Germanistin mit Herzblut

Ulrike Landfester ist studierte Germanistin sowie Prorektorin für internationale Kooperationen und regionale Verankerung. prisma besuchte sie in ihrer  Terrassenwohnung oberhalb des Bahnhofs St. Gallen und verbrachte einen heiteren Nachmittag mit der Frohnatur Ulrike Landfester. Bei strahlendem Sonnenschein sprachen wir über Hummeressen und Tanzeinlagen.

Den ersten Mailkontakt mit der bisher einzigen Frau im Prorektorat kann man mit drei Adjektiven beschreiben: zackig, direkt und sehr unkompliziert. Wenige Tage nach der ersten E-Mail besuchten wir Ulrike Landfester in ihrer Terrassenwohnung oberhalb des Bahnhofs St. Gallen und begegneten einer enthusiastischen Frohnatur. Lachend und scherzend begrüsste sie uns und bat uns herein. Immer wieder  scherzte sie, lachte ehrlich aus dem Bauch heraus und sass so locker auf dem Sofa, als wären wir jeden Tag hier. Obwohl sie Hochdeutsch spricht, versteht sie Schweizerdeutsch mühelos. Einerseits, weil ihr Mann Marco Schweizer ist, und andererseits, weil sie in Freiburg im Breisgau aufwuchs. Sie hätte dazumal überhaupt keine Probleme gehabt, Mundart zu sprechen, doch ihre Eltern fanden es karriereschädigend und meinten, «sie solle mal besser richtiges Hochdeutsch lernen». Nachdem sie drei Semester Archäologie und Ägyptologie in Freiburg studiert hatte, dies aber wegen ihres Rückenleidens und der Abneigung gegenüber dem Erlernen von Griechisch und Hebräisch abbrach, begann sie zum Entsetzen ihres Vaters, der sie lieber als Juristin oder Ärztin gesehen hätte, «brotlose Kunst» zu studieren. Auch heute noch sagt Landfester: «Germanistik ist mein Fach.» Mit Anfang 20 besuchte sie an der Freiburger Uni ihr erstes Seminar über Goethe. Wahrscheinlich hatte der Professor einen guten Tag, jedenfalls gingen bei seinem Eingangsvortrag «bei mir die Kronleuchter an und die Glocken los. Ich muss dagesessen haben mit hängendem Kinn und riesengrossen Augen». Von diesem Moment an wusste Landfester, dass sie bis an ihr Lebensende nichts anderes mehr machen möchte. «Ich dachte damals: Das ist mein Job. Ich werde Germanistik-Professorin. Es gab keinen Plan B mehr.» Auf unsere Frage, warum sie denn von diesem Professor und seinem Seminar so angetan war, antwortete sie: «Er hat mir gezeigt, was man mit Texten machen kann, wenn man versteht, wie sie funktionieren und was sie ausmacht – absolut fantastisch.» Der Professor, der die Leidenschaft für die Germanistik in Landfester weckte, wurde wenig später von Freiburg nach München berufen, wohin ihm Landfester folgte.

Schon als Kind las Landfester extrem viel und gerne. Ihr Vater, ein Historiker, brachte ihr und den beiden jüngeren Schwestern das Lesen schon im Kindergarten bei. «In den Bilderbüchern im Kindergarten war nirgends etwas zum Lesen, nur Bilder, ich habe mich noch in der Primarschule zu Tode gelangweilt.» Neben dem Lesen hat ihr Vater den Geschwistern in den Ferien in Frankreich systematisch beigebracht, wie man Austern schlürft und Fische filetiert. «Er meinte, dass man wissen müsse, wie das funktioniert. Das würde einem später im Leben etwas bringen. Das Einzige, das er uns nicht beigebracht hat: wie man Hummer isst, denn das mochte er nicht und da kämpfe ich bis heute», schildert Landfester lachend. Auf die Frage, mit was sie denn sonst noch hadere oder was sie besonders gut könne, überlegte sie erstaunlich lange und fand vorerst keine eindeutige Antwort. Deshalb lockte sie ihren persönlichen Juristen, ihren Mann Marco, aus seinem Büro und bat ihn um eine Stellungnahme. Allerdings war dieser so in seine Arbeit vertieft, dass er zuerst einmal ein wenig Zeit brauchte, um zu unserem Gespräch und Gelächter zu finden. In der Zwischenzeit fiel der Prorektorin dann doch was zu sich selbst ein: Ihre Stärken sind die Leidenschaftlichkeit für eine Sache, die sie interessiert, die Loyalität gegenüber anderen Menschen und insbesondere ihr Mann. «Ohne die Unterstützung meines Mannes wäre ich nicht in der Lage, alles in meinem Beruf unter einen Hut zu bringen, weil alles so zeitintensiv ist, und wenn er nicht ab und zu an Anlässe mitkäme, würden wir uns noch viel weniger sehen.»

Absolute Ruhe

Auf der anderen Seite sei sie teilweise etwas ungeduldig, «erwarte von anderen das, was ich von mir erwarte, und weil das immer mehr ist, als realistischerweise geht, überfordere ich damit manchmal – mich und andere eben auch.» Da setzte auch ihr Mann ins Gespräch ein und brachte uns mit einer Alltagssituation unserer Interviewpartnerin zum Lachen: «Sie könnte teilweise etwas toleranter sein mit Mitreisenden im Zug. Sie kann sich da richtig in etwas reinsteigern.» Landfester: «Oh ja, da kann ich mich wahnsinnig aufregen – über Leute in der Bahn zum Beispiel, die gnadenlos indiskret ihre Privatangelegenheiten oder Geschäftsbeziehungen am Handy ausbreiten oder ihre Musik so laut hören, dass ihre Kopfhörer den ganzen Wagen beschallen – das nervt mich übelst. Da stört mich nicht nur der Lärm, sondern schlichtweg die Frechheit, dass die ganze Umgebung mitbelästigt wird.» Allgemein ist unsere Interviewpartnerin nach eigenen Angaben sehr störungsintolerant. Zum Schreiben braucht sie absolute Ruhe, und wenn irgendwo ein Radio, Baustellen oder Kinder zu hören sind, fährt sie aus der Haut.

Wegen der Arbeit als Prorektorin kommt sie momentan allerdings weniger zum wissenschaftlichen Schreiben. Denn «entweder springe ich in der Weltgeschichte rum oder ich laufe hier in St. Gallen von Anlass zu Anlass». Für den Job als Prorektorin, den sie seit zwei Jahren ausübt, ist sie sehr viel im Namen der HSG unterwegs, international wie regional. Für den Austausch mit der Region ist sie das ganze Jahr über auf Achse. In der vorlesungsfreien Zeit reist sie international, wie diesen Sommer, als sie und ihr Kollege in Afrika mögliche Kooperationen zwischen dortigen Universitäten und der HSG geprüft haben. Arbeit gibt es immer, Semesterferien machen für sie keinen Unterschied.

Leidenschaft im Beruf

Wir wollen von unserer Interviewpartnerin wissen, was ihr Beruf denn im Vergleich zu anderen ausmacht? Sie antwortet wie aus der Pistole geschossen: «Es ist kein nine-to-five-Job. Ich bin davon begeistert, meine Motivation ist intrinsisch. Das gilt für beides – das Prorektorat und die Germanistik. Das erste mache ich, weil ich Verantwortung für das Gemeinwesen übernehmen will. Das zweite mache ich, weil der Gegenstand mich unersättlich neugierig macht, und wenn ich damit Geld verdiene, habe ich Glück – und bin gut in meinem Metier, eben weil ich neugierig bin.» Geld sei ihr nicht egal, aber im Unterschied zum Job als Studentin in einer Kneipe, bei welchem es einzig und allein ums Geldverdienen ging, wählt sie ihren Beruf heute aus voller Begeisterung. Ein richtiger, erfüllender Beruf ist eine Frage der Leidenschaft, denn «man kriegt nie all das zurück, was man reinsteckt», zumal wenn man in den Geisteswissenschaften tätig ist. Nur schon bis man die Habilitation erreicht, arbeitet man 15 Jahre; wenn man endlich eine Professur bekommt, ist man locker 40 Jahre alt und verdient bis dahin praktisch nichts – «man hangelt sich vom Arbeitslosengeld zum Stipendium. Wenn man nicht so viel Spass daran hätte, würde man sich das nicht antun». Universitäten können einem nie dieselben Saläre bieten wie die freie Marktwirtschaft. Was man allerdings an der Uni bekommt, ist ein  vergleichsweise freier Raum, «um seinen Interessen an der Wissenschaft zu fröhnen. Die Arbeit muss einem wirklich Spass machen. Deshalb versuchen wir Sie hier an der HSG auch so auszubilden, dass Sie Ihren späteren Job nicht nur Ihres Gehalts wegen machen. Ohne Leidenschaft für Ihren Beruf würde Ihnen immer etwas Entscheidendes fehlen – aber mit dieser Leidenschaft für die Sache, mit Neugier und innerem Engagement kommen Sie überall hin, wo Sie wirklich hinwollen.»

Das einzige, was Ulrike Landfester derzeit wirklich fehlt, ist Zeit. Zeit für sich und ihr wissenschaftliches Arbeiten, Zeit fürs Kochen für Familie und Freunde, Zeit aber auch, um ihr Haus in Südfrankreich gemeinsam mit ihrem Mann zu geniessen, ohne dadurch gegenüber den ständig wechselnden Anforderungen zu Hause ins Hintertreffen zu geraten. Zeit ist ein kostbares Gut, über das sie momentan zu wenig selbst bestimmen kann. Sollte sich dies in Zukunft ändern, plant sie neben dem Schreiben von Büchern, der Gartenarbeit auf der Terrasse und der Renovierung ihres Hauses in Südfrankreich auch viel Zeit mit Tanzen zu verbringen. Sie und ihr Mann tanzen leidenschaftlich gern und haben deshalb vor, «wenn wir denn dafür Zeit haben, auch mal den einen oder anderen Tanzkurs zu besuchen – Foxtrott, Cha Cha Cha und Tango. Das wollen wir mal systematisch aufnehmen, damit wir dann so in 20 Jahren eine noch kessere Sohle aufs Parkett legen können als bisher bei den HSG-Bällen». Ja dann! Wir wünschen Ulrike Landfester an dieser Stelle alles Gute für die Zukunft, viele Tanzeinlagen und weiterhin so viel Fröhlichkeit und Enthusiasmus. Merci für das Gespräch!

Zu Ulrike Landfester

Geboren am 23. Juni 1962 in Soltau, Niedersachsen
Hobbys: Gartenarbeit, kochen und tanzen
Lieblingsautor: Goethe (aber nicht zur Unterhaltung), Krimiautorinnen
Lieblingsmusik: Patricia Kaas, Chopin
Lieblingsorte: St. Gallen, London, Weimar (Goethe-Stadt), Südfrankreich
Lieblingsessen: Curry bis Tafelspitz und saures Lüngerl (Rinderlunge an einer Essigsauce) mit Semmelknödel (bayrische Spezialität)


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