Gorillas müssen draussen bleiben: Philip Mosimann im Interview

06.42 Uhr, Bahnhof St. Gallen. Der Zug Richtung Zürich- Flughafen fährt ruckelnd an und unser in Philipp Mosimanns Terminkalender gequetschtes Interview nimmt Fahrt auf: Bei einem Frühstück im Bordrestaurant steht uns der CEO des Konzerns Bucher Industries Rede und Antwort.

ETH oder HSG – wer verändert die Welt?

Philip Mosimann: Beide. Es braucht die betriebswirtschaftliche Seite – das ist die HSG – und es braucht die technische Seite – das ist die ETH. Ein Unternehmen sollte sich nicht einseitig auf eine dieser Seiten konzentrieren. Egal auf welche der beiden.

Wo haben Sie heute Kontakt zu HSGlern?

An mehreren Positionen: CFOs auf Konzern- und Divisionsstufe, M&A und Leiter Konzernentwicklung sind bei uns mit HSGlern besetzt. Das sind auch die klassischen Einstiegsgebiete – aber auch in den Bereichen Konzernentwicklung und Strategie sind einige Mitarbeiter Absolventen der Universität St. Gallen.

Wo sehen Sie den Unterschied zu anderen Absolventen? Sowohl von anderen Fachbereichen als auch von BWLern anderer Unis?

Inhaltlich ist die HSG sicher eine der Universitäten, die in Europa spitze ist. Ich würde sie jetzt nicht ganz oben aufs Podest heben, aber sie gehört sicher zu den besten europäischen. Was die ETH angeht, ist diese im technischen ebenfalls sehr gut. Die ETH-Absolventen haben aber immer noch ein Manko in Bezug auf Projektleitung, Management und Finanzen.

Allgemein sehen sich HSGler schon mal mit dem Vorwurf der Selbstverliebtheit konfrontiert. Würden Sie da zu mehr Demut raten?

Auf jeden Fall. Das gilt aber für jeden Universitätsabsolventen; ohne «learning on the job» werden Sie eine 40-jährige Berufslaufbahn kaum erfolgreich meistern können. Bei Ihnen werden es wahrscheinlich sowieso eher 50 Jahre, was noch mehr «lebenslanges Lernen» voraussetzt. Grundsätzlich muss man aber in Bezug auf die HSG-Absolventen sagen, dass die Meinung vorherrscht, man könne mit einem Abschluss dort gleich zu Beginn im Unternehmen zwei, drei Hierarchiestufen überspringen. Das ist eine absolute Illusion. Im Job muss man sich bewähren und es zählen andere Qualitäten, beispielsweise: Kann ich meine Leute motivieren? Kann ich sie zielgerichtet führen?

Wie steht es denn grundsätzlich um BWLAbsolventen in der Industrie? Sie haben ja einen naturwissenschaftlich-technischen Abschluss. Ist der technische Abschluss ein Muss, um in der Industrie Erfolg zu haben?

Natürlich ist der naturwissenschaftliche Absolvent hier im Vorteil, aber auch als Ökonom können Sie es weit bringen. Sie müssen aber mindestens sehr technikinteressiert sein, um die Abläufe voll und ganz zu verstehen – sonst kann Ihnen jeder das Blaue vom Himmel erzählen.

Wenn wir uns nun bei Ihnen bewerben würden, was wären die Eigenschaften, die Sie sich wünschten?

Ganz falsch wäre es, in einem ersten Gespräch sofort Forderungen zu platzieren. Viel wichtiger ist es, dass Sie sich gut präsentieren, Feinheiten in Bezug auf ihre Person herausarbeiten und natürlich Interesse am Job beweisen. Das bedeutet weniger Elitegehabe, wie es teilweise an der HSG praktiziert wird, sowie mehr persönlichen Einsatz. Also Taten statt Worte.

Seit einigen Jahren sind Fachkräfte fast genauso umkämpft wie die so genannten seltenen Erden …

In der Schweiz herrscht ja traditionell Fachkräftemangel. Deswegen sind wir auch von ausländischen Fachkräften abhängig. Viele Positionen in unserer Unternehmung werden beispielsweise von Deutschen ausgefüllt. Die ganzen Diskussionen, die Sie in Bezug auf Ausländer in den Zeitungen mitverfolgen können, sind einfach politisch und durch den Wahltermin bedingt.

Halten Sie das für einen falschen Ansatz?

Das ist ganz einfach verlogen. Insbesondere diese Sehnsucht nach der Zeit in den frühen 90ern, als man die bilateralen Verträge noch nicht hatte. Es war einfach unglaublich schwer, an ausländische Fachkräfte zu kommen, aufgrund der Kontingentierung der möglichen Zuzüge. Das war eine Bürokratie sondergleichen und das bremste die Wirtschaft enorm.

Sie plädieren also für einen freieren Markt?

Auf jeden Fall. Die Politik hat einfach ganz andere Reaktionszeiten als die Wirtschaft. Das können wir ja an Frau Merkel bestens beobachten. Man kann nicht erst abwarten, bis man den Willen der Masse bis ins letzte Detail herausgefunden hat, und dann erst Position beziehen! In der Wirtschaft müssen Sie Entscheidungen treffen, noch bevor der Mainstream diese erkennt. Weitsichtigkeit ist hier geboten. Aber Weitsichtigkeit ist nicht unbedingt ein Merkmal der Wirtschaft, wie wir alle jetzt an der Finanzkrise sehen können. Das stimmt. Aber das betrifft in erster Linie die Finanzbranche. In der Industrie, oder im produzierenden Gewerbe allgemein, sind Sie ohne Weitsichtigkeit verloren. Die Entwicklung einer Strassenkehrmaschine beispielsweise beinhaltet drei Jahre Entwicklung, eine ein- bis zweijährige Testphase des Prototyps, dann erst beginnt der Verkauf und nach sieben bis acht Jahren merken Sie, ob die Maschine ein Erfolg war. Das führt zu einer ganz anderen Werthaltung, als man dies aus der Finanzbranche gewohnt ist.

Sie wirken sehr kritisch gegenüber der Finanzbranche. Was sind denn Ihre Erfahrungen mit Vertretern dieser Branche?

Ach wissen Sie, da kommen die Broker und sagen mir: «Haben Sie gesehen, Ihr Kurs ist 50 Rappen hochgegangen!» Da sag ich denen: «Ja und, morgen geht er 50 Rappen runter und am Tag danach ist wieder was anderes.» Es ist einfach schwierig, wenn ein kompletter Wirtschaftszweig die Bodenhaftung verloren hat. Es gibt zu wenig reale Wertschöpfung an den Finanzmärkten, das ist das Problem. Trotzdem gibt es Parallelen zwischen der Finanzund der Industriebranche, zum Beispiel beim Thema «Leadership».

Was heisst Leadership bei Bucher?

Zuallererst möchte ich kurz sagen, was es nicht heisst: den Gorilla raushängen lassen. In meinen elf Jahren in Führungspositionen bei Bucher habe ich nur zweimal direkt Befehle gegenüber Mitarbeitern durchsetzen müssen. Ganz kurz zusammengefasst könnte man Leadership mit drei Kerneigenschaften treffend beschreiben: Persönlichkeit, Fähigkeiten in Analyse und Synthese und Zuverlässigkeit. Selbstverständlich hilft es auch, Sachwissen zu haben. (lacht)

Abschliessend würden wir Sie gerne nach einem Rat fragen, den Sie einem «typischen » HSGler mit auf den Weg geben würden.

Folgendes ist wichtig: durchaus selbstbewusst sein, wissen um das lebenslange Lernen, und dass man mit eigenem Einsatz seine Zukunft weitgehend selbst bestimmen kann.


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