Kommerzielle Lernhilfen stehen bei uns Studenten hoch im Kurs. Sie sind in der Lernphase allgegenwärtig und gelten oft als effiziente, zeitsparende und nahezu unverzichtbare Prüfungsvorbereitung. Zu Recht?
Sind wir Studenten schlicht und ergreifend zu dämlich, den Stoff ohne Zusatzangebot zu verstehen? Sind die Dozenten gar nicht in der Lage, ihre Inhalte zu vermitteln? Oder ist es die Unsicherheit, die uns in externe Lernhilfen investieren lässt? «Wie bereitet man sich am besten auf die Mikro II-Prüfung vor?» ist neben unseriösen Kreditangeboten eine der häufigsten Anfragen in HSGnahen Facebook-Gruppen. Die Antworten sind oft einstimmig: «Nimm den Ordner von Uniseminar!», «KKarten helfen wirklich.» oder «Mir hat das Mathekurs-Seminar weitergeholfen.» Das Vertrauen in externe Angebote ist seit Jahren hoch. Bereits in der Startwoche wurde uns eingebläut: «Die Bücher und Vorlesungen braucht ihr eigentlich nicht. Besorgt euch nur am Ende unbedingt die Ordner und Karteikarten!» Mitunter entstand der Eindruck, dass die Prüfungen ohne kommerzielle Lernhilfen nicht zu bestehen seien. Ohne etwaige Spoiler vorwegzunehmen: sie sind es.
Das Konzept der Lernhilfen ist einfach: Man zahlt etwas Geld, um den Stoff verständlich und schön aufbereitet serviert zu bekommen. Dass der Grossteil der Inhalte kostenlos auf dem StudyNet steht, ist da eher zweitrangig. Das Geschäftsmodell funktioniert und hat seine Daseinsberechtigung. Die Aufbereitung der Daten kann auch das Lernen beschleunigen, beziehungsweise verbessern und die Lernphase angenehmer gestalten. Wem es das wert ist, soll auch dafür bezahlen.
Das ist nachvollziehbar, solange ein wirklicher Mehrwert geliefert wird. Wer auf diesen Mehrwert beispielsweise beim Finance-Ordner im Herbstsemester 2013 von Uniseminar vertraut hat, wurde jedoch sichtlich enttäuscht. Für 55 Franken gab es ein Theorieskript, das mit der Veranstaltung – abgesehen vom Titel – wenig gemein hatte. Die Übungen waren schlicht vom StudyNet kopiert und enthielten dazu noch fehlerhafte Lösungen. Dass die offiziell herausgegebenen Lösungen ebenfalls nicht fehlerfrei waren, soll dabei kein Trostpflaster sein. Da kann man sich fragen: Wie konnte sich das Lernhilfe-Angebot an der HSG überhaupt etablieren?
Wie alles begann
Tim Ruffner, Gründer von Uniseminar, kam die Idee während seines HSG-Studiums im Jahr 2005: «Zu dieser Zeit war die Prüfungsvorbereitung mühsam. Prüfungen waren nur vereinzelt im Umlauf; einige Glückliche profitierten davon, die meisten jedoch nicht.» Deshalb trugen Ruffner und seine Freunde alle bisherigen Prüfungen zusammen, liessen von Doktoranden Lösungen und Zusammenfassung erstellen und kreierten so den ersten Uniseminar-Ordner. Er wurde jeweils von Hand zusammengestellt und umfasste knapp 20 bis 30 Theorieseiten, ebenso viele mit Übungen sowie etwa zwei bis drei Prüfungen. Zuerst konzentrierte sich der damalige Bachelorstudent auf das Assessment, später folgten die Bachelorkurse.
Inzwischen ist Uniseminar laut eigener Aussage an dreizehn Schweizer Universitäten, sechs Universitäten in Deutschland, zwei in den Niederlanden sowie in Wien und an der Bocconi-Universität in Mailand vertreten. Das Angebot umfasst über 500 unterschiedliche Produkte. «Im Endeffekt liefern wir massgeschneiderte Bildung – wie Hemden, aber für deinen Kurs und deine Uni, direkt auf deine Bedürfnisse angepasst», erklärt uns Ruffner. Fünfzehn- bis zwanzigtausend Kunden in ganz Europa gebe es jährlich. Genaue Verkaufszahlen werden jedoch nicht veröffentlicht. An der HSG, schätzt Ruffner, würden 70 bis 90 Prozent der Studenten ihre Produkte verwenden.
Konkurrenz fürchtet er nicht; um das grosse Geld gehe es ihm ohnehin nicht. Zwar glaubten viele, dass mit Lernhilfen viel Gewinn zu machen sei und versuchen immer wieder, sich im Markt zu etablieren. «Diese Angebote sind aber meist nach einem Jahr verschwunden», so Ruffner.
Erstellt werden die Th eorieteile meist von Doktoranden, die ein Thema über mehrere Jahre begleiten. Pro Jahrgang werden ausserdem akademisch herausragende Studenten eingestellt, welche die Ordner auf Fehler überprüfen – oft seien das Leute, die sich zuvor über die Qualität beklagt hatten, erzählt Ruffner. «Die Qualität ist bei uns sehr hoch. Wenn die Erwartungen jedoch nicht erfüllt werden, wie beispielsweise letztes Semester im Finance-Ordner, werden wir verständlicherweise gedisst.» Er teilt jedoch mit, dass der Ordner auf nächstes Semester umfangreich redigiert wird. Das Geld gibt’s trotzdem nicht zurück.
Prüfungsvorbereitung outgesourct?
Im Endeffekt also ein hehres Ziel: die Prüfungsvorbereitung für die Studenten verbessern. Gut, aber sollte das nicht eigentlich die Aufgabe der Universität sein? Die universitären Lernmittel scheinen demnach nicht besonders überzeugend zu sein, wenn bis zu 90 Prozent der Studenten zusätzlich oder ausschliesslich auf externe Angebote zurückgreifen. Laut Vito Roberto, Prorektor Lehre, liegt es nicht unbedingt an dem schlechten Angebot der Dozenten, sondern an der Risikoaversion der Studenten.
Die kommerziellen Anbieter werden zusätzlich genutzt, da eine weitere Quelle ebenfalls hilfreich sein könnte.
Die Universität ist aber dabei, die Prüfungen dahingehend zu verbessern, dass nicht stupides Auswendiglernen abgefragt wird, sondern das Verständnis des Unterrichtsstoff es. Wie rasch dies in den jeweiligen Fächern gelingt, ist unterschiedlich, da der Vorlesungsinhalt im Verantwortungsbereich des Dozenten liegt. Roberto gewinnt den Lernhilfen auch einen positiven Aspekt als Messinstrument ab: «Je weniger solche Auswendiglernkarten genutzt werden, desto erfolgreicher sind wir in unserem Bestreben, die Prüfungsgestaltung zu verbessern».
Zahlen für nichts
Ein Grossteil der kommerziellen Lernhilfen besteht aus Unterlagen, die gratis über das StudyNet bezogen werden können. Die angebotenen Lösungen sind manchmal besser, manchmal schlechter, oft einfach nur bis auf die Kommafehler identisch. Früher wurden Copyrightverletzung diskutiert, heute gibt man sich geschlagen. «Da die Dozenten ihre Aufgaben ja auch aus Büchern haben, ist es schwierig, den Inhalt zu schützen. Es gibt kein Patent für 1+1=2», verteidigt sich Ruffner. Zudem würde Uniseminar die Aufgaben und Prüfungen leicht anpassen.
Helle Köpfe und 1‘000 Karteikarten
Zweifellos nutzen alle kommerziellen Anbieter die Angst und Faulheit ihrer Kunden aus. Spätestens, wenn man den Uniseminar-Ordner für «Einführung in die VWL» durchgeblättert hat, weiss man, dass der profitmaximierende Anbieter in einem konzentrierten Markt ein Teil der Konsumentenrente abschöpft. Letztendlich ist es jedoch jedem selbst überlassen, wie er oder sie lernen will: mit eigenen Zusammenfassungen, mit Wissen aus Konserven wie KKarten, Mathekurse oder mit den Deluxe-Repetitorien von Glemser. Bei Letzteren kostet das Assessment-Package für das Frühlingssemester stolze 375 Franken. Für die bald schon wieder anstehende Lernphase gilt ebenso wie für das gesamte Leben: Unsere Gehirne sind mehr wert als tausend kleine Kärtchen und die Tasten «Ctrl», «C» und «V». Mit kurzem Nachdenken kann man sich viel Ärger, Geld – und allenfalls sogar Fehler in der Prüfung – ersparen.