Das prisma feiert bald sein 65-jähriges Jubiläum! Als Studierendenmagazin sind wir Teil der sich im Wandel befindenden Medienwelt und möchten dementsprechend einen Blick in die Zukunft der Medien werfen. Dazu hat prisma mit Dennis Draber, Leiter Business Development bei DIE ZEIT Verlagsgruppe, ein spannendes Gespräch geführt.
Die Medienwelt hat sich seit dem technologischen Wandel rasant entwickelt. Inwiefern besteht Anpassungsbedarf?
Bereits in den frühen 2000ern ist die Digitalisierung Teil der Medienwelt geworden. Damals haben jedoch viele Verlage den grossen Fehler gemacht, Inhalte kostenlos online zur Verfügung zu stellen. Es herrschte damals die Überzeugung, dass die Kosten rein durch Werbeeinnahmen gedeckt werden könnten, doch das funktionierte nur bis zu einem bestimmten Punkt. Dank Streaming-Diensten wie Netflix und Spotify herrscht aber seit einigen Jahren ein Mentalitätswandel und die Menschen haben sich zunehmend daran gewöhnt, dass hochwertige Medieninhalte etwas kosten. So steigt auch die Zahlungsbereitschaft für digitale Inhalte Jahr für Jahr an. Was für uns spannend ist, ist die Tatsache, dass DIE ZEIT ein «All-Time-High» erreicht hat – nie zuvor war die Auflage höher als jetzt, dies auch dank vollbezahlter digitaler Verkäufe. Doch es bleibt nicht lediglich bei der Digitalisierung der Print-Artikel, sondern weitere radikale Veränderungen sind zu erwarten. Das Mediennutzungsverhalten verändert sich heute mit einer viel höheren Dynamik, weshalb durchaus mit einer weiteren Beschleunigung des Wandels zu rechnen ist. Ausserdem dürfte eine stärkere Fragmentierung stattfinden: Es wird nicht mehr einen Hauptkanal für den Informationskonsum geben, sondern eine Vielfalt von Kanälen, was sich bereits heute abzeichnet. Diese werden zwar zueinander in Konkurrenz stehen, sich jedoch keineswegs gegenseitig verdrängen – sie stehen gleichberechtigt nebeneinander. Diese stetig wachsende Zahl an unterschiedlichen Medienangeboten führt aber dazu, dass es nicht mehr wie früher ein klassisches «Leitmedium» geben wird. Ein gutes Beispiel dafür ist das Aufkommen von Podcasts – eine neue Form des Medienkonsums. Mittlerweile buhlen tausende deutschsprachige Podcastangebote um die Aufmerksamkeit der Hörenden, während es früher nur einige Dutzend Radiosender gab. Egal, ob Print-, Online- oder Audioform: Wichtig ist, dass die Medienhäuser eine klare Strategie verfolgen. Sie könnten einerseits versuchen, Qualitätsführerschaft zu übernehmen, denn für qualitativ hochwertige Medien wird es immer einen Markt mit Zahlungsbereitschaft geben. Alternativ könnte auch die Nischenstrategie sinnvoll sein: Mit Expertise auf einem ganz bestimmten Themenfeld können Medienschaffende erfolgreich sein, weil sie die einzigen sind, die Fachwissen auf besonderen Gebieten haben.
Werden Printmedien in 65 Jahren überhaupt noch existieren?
Gehen wir zuerst 65 Jahre zurück: Damals gab es zwei Erscheinungsfrequenzen von Zeitungen – eine Morgen- und eine Abendzeitung. Dies hat sich inzwischen verändert, wir kennen heute maximal eine Ausgabe pro Tag. Dazu hat die Digitalisierung massgeblich beigetragen, denn digitale Medien können schneller über aktuelle Geschehnisse berichten. Für mich liegt demnach nahe, dass wir in 65 Jahren keine gedruckten Tageszeitungen mehr haben werden. Was aber vermutlich noch existieren wird, sind gedruckte Wochenzeitungen, während tagesaktueller Journalismus rein digital zugreifbar sein wird. So werden gedruckte Zeitungen in Zukunft etwas Besonderes sein, fast schon ein Luxusprodukt. Dafür wird es meiner Meinung nach auch in Zukunft noch einen Markt geben, denn in Wochenzeitungen können Journalist*innen viel mehr in die Tiefe gehen. Das Lesen der gedruckten Wochenzeitungen ist aus meiner Sicht eine Art von «Me-Time»,
denn man entscheidet sich bewusst einmal in der Woche, eine gedruckte Zeitung zu lesen und nimmt sich dafür auch extra Zeit. Das ist mit dem Lesen eines Buches zu vergleichen, was schon heute genau diese Gelegenheit für «Me-Time» darstellt. Wenn wir beim Thema sind: Der Markt für E-Books stagniert aktuell und der Marktanteil der gedruckten Bücher geht nicht mehr zurück. Das spricht dafür, dass bei den Menschen das Bedürfnis nach Print-Medien nach wie vor ausgeprägt ist.
Glaubst Du, dass es in 65 Jahren eine stärkere Globalisierung der Medien geben wird, oder wird die lokale Berichterstattung wieder wichtiger?
Ich würde mir wünschen, dass lokale Zeitungen nicht untergehen, sondern auch in 65 Jahren noch weiterbestehen werden. Der Knackpunkt daran ist jedoch die Finanzierung solcher Angebote: Lokalzeitungen sind personalintensiv, denn echte Menschen müssen Recherche vor der Haustür betreiben, das kann keine KI übernehmen. Leider haben viele Unternehmen ihr Budget für Printwerbung stark reduziert, was die kleinen Lokalzeitungen am härtesten trifft. Die Abnahme lokaler Zeitungen stellt jedoch ein Problem für unsere Demokratie dar. So zeigt eine Studie aus den USA, dass an Orten, wo es keine unabhängige lokale Berichterstattung mehr gibt, die Korruption wesentlich höher und die Wahlbeteiligung niedriger ist. Die Washington Post hat das Ganze passend zusammengefasst: «Democracy Dies in Darkness». Die Demokratie stirbt, wenn keiner mehr den Mächtigen auf die Finger schaut, wenn es kein kontrollierendes Organ mehr gibt. Auf nationaler Ebene sind wir zum Glück weit davon entfernt – auf lokaler Ebene ist das leider mancherorts bereits Realität
Welche neuen Formen von Medien könnten in den nächsten Jahrzehnten entstehen und welche Rolle spielt dabei die Künstliche Intelligenz (KI)?
Die Rolle der klassischen Journalist*innen ist im Wandel. Ich sehe zwei Trends, welche die Mediennutzung in den nächsten Jahrzehnten entscheidend prägen werden. Erstens, KI-gestützte Personalisierung, zweitens, die wachsende Bedeutung des «Laienjournalismus». In 65 Jahren, wahrscheinlich auch schon viel früher, wird digitaler Medienkonsum hochgradig personalisiert sein. KI kann Nutzerdaten analysieren und anhand dieser Grundlage Inhalte auf einer individuellen Ebene anpassen, etwa hinsichtlich Präferenzen, Interessen und sogar Stimmungen der Nutzenden. KI wird in der Lage sein, den besten Zeitpunkt, Kanal und Stil für die
Veröffentlichung von Inhalten zu ermitteln. Die Verteilung wird optimal auf die Zielgruppe zugeschnitten sein. Der zweite Trend, den wir bereits in den letzten Jahren durch das Aufkommen von Blogs und Social Media Plattformen erlebt haben und der sich weiter verstärken wird, ist der des Laienjournalismus: Jede
Person kann mit wenigen Klicks zum Medienschaffenden werden und auf ihren eigenen Kanälen hohe Reichweiten erzielen, die teils sogar grösser sind als die Reichweiten etablierter Medienhäuser. Übrigens muss Laienjournalismus nicht zwingend etwas Schlechtes sein: Gerade in autokratischen Staaten, aber auch in demokratischen Gesellschaften erleben wir, dass Laienjournalist*innen Korruption und Menschenrechtsverstösse ans Tageslicht bringen können. Aus meiner Sicht ist dies ein spannender Gegentrend zum Rückgang der Lokalzeitungen. Durch die wachsende Bedeutung sowohl von KI als auch von dem Laienjournalismus müssen menschliche Rollen im Journalismus neu definiert werden. Was KI betrifft, haben Medienhäuser, die auf Qualität setzen, bereits jetzt klare KI-Leitlinien. Beispielsweise muss für die Lesenden kenntlich gemacht werden, wo KI eingesetzt wird. Die gute Nachricht: Auch in 65 Jahren wird es weiterhin hauptberufliche Tätigkeiten für Menschen in den Medien geben. Viele Rollen werden aber womöglich stärker mit der Steuerung und Aufsicht über die KI beschäftigt sein (Stichwort Verantwortung). Vielleicht wird es eines Tages für Qualitätsmedien sogar zum Alleinstellungsmerkmal, wenn ein Text «von echten Menschen» verfasst wurde.
Sind Medien in 65 Jahren vollständig personalisiert – massgeschneidert auf jede einzelne Person?
Ich beobachte in meinem Freundeskreis und auch bei mir ein spannendes Phänomen. Es ist eine Müdigkeit beim Auswählen von Inhalten: Allein die riesigen Mediatheken von Netflix oder Amazon überfordern die Nutzer*innen trotz aller möglichen Empfehlungs-Algorithmen. Ganz oft lautet die simple Frage im Freundeskreis: «Welche Serie kannst Du gerade empfehlen? Was schaust oder liest Du gerade?» Ich erkenne darin eine Art «Lagerfeuersehnsucht»: Wir sehnen uns danach, uns mit anderen über Themen auszutauschen und zu diskutieren. Ohne Interaktionen kann ich mir die Menschheit nicht vorstellen. Somit bleibt es für die
Anbietenden auch in Zukunft eine grosse Herausforderung, nicht nur Personalisierung voranzutreiben, sondern gleichzeitig auch ein verbindendes Element herzustellen. Ein gutes Beispiel sind Events wie die Fussballweltmeisterschaft oder die Olympischen Spiele: Obwohl diese Events mittlerweile auf vielen unterschiedlichen Kanälen rezipiert werden – einige schauen sie live im Fernsehen, andere schauen sich Snippets auf Instagram, YouTube und TikTok an – gibt es weiterhin ein gemeinsames Objekt der Berichterstattung, das die Basis für ein Gemeinschaftsgefühl bildet. Trotz aller Fragmentierung und trotz der zunehmenden Personalisierung werden wir Menschen immer auf der Suche nach etwas Verbindendem sein, auch in der Mediennutzung. Deshalb wird die Personalisierung zwar
auf einer technischen Ebene weiter zunehmen, auf einer inhaltlichen Ebene jedoch an ihre Grenzen kommen.
Welche Implikationen hat der Medienwandel für die Demokratie?
Für die Leser*innen und für demokratische Gesellschaften wird die zukünftige Entwicklung eine riesige Herausforderung. Für die Rezipient*innen wird es immer schwieriger werden, relevante Inhalte herauszufiltern und menschengemachte Inhalte von maschinell generierten Inhalten zu trennen. Die Grenzen zwischen menschengemachten und KI-generierten Inhalten verschwimmen bereits jetzt. Der Lärm, der auf die Menschen wirkt, und die Gefahr einer ständigen Reiz- und Informationsüberflutung werden weiter zunehmen – das kann man exemplarisch gut am US-Wahlkampf 2024 sehen. Dieser Herausforderung werden wir uns als demokratische Gesellschaft stellen müssen.