Reinhold Harringer, Leiter des städtischen Finanzamts, im Gespräch über Konsumgutscheine, Schwächen unseres Geldsystems und die gesellschaftliche Funktion des Mammons.
Im vergangenen Jahr hat die Stadt die St. Galler Bevölkerung mit Konsumgutscheinen beglückt. Ein adäquater Weg aus der Finanzkrise?
Natürlich ist das keine Lösung der allgemeinen Finanzprobleme. Aber die Lösung des „Geldproblems“ kennt wohl niemand und auch die Ökonomen sind in den letzten beiden Jahren bescheidener geworden. Daher muss man auch im Kleinen gangbare Wege suchen. Das versuchen wir hier in St.Gallen: Einerseits die Gutscheinaktion, andererseits komplementäre Tauschsysteme wie z.B. die Zeitbörse.
Wie bewerten Sie rückblickend die Gutschein-Aktion?
Es ging darum, einen Beitrag zur Stabilisierung der Konsumnachfrage zu leisten und ein positives Zeichen für St.Gallen zu setzen: „Geht doch mal wieder einkaufen.“ Wir konnten alles im geplanten Rahmen durchführen und die zahlreichen positiven Reaktionen haben gezeigt, dass die Bevölkerung diese Geste der städtischen Behörden schätzte. Vor diesem Hintergrund empfinde ich die Aktion nach wie vor als einen Erfolg.
Warum dann Gutscheine und keine Steuersenkung?
Weil Gutscheine wesentlich effizienter sind als eine Steuerfusssenkung: Um im Konsum die gleiche Wirkung zu erreichen, hätten über eine Steuerfusssenkung etwa dreimal mehr Mittel eingesetzt werden müssen. Zudem ist der psychologische Effekt, einen solchen Gutschein in der Hand zu halten, deutlich besser, als wenn die Steuerrechnung etwas geringer ausfällt. Ausserdem wird durch das Verfallsdatum und die auf St. Gallen beschränkte Gültigkeit des Gutscheins der regionale Konsum viel direkter stimuliert als durch jede steuerpolitische Massnahme.
Wurde das Ziel, die lokale Wirtschaft zu stärken, erreicht?
Das lässt sich nicht quantifizieren. Aber die zahlreichen Rückmeldungen aus dem Gewerbe und der Bevölkerung lassen darauf schliessen. Erstaunlich ist ja auch, dass 97 Prozent aller Gutscheine eingelöst wurden. Natürlich kann man sagen, aus volkswirtschaftlicher Sicht wäre die Aktion nicht nötig gewesen, die Wirtschaft sei aufgrund weltwirtschaftlicher Gegebenheiten wieder angesprungen. Aber beim Entscheid über die Gutscheine gab es deutliche Signale, dass die Umsätze im Detailhandel zurückgehen würden und die Lage sah beängstigend aus.
Mit den Gutscheinen hatten Sie also mehr als eine kurzfristige Krisenpolitik oder die kreative Verwendung des Jahresüberschusses im Sinn. Um was ging es wirklich?
Genau um die Argumente, welche der Stadtrat in seiner Botschaft ausführte: Stabilisierung des Konsums, Förderung der lokalen Wirtschaft, positives Zeichen für St.Gallen. Aus meiner Sicht sollte darüber hinaus auch die Geldfrage etwas thematisiert werden, denn die letzten beiden Jahre haben einmal mehr gezeigt, dass diese Probleme ungelöst sind.
Wo sehen Sie die Probleme unserer heutigen Geldordnung?
Das lässt sich in ein paar Sätzen nicht so schnell erklären. All jenen, die sich für diese Fragen interessieren möchte ich die Bücher von H.C.Binswanger oder Bernard A. Lietaer empfehlen.
Die Probleme hängen mit dem Geldschöpfungsprozess und einigen Eigenschaften des Geldes zusammen: Unser Geld entsteht zum weit überwiegenden Teil aus der Kreditvergabe der Privatbanken, d.h. es beruht auf dem Schuldenmachen. Ich frage mich, ob das der beste Weg ist. Denn eine Geldschöpfung über Kredit hat einige unangenehme Nebenwirkungen: Geld verschwindet auch wieder, wenn Schulden zurück bezahlt werden. D.h. im Umgang mit Schulden sind wir sehr widersprüchlich: Sie sind einerseits die Basis des Geldes und im Moment auch das wichtigste Mittel um das Finanzsystem zu retten. Anderseits wird das Schuldenmachen kritisiert. Dabei wird gerne übersehen, dass Schulden gleichzeitig immer auch Guthaben sind und dass auch die Gläubiger im Grunde gar kein echtes Interesse an einem Abbau von Schulden haben. Ihr Interesse an einer andauernden Verzinsung der Schulden ist wesentlich grösser.
Welche Alternativen sehen Sie?
Kurz- und mittelfristig gibt es wohl keine andere Lösung, als das bestehende System mit besseren Regeln (Eigenmittelvorschriften, Verbot einzelner gefährlicher Instrumente, Transaktionssteuern usw.) zu optimieren. Ob das auch langfristig ausreicht, würde ich bezweifeln. Es sollten auch andere Geldschöpfungsmechanismen gesucht und komplementäre System geprüft werden. Stichworte dazu sind etwa die Idee des Vollgeldes, welches die Geldschöpfung wieder dem Staat zurückgeben will. In der Form könnte dies über eine Verteilung pro Kopf erfolgen, wie wir es mit den Gutscheinen gemacht haben. Auch wenn die Gutscheine selbstverständlich kein eigenständiges Geld waren, der Weg der Verteilung hat gut funktioniert.
Darüber hinaus sollten zum bestehenden Geldsystem auch komplementäre Tauschsysteme entwickelt und gefördert werden: Wer nur auf einem Bein steht, kommt eher ins Schwanken, als wer mehrere Standbeine hat. So hat z.B. eine Studie zum WIR-Geld ergeben, dass Komplementärwährungen antizyklisch wirken und eine Wirtschaft stabilisieren können.
Stand unsere Wirtschafts- und Geldordnung in den letzten 200 bis 300 Jahren nicht im Zeichen von Wachstum und Fortschritt, die unseren heutigen Wohlstand erst möglich gemacht haben?
Das ist zweifellos der Fall – und das Geldsystem hat dazu einen wichtigen Beitrag geleistet. Aber niemand wird bestreiten, dass damit auch gewaltige Probleme verbunden sind. Das Verteilungsproblem ist beispielsweise überhaupt nicht gelöst. Von der Umweltproblematik ganz zu schweigen. Wachstum halte ich für notwendig, wenn es darum geht echte Bedürfnisse zu befriedigen. Aber in vielen industrialisierten Ländern geht es nicht mehr um Bedürfnisbefriedigung der Menschen, sondern um wirtschaftliche Zwänge, die sich unter anderem aus dem Geldsystem ergeben – man lese dazu die Bücher von H.C. Binswanger.
Wenn das Geldsystem nicht mehr zu Wachstum und Wohlstand führen soll, welche gesellschaftliche Rolle schreiben Sie ihm dann zu?
Natürlich soll das Geld zu Wachstum und Wohlstand führen; dazu ist es da. Aber wir sollten das Geldsystem so gestalten, dass es nicht zu einem Wachstum um des Geldes Willen führt, dass es Ungleichheit nicht fördert, dass es soziale Bindungen nicht zerstört sondern solche schafft. Solche Lösungen sollten wir suchen. Ein Beispiel in diesem Zusammenhang ist die Zeitbörse, in der mittlerweile über 400 Menschen aus dem ganzen Kanton Leistungen verschiedenster Art gegen Zeit tauschen. Eine Stunde Leistung berechtigt zum Bezug einer Stunde Gegenleistung und nebenbei wird das soziale Miteinander gefördert.
Konnten auch die Gutscheine einen Beitrag in diese Richtung leisten?
Ich glaube, dass die Bevölkerung gespürt und geschätzt hat, dass man auch auf Gemeindeebene etwas tun kann. Im Grunde genommen handelt es sich beim Gutschein um eine moderne Form des Bürgernutzens, wie er in der Schweiz in vielen Ortsbürgergemeinden ausgeschüttet wurde und zum Teil immer noch wird: Am Ende des Jahre bekommt der Bürger einen Anteil dessen, was sein Gemeinwesen erwirtschaftet hat. Früher waren das Fleisch, Wein oder Brennholz, in St. Gallen wurde letztes Jahr einen Teil des Haushaltsüberschusses in der Form von Gutscheinen verteilt. Die meisten Leute hatten daran Freude. Und gemeinsame Freude schafft Gemeinschaft.