. Larry Leifer, der geistige Patron des Kurses, nennt gerne das Beispiel, wie eine Gruppe zur Verbesserung eines chirurgischen Instruments auf der Suche nach Analogien ein Pitstop-Team einer Rennserie beobachtete – und daraus wertvolle Erkenntnisse ziehen konnte. Doch all dies kann natürlich nur funktionieren, wenn auch die Arbeitsumgebung kreativitätsförderlich ist.
Eine Insel im IWI
Und so steht uns am heimischen IWI (Institut für Wirtschaftsinformatik) ein ganzer Raum zur Verfügung, den wir nach Lust und Laune benennen, einrichten und ausgestalten dürfen. Wo sonst erlebt ein Student eine Vorlesung auf einer Insel mit Sofas, Dartscheibe und (fast) immer guter Musik?
Nach der Wasserschlacht hat uns allerdings der Ernst des Lebens wieder eingeholt: Von nun an sind wir Produkt-, Service- oder gar Geschäftsmodellentwickler. In Teams von vier Studenten erarbeiten wir eine Lösung zu einem Proposal von Firmenpartnern – dieses Jahr unterstützen uns BASF, Lonza und die Swisscom. Dabei sind die Fragestellungen mehr oder weniger weit formuliert. So lautete beispielsweise ein Auftrag im letzten Jahr: «Entwickelt das Shopping-Erlebnis der Zukunft!» Diese Offenheit hat durchaus ihren Grund – zwingt sie uns doch, das Problem aus möglichst vielen Perspektiven anzugehen. Kreativen Input und Unterstützung gibt es von Prof. Walter Brenner, einem dezidierten Teaching Team sowie von unseren Coaches, Doktoranden und Projekt-Alumni.
Der Aufwand für diesen Kurs mag eher überdurchschnittlich sein – doch es macht Spass! Und dieser Spass sorgt dafür, dass wir bereit sind, viel Zeit, Energie und Hirnschmalz in ein Projekt zu investieren, an dessen Ende ein Produkt stehen könnte, das auch ihr vielleicht schon bald verwenden werdet. Wir sind uns jedenfalls sicher: Es lohnt sich!
Zwischenpräsentation am 9. Dezember 2008. Nähere Infos unter http://designthinking.iwi.unisg.ch