Ryszard Kapuscinski hat es versucht und die Politik versucht es auf ihre eigene Art und Weise immer wieder. Aber um den Iran zu verstehen, sollte man sich ein Herz fassen und das Land auf eigene Faust erkunden.
Mit schweissigen Händen und einem etwas ängstlichen Gefühl steige ich aus der Maschine, die von Istanbul nach Teheran geflogen ist. Der Imam Khomeini International Airport ist klein, alt und dreckig. Menschenschlangen bilden sich vor den Passportkontrollen, der kleine Raum ist masslos überfüllt und es ist heiss, sehr heiss. Das ist das erste Mal, dass mich dieses Kopftuch nervt.
In meiner Tasche befindet sich das Merkblatt für Durchreisende der Schweizer Botschaft. Kopftuch und untaillierter Mantel sind für Frauen Pflicht, Sandalen und auffällige Farben sollte man auf jeden Fall vermeiden. Den Männern sind lediglich kurze Hosen untersagt. Am Airport-Ausgang erwartet mich eine Gruppe von 14 Personen. In den Händen halten sie eine riesige iranische und eine Schweizer Flagge. Mit Umarmungen und Küsschen werde ich empfangen. Dies ist wohl die berühmte Gastfreundschaft des Ostens. Mir gefällt es.
Salam Iran
Die Strassenschilder, die Läden und Gebäude sind auf Farsi in arabischer Schrift angeschrieben. Touristen gibt es hier kaum. Viele schauen mir erstaunt ins Gesicht, manchmal glotzen sie fast schon und fragen nach meinem Herkunftsland. «Ah, aus der Schweiz, dem Land des Reichtums und Friedens», höre ich des Öfteren.
Sich in Teheran zurechtzufinden, ist mühsam, das Taxifahren ist gewöhnungsbedürftig und ein Grundwortschatz in Farsi von Nöten. Die Busse und die Metro sind geschlechterspezifisch unterteilt: Hinten nehmen die Frauen Platz und im vorderen Teil des Busses die Männer. Eine Assoziation mit dem Apartheid-Regime in Südafrika ist unausweichlich.
Steht man mit einer Stadtkarte verzweifelt am Strassenrand und versucht ein Taxi zu kriegen, findet sich immer jemand, der einem freundlich seine Hilfe anbietet, auch ohne Englischkenntnisse. «Iranians love guests», erzählt mir meine Mahshid, die mir für sechs Wochen während meines Praktikums ein Zimmer in ihrer kleinen Wohnung bereitstellt und mir gegenüber die Rolle einer grossen Schwester einnahm.
Zwei Tage nach der Ankunft fängt das Praktikum in einer Consulting-Firma in Teheran an. Ich soll während drei Wochen die Angestellten in Sachen Soft Skills auf Englisch schulen. Ich werde mit einer Willkommenstorte empfangen, aber Englischkenntnisse scheinen bei den Mitarbeitern keine vorhanden zu sein. Die Schulungen laufen mehr schlecht als recht ab, mehr Beschwerden als Lob erreichen mich. «Zu kompliziert», heisst es und mehr Spiele müssten her.
Mein Chef, ein Armenier, der aufgrund meiner türkischen Wurzeln von Anfang an eine Aversion gegen mich verspürt, pocht auf das Thema Teamarbeit. «Teamwork isn’t common in Iran. If you look into the field of sports, you can see that just single players are successful.»
Ein Leben mit Restriktionen
Meine Internetsuche nach passenden Teamworkspielen für die durchzuführenden Schulungen gestaltete sich schwierig. Der Internetfilter der Regierung blockiert fast jede zweite Seite und jedes zweite Bild, von den social networks ganz zu schweigen. In Teheran, einer Acht-Millionen-Stadt, sucht man vergebens nach Bars, Clubs, öffentlichen Partys oder Alkohol. Nach elf Uhr abends leeren sich die Strassen und ganz untypisch für eine Grossstadt wird es ruhig. Das Einzige, was die Nachtruhe zu unterbrechen vermag, ist der Muezzin morgens um fünf Uhr sowie die unerträgliche Hitze, die den ganzen Tag über anhält. In einer Stadt aus Beton, wie es Teheran ist, misst man nachts noch eine Temperatur von 35 Grad. Die Tagestemperatur lässt sich nur mühsam ertragen, Kopftuch, lange Bluse und Hosen machen es da einem nicht einfacher, geschweige denn, die enorme Luftverschmutzung, die manche gestandenen Teheraner dazu veranlasst, Gesichtsmasken zu tragen und um Regen zu beten.
«You will get arrested, if you walk on the streets with a professional camera», warnt mich Makkan, ein Künstler, der seine Fotos im Geheimen schiesst. Ich packe meine Kamera weg. «This is not a place for artists. I want my husband out of this country. He is wasting his time.» Makkan’s Frau, Negar, sucht wie so viele Iraner einen Fluchtweg raus aus dem Land der Verbote.
Ein Land der Jugend
70 Prozent der iranischen Bevölkerung ist unter 30 Jahre alt, die Alphabetisierungsquote liegt bei 90 Prozent und die meisten Jugendlichen besuchen eine Universität, in der Hoffnung, später den Master irgendwo im Westen absolvieren zu können. Dem Iran scheint die Jugend davonzulaufen, doch Jugendliche gibt es genug, genauso wie verbotene Partys mit selbst gebrautem Alkohol. Auf den Partys, zu denen ich eigeladen werde, tanzen Frau und Mann miteinander und es werden kurze Röcke getragen, auch wenn man am nächsten Tag ein Kopftuch trägt, wenn der Cousin zu Besuch kommt. Aber die Iraner wissen, wie man feiert.
Am Wochenende werde ich öfters von meinen Arbeitskollegen zum Wandern und Bergsteigen ausserhalb Teherans eingeladen, wo man in einer Steppenlandschaft ins eiskalte Wasser eines Bergbaches tauchen kann und genüsslich auf dem Feuer Kebab brät. Die Natur Irans ist einzigartig: steppige Berge ragen rund um Teheran aus dem Boden, während im Norden schweizerisches Wetter herrscht. Ein ganz besonderes Vergnügen ist die heisseste Wüste der Welt, die Dasht-e Lut Wüste südöstlich des Landes.
Die Zeit und die Arbeit in der Consulting-Firma liessen mir nicht sehr viel Freiraum zum Reisen übrig, aber ein Besuch in Isfahan gehört bei einem Teheranaufenthalt auf die Liste der Sehenswürdigkeiten. Eine sechsstündige Fahrt trennt die Hauptstadt und die «Hälfte der Welt», wie ein iranisches Sprichwort die Stadt bezeichnet. Bekannt ist Isfahan im Volksmund für ihre Sauberkeit und tatsächlich findet man auf den Strassen keinen Abfall. Die Stadt ist Zeitzeuge früher islamischer Architektur geworden. Alte Lehm- und Steinbauten säumen die Strassenränder, Rundbögen und Kalligrafien schmücken die Gebäude. Die islamische Architektur lässt die Kindergeschichten um Ali Baba und seine Räuber aufleben und mit etwas Vorstellungskraft sieht man vielleicht Aladdin auf seinem Teppich die Lüfte über Isfahan unsicher machen.
«Most of Iranian women wear black. I don’t like that, but if you know them, you see they are all colored.» Ich laufe mit Mahshid durch den Park der Künstler, der um ein Theater gebaut wurde. «You know, Iranians are actors», waren die ersten Worte, die Makkan zu mir sprach. Den Iranern ist aufgrund der Restriktionen verboten, in der Öffentlichkeit sie selbst zu sein, was man bei einem längeren Iranaufenthalt am eigenen Leibe zu spüren bekommt. Kleidervorschriften und strenge Verhaltensregeln in der Öffentlichkeit machen es unmöglich, seiner eigenen Persönlichkeit Ausdruck zu verleihen. Sobald man das Haus verlassen hat, ist man gezwungen Theater zu spielen. So gewinnt das Leben in den eigenen vier Wänden zunehmend an Bedeutung und erklärt die Milchglasscheiben, die Fremden den Blick in die Wohnung verwehren sollen.
Alles in allem ist das alte Persien auf jeden Fall ein Theaterstück mit Schauspielern, die es zu analysieren lohnt.