Geistreiche Gedanken

Sei es, dass wenig wortgewandte Politiker plötzlich vor Eloquenz nur so strotzen, sei es dass ein zweifelhaftes Medikament in der Studie eines renommierten Mediziners auf einmal eine positive Darstellung erfährt – das Nutzen anonymer Autoren, Ghostwriter genannt, ist weit verbreitet.

Doch obwohl in einigen Bereichen Gang und Gäbe, hat Ghostwriting bei Studierenden erst in den letzten Jahren Einzug in das breite Spektrum der soziallebensverlängernden Massnahmen gefunden, so scheint es in der Debatte. Begünstigt werden dürfte dies zudem durch das wachsende Engagement der Studierenden in Vereinen, auch zum Zwecke des CV-Pimping unter dem Einfluss eines immer stärker werdenden Karrieredrucks.Auch die im Vergleich zu früheren Jahrzehnten dank des Internets einfachere Kommunikation mit entsprechenden Autoren und schliesslich der erhöhten Entdeckungsgefahr bei Plagiaten durch die gestiegene Wachsamkeit der Dozierenden und die automatische Überprüfung durch das Studierendensekreteriat. Doch im Gegensatz zu diesen allgemein feststellbaren Trends bleibt die absolute Zahl der Ghostwriting-Fälle mangels entsprechender Studien ein Mysterium. Als seltener Indikator kann hier gegebenenfalls auf die grosse prisma-Umfrage 2011 zurückgegriffen werden, welche die Zahl der Studierenden, die bereits einmal jemand anderen für sich haben schreiben lassen, bei 1.3 Prozent verortet.

«Wissenschaftlich fundiertes Ghostwriting» – keine günstige Angelegenheit

Freilich kostet ein solches Einzelstück deutlich mehr als eine Arbeit von der Stange. Während zum Beispiel ein Internetportal herunterladbare Seminararbeiten in der Grössenordnung von zehn bis 25 Franken anbietet, wird eine «einzigartige» Arbeit aus Häusern, die sich selbst als «akademische Consultingagenturen» oder als Gruppe «akademischer Experten» bezeichnen und dabei mit einem ausgefeilten Marketingmodell auftreten, mit 70 bis 80 Franken pro Seite veranschlagt. Dazwischen rangiert eine Reihe mehr oder weniger solide wirkender Agenturen im Bereich ab 30 Franken. Angemerkt sei, dass es sich um die Preise für normale Seminararbeiten handelt – 20 Minuten zitiert Radio Top mit einer Angabe von bis zu 150 Franken je Seite für Abschlussarbeiten.

Lohnt sich so etwas?

Die Frage, die sich sicherlich auch dem selbstschreibenden Studierenden stellen mag, ist: Lohnt sich so etwas überhaupt? Betrachten wir ein Beispiel: Ein Assessment-Student, nun endlich im zweiten Semester, merkt Anfang März, dass ihm für das Verfassen der Wissenschaftlichen Hausarbeit sowohl Zeit als auch Musse fehlen und sieht sich nach Alternativen um. Mithilfe des Preisrechners eines solide wirkenden Internetangebotes errechnet er sich so auf der Qualitätsstufe «economy» bei einem Umfang von 45 Seiten einen Preis von 3’100 Franken. Dies wirft naturgemäss die Frage nach der Finanzierung dieses Projektes auf. Sofern der elterliche Geldbeutel oder ein sonstiger Segen diese Summe nicht hergeben, gilt es, sie zu verdienen. Auf Basis eines Stundenlohnes von 28 Franken im Rahmen einer Nebentätigkeit ergibt sich ein Zeitaufwand von 110 Stunden – im Vergleich zu theoretischen, praktisch jedoch zu hoch angesetzten 180 Stunden gemäss Credit-Entlohnung unter Berücksichtigung des eingebüssten Lerneffekts und der ständigen Aufdeckungsgefahr eine niedrige Einsparung.

Dozierende sind sich der Thematik bewusst

Die HSG und ihr Lehrkörper sind sich durchaus bewusst, dass einige Studierende auf Ghostwriter zurückgreifen. Jedoch lässt sich dagegen wenig tun: «Im Gegensatz zu Plagiaten können von Fremden verfasste Texte naturgemäss nicht automatisch erkannt werden», so Studiensekretär Jan Metzger zu 20 Minuten. Als Gegenmassnahme ist daher an der HSG die mündliche Verteidigung von Abschlussarbeiten verpflichtend geworden. Im Verdachtsfall, wie er sich beim Vorhandensein einer Differenz zwischen sonstiger und schriftlicher Leistung ergeben kann, böte sich eine derartige Praxis auch für andere schriftliche Prüfungsleistungen wie etwa Hausarbeiten an, sodass klar werde, ob der Studierende sich mit dem Thema und der relevanten Literatur auseinander gesetzt habe. Fraglich bleibt freilich, wie diese Differenz bei der je nach Studierendem mehr oder weniger vorhandene Anwesenheit in den Übungen und Vorlesungen festgestellt werden soll.

Ähnliche Konsequenzen wie bei anderen Unredlichkeiten

Für den Fall einer Entdeckung sind die Konsequenzen jedoch wie im Plagiatsfall hart: Da nicht kenntlich gemacht wurde, dass die dargestellten Gedanken nicht die eigenen, sondern die eines Dritten, nämlich des Ghostwriters, sind, droht ein Ausschluss von der Universität oder der nachträgliche Titelentzug. Allerdings bleibt bis jetzt die Liste der anonymisierten Entscheide der Disziplinarkommission über ertappte Täter, gedacht als Abschreckung für alle anderen, im Gegensatz zu derjenigen über Plagiate leer. So lässt dies die Frage offen, ob es solche an der HSG kaum gibt, ob sie einfach nicht entdeckt werden oder ob die Universität, möglicherweise aus politischen Gründen, entsprechende Entscheide nicht veröffentlichen möchte.

Die andere Seite: Warum Menschen mit dem Ghostwriting beginnen

Doch nachdem die Situation der Auftraggeber ausgiebig beleuchtet wurde, blieb ein Bereich bisher im Dunkeln. Warum schreiben die echten Autoren im Namen und auf Rechnung anderer? Schenkt man den diversen im Internet verfügbaren Interviews Glauben, so existiert eine Reihe von Motiven: Während einige schlichtweg einen lukrativen Nebenjob suchen, sehen sich andere als zu überqualifiziert für normale Jobs, wollen andererseits aber nicht direkt im akademischen Umfeld arbeiten. Ein paar Autoren haben auch einfach ein breites Interessenfeld und Spass daran, sich während ihrer Arbeit ständig in neue Themen einarbeiten und dabei neues Wissen aufnehmen zu können. Einige wenige schliesslich empfinden ein Gefühl der Überlegenheit gegenüber ihren Auftraggebern, die so etwas «nie selber könnten», und dem System Universität, das sie aus ihrer Sicht überlisten.

Indes: Mit genügendem Aufwand wäre es sicherlich möglich, die Aufdeckungsquote auf ein Niveau zu hieven, dass Nachahmer abschrecken würde. Allerdings dürfte die Universität, nicht nur aus Kostengründen, sondern auch im Vertrauen auf die Redlichkeit, Reife und den akademischen Anspruch der Studierenden an sich selbst von der Verteidigungspflicht jeder einzelnen Arbeit absehen – und hat damit nicht Unrecht. Denn nicht aus Angst vor den Konsequenzen, auch nicht aus mangelnder Rendite, sondern aus Eigenverantwortung und aufgrund des erhebenden Gefühls, das nach der Abgabe endlich eintritt, sollten Studierende von der Nutzung von Ghostwritern absehen.


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