Es jodelt vom Rosenberg herunter

An der HSG besinnen sich Studenten auf eine bestimmte Tradition zurück, die in den Alpen schon seit Langem benutzt wird, um das Vieh zusammenzutreiben: Jodeln ist in.

Für all diejenigen, welche den Zusammenhang zwischen Alpwirtschaft und der HSG nicht erkennen: «Jodel» ist eine App. 2012 studierte der deutsche Alessio Borgmeyer in San Diego und gründete mit Freunden einen Messenger genannt tellM, mit welchem man unter Freunden anonym chatten konnte. Aufgrund mangelnder Geschehnisse erlahmte dieser Messenger allerdings ziemlich bald.

Zurück in Deutschland und Student in Aachen, machte sich Alessio daran, die Inputs partizipierender Kollegen, welche den Fokus vom Verfasser weg auf die Quantität der Einträge legten, umzusetzen. Im Oktober 2014 erblickte sodann Jodel in Aachen das Licht der Welt. Das Team dahinter bestand anfänglich aus vier jungen Menschen, hat sich mittlerweile jedoch auf sieben Köpfe (siehe Bild) ohne klar abgegrenzte Aufgabenverteilung ausgeweitet.

Gleiche Wetterlage

Das Prinzip hinter Jodel ist simpel: Jede Person kann einen kurzen Text verfassen oder ein Foto hochladen und alle anderen Nutzer in der Nähe können dies sehen. Jodel – so werden die Posts genannt – können darau in upgevotet, was dem gleichen Prinzip wie «liken» entspricht, oder alternativ downgevotet werden. Falls der eigene Post upgevotet wird, erhält der Verfasser zwei Karma-Punkte, falls er downgevotet wird, minus zehn. Wenn man einen fremden Jodel bewertet, egal ob positiv oder negativ, gibt es auch zwei Punkte.

Jodel Team
Jodel Team

Bei der Bewertung eigener Jodel geschieht nichts. Das gleiche Bewertungsschema gilt auch bei Kommentaren, welche zu jedem Jodel erstellt werden können. «Die Jodel-App legt den Schwerpunkt auf den Ort des Posts, und nicht auf den Verfasser», meint Tim vom Kernteam zum Erfolg von Jodel. Alle innerhalb eines zehn Kilometer Radius können die Posts sehen, somit hat die Leserschaft oftmals Gemeinsamkeiten mit dem Verfasser, beispielsweise die gleiche Wetterlage, den gleichen Grossanlass oder die gleiche Universität. Der Vorteil von Jodel gegenüber anderen Plattformen wie Instagram, Facebook oder Snapchat liegt auf der Hand: Man hat eine direkte Audienz. Die Leute müssen einander nicht folgen, nein, man wird automatisch gelesen.

Pimmelstädte regieren

Momentan ist Jodel vor allem in Deutschland, Schweden und Spanien stark verbreitet, doch langsam etabliert sich die App auch in der Schweiz, Österreich und dem Rest Skandinaviens. Die Hotspots sind die Gründungsstadt Aachen, aber auch Passau und Mannheim. Alle drei sind kleine Städte mit einem prozentual hohen Studentenanteil. Doch nicht nur hier kann eine Parallele zu St. Gallen gezogen werden, denn Aachen ist wie St. Gallen eine Pimmelstadt – um es mit den Worten von Alessio auszudrücken –, da viel mehr Studierende Männer sind. «St. Gallen ist Kernstandort von Jodel in der Schweiz, auch wenn es in Zürich mittlerweile mehr Jodler gibt», erzählt Tim.

Der Erfolgsfaktor Nummer eins sei der lokale Zusammenhalt: St. Gallen sei dafür genug klein, aber auch genug gross, dass immer etwas laufe. Wenn jemand seinen Dildo auf dem Fenstersims vergisst, wird von einem Passanten ein Foto auf Jodel gestellt. Kurze Zeit später dann das Foto mitsamt Dildo vom Innern des Zimmers. Ja, dieser Post wurde von Tim in höchsten Tönen gefeiert. Auch in Basel und Bern wachse die Community täglich.

«Wenn das Mädel in der Reihe vor mir jetzt nochmal das Handy auspackt und weiter Hörsaal Selfies macht leg ich ihr meinen Penis auf den Kopf. #verdient.» Dies ist mit 863 Upvotes der beste Jodel bisher, gepostet in Aachen. Falls die Frage auftaucht, wie so viele Likes möglich sind: Dieser Post wurde noch mit dem alten Algorithmus gepostet, wo ein Top Jodel ewig in der Bestenliste blieb. Heutzutage aktualisiert sich diese Liste regelmässig, weshalb eine solche Anzahl an Upvotes fast nicht mehr möglich ist.

Toni Brunner beim Jodelcheck Foto: Jonas Streule)
Toni Brunner beim Jodelcheck Foto: Jonas Streule)

An der HSG besteht der beste Jodel mit 462 Upvotes aus einem Bild von Toni Brunner beim Jodeln nach der Elefantenrunde von Vimentis letzten Monat – übrigens von einem prisma Redaktor stammend. Mit 317 Upvotes und damit auf dem zweiten Platz in St. Gallen ist der nachfolgende Post: «Ich feier den Typen, der einer Studentin ihr FIBU Skript geklaut hat. Sie es auf Sharing is Caring postet und er so bei der Rückgabe mit ihr ins Gespräch kommen kann. #youreafuckinlegend #nobelpreisverdächtig #HSGenius.» Über Karma redet man ja nicht, was ein ungeschriebenes Gesetz ist, trotzdem kurz einige Angaben dazu: In Aachen gibt es Jodler mit über 1’000’000 Karma, während in St. Gallen mittlerweile die 150 000 geknackt wurden.

Da die App weder etwas kostet, noch Werbung aufgeschaltet wird, ist die Frage nach der Finanzierung einfach geklärt: Investoren. Kurz- bis mittelfristig wird dies auch so bleiben, denn zuerst wollen die Betreiber User gewinnen, bevor es an die Monetarisierung geht.

In näherer Zukunft liegt der Schwerpunkt vor allem auf der Produktentwicklung, bald kommt ein Update mit neuen Features heraus. «Wir wollen den Markt der lokalen Kommunikation weiter erobern», sagt Tim.

Frei von Verantwortung?

Heisst Anonymität, dass man schreiben kann, was man will? In Amerika kursiert eine ähnliche App wie Jodel, genannt «YikYak», welche nicht zuletzt für ihre Fälle von Mobbing bekannt ist. In diesem Zusammenhang ist vor allem der Fall von Elizabeth Long aus Atlanta zu erwähnen, welcher im Business Insider erzählt wurde: Als 17-jährige Studentin beging sie einen erfolglosen Suizidversuch, landete darau in im Spital und als Folge in einer Depression. Auf YikYak wurde kurz darauf «Elizabeth Long needs to stop bitching about how she almost killed herself and go ahead and do it» gepostet.

Wie löst Jodel das Problem der uneingeschränkten Anonymität? In einem früheren Interview mit Bento erklärte Alessio von Jodel, dass die Jodel Community noch kein Hassmob sei; alles sei sehr friedlich. Auch Tim stimmt dem zu und führt aus: «Das wichtigste Kontrollorgan sind die Jodler selbst, da ein Post bei fünf Downvotes verschwindet. Somit verschwinden beleidigende, anstössige oder belästigende Beiträge eigentlich immer sehr schnell.

Ansonsten kann man einzelne Jodel auch melden, dann beschäftigt sich ein Moderator damit. Als Folge kann ein Jodel-User entfernt und somit die App erst wieder benutzt werden, wenn ein neues Smartphone gekauft wird.» Obwohl die Jodel-Betreiber keinen Zugriff auf die Telefonnummern ihrer User haben, können sie mittels der Accountnummer ihrer User deren Aktivität mitverfolgen und sie gegebenenfalls auch sperren.

 Bilder: zvg, Jonas Streule/Jodel


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