«Grossmütter revolutionieren die Schweiz»

Politisch engagiert, dynamisch, modern gekleidet mit Smartphone und Facebook-Account – das sind die Omas von 2013. prisma traf Anette Stade, Projektleiterin der «GrossmütterRevolution» zum Interview.

Wenn wir an Grosis denken, stellen wir uns alle dieselbe rundliche, liebe Frau vor, die Kekse backt, immer Zeit für ihre Enkelkinder hat und zu ihrem Göttergatten aufschaut. Im Kontrast zum verstaubten Grossmutter-Bild unserer Gesellschaft stehen diejenigen Grossmütter, die sich vor rund drei Jahren zum Projekt «GrossmütterRevolution», das vom Migros-Kulturprozent initiiert und unterstützt wurde, zusammengeschlossen haben. «GrossmütterRevolution» ist ein Netzwerk und Think Tank für ältere Frauen, die gemeinsam Ideen zum Gelingen der  Generationenbeziehung und gesellschaftlichen Zusammenhalt entwerfen und auch politisch von sich reden machen.

Wie kamen Sie, Frau Stade, als Projektleiterin zur «GrossmütterRevolution»?

Anette Stade: Ich bin soziokulturelle Animatorin und arbeite seit 17 Jahren an Projekten und Innovationen, immer mit dem Anreiz, Neues zu  entwickeln. Das Migros-Kulturprozent hat mich dann vor ein paar Jahren angefragt, ob ich nicht etwas zum Thema «Generationen» entwerfen könnte. In vielen Diskussionen und im Austausch mit dem Migros-Kulturprozent und einer Planungsgruppe mit Frauen aus der Grossmütter-Generation entstand die «GrossmütterRevolution», eine Plattform, ein Think Tank und die Möglichkeit für Grossmütter, sich untereinander zu vernetzen und auszutauschen. Die Grossmütter, die hier aktiv sind, sind diejenigen, die in den 68ern eine Pionierrolle übernommen, für das Frauenstimmrecht gekämpft und für Gleichberechtigung plädiert haben. Genau diese Frauen, die ihren Beruf nicht immer frei wählen konnten, nicht selbst entscheiden durften, wie lange sie zur Schule gehen möchten, und keine Wahl bezüglich der Ausgestaltung ihres privaten und beruflichen Lebens hatten, übernehmen jetzt als Grossmütter wieder eine Pionierrolle und fachen die Diskussion um ältere Frauen und ihre Rolle in der Gesellschaft an.

Wie sieht das Bild der Grossmütter von heute aus?

Die Frauen, die vor ihrer Pensionierung und Rolle als Grossmutter viel gekämpft und erreicht haben, werden von der Gesellschaft in eine beschränkte Grossmutterrolle gezwängt. Das Bild der Grossmütter ist verstaubt und es ist ein Bild, das hauptsächlich noch in den Köpfen der Gesellschaft existiert. Die strickende Oma auf dem Sessel vor dem Fernseher ist ein klassischer Stereotyp. Dieses Frauenbild ist zwar durchaus positiv und deswegen werden wir auch immer wieder gefragt, warum wir denn dieses positive Frauenbild revolutionieren und abschaffen wollen. Abschaffen wollen wir das gar nicht, aber es geht darum, dass diese Grossmütter nicht nur kochen und zu ihrem Mann und den Enkelkindern schauen können, sondern zu viel mehr fähig sind. Die Grossmutter ist zu unrecht auch heute noch die immer verfügbare Notlösung. Wenn die Kinder krank sind und man sie nicht in die Tagesstätte bringen kann, ruft man die Grossmutter an – die hat ja Zeit. Die Grundmotivation der Frauen bei «GrossmütterRevolution» lautet: «Wir sind nicht einfach nur Grossmütter».

Werden Grossmütter in unserer westlichen Gesellschaft denn zu wenig geschätzt?

Nein gar nicht. Im Gegenteil Grossmütter werden sehr geschätzt, aber eben nur auf die eine Art, sie werden auf ihre Rolle als Grossmutter reduziert. Vor wenigen Jahren noch waren diese Frauen erfolgreich berufstätig, politisch aktiv, haben sich ein Leben lang für ihre Rechte eingesetzt und einen riesen Erfahrungsschatz aufgrund ihres Alters und der Geschichte, die sie erlebt haben. Für die älteren Herren ist es selbstverständlich, dass sie weiterhin in Gremien als Präsident sitzen, während Grossmütter in ein von der Gesellschaft projiziertes Bild gedrückt werden.

Welche Ziele werden mit dem Projekt verfolgt?

«GrossmütterRevolution» ist ein Think Tank, eine Plattform, ein Netzwerk und die Möglichkeit für Grossmütter, öffentliches Gehör zu bekommen. Sie können ihren Wünschen und Gedanken auf verschiedene Arten Ausdruck verleihen, sei dies nun durch ein politisches Manifest, eine Clown-Show, den mündlichen Austausch oder einen Facebook-Kurs. Wir vom Migros-Kulturprozent und der Projektleitung stellen den Rahmen. Die Ausgestaltung und Nutzung des Projektes liegt aber ganz allein in deren Verantwortung. Unser Ziel ist es, dass diese Plattform weiter besteht und dass sie rege genutzt und belebt wird.

Was für Anlässe organisiert «GrossmütterRevolution»?

Wir stellen den Grossmüttern den Rahmen zur Verfügung. Wie sie diesen ausgestalten, liegt ganz allein in ihren Händen. Es gibt viele Projekte, wie beispielsweise die Clownessen, die während eines Jahres mithilfe einer Clownpädagogin ein Stück einstudiert haben und damit in der Deutschschweiz aufgetreten sind. Eine politische Gruppe hat im Sommer vor zwei Jahren das Grossmutter-Manifest verabschiedet und eine Genderstudie mit dem Titel «Das vierte Lebensalter ist weiblich» veröffentlicht. Wir veranstalten sozusagen als Projektrahmen zweimal jährlich eine Tagung. Neben Podiumsdiskussionen und Referaten zu relevanten Themen schätzen die Teilnehmerinnen an diesen Veranstaltungen besonders den Austausch, die Vernetzung und das Gefühl der Solidarität untereinander. Hier können auch schwierige Themen angesprochen werden, wie zum Beispiel Altersarmut von Frauen.

Welcher Typ Frau wirkt bei dem Projekt mit?

Die allermeisten Frauen, die bei «GrossmütterRevolution» mitwirken, sind pensioniert, 60 aufwärts. Diese Projekte nehmen sehr viel Zeit in Anspruch, die man vor der Pension oft nicht hat. Es gibt Grossmütter, die unser Projekt ebenfalls sehr spannend finden, aber noch berufstätig sind, und für die wird es dann logischerweise schwieriger, neben der Arbeit bei einem weiteren Projekt engagiert zu sein. Die Mehrheit von den 700 angemeldeten Grossmüttern aus der Deutschschweiz ist sehr gebildet und stammt aus urbanem Gebiet. Vor allem in den politisch aktiven Gruppen, wie der Manifestgruppe, blickt der «GrossmütterRevolution»-Stereotyp durch – gebildet, städtisch und oftmals schon vor der Pension politisch aktiv. Allerdings gibt es auch interessierte Frauen, die sich durch die Themen und Diskussionen angesprochen fühlen, auch wenn sie selbst keine biologischen Grossmütter sind, sondern einfach nur der älteren Generation von Frauen angehören. Ich finde es schön, wie viele der Frauen sehr aktiv sind. Die Floskel unserer Generationen: «Ja ja, das mache ich dann später (in zehn Jahren)» kennen die Grossmütter nicht. Wenn sie es nicht jetzt machen, dann machen sie es nie mehr. Ihre Zeit ist viel endlicher als die unsere … Ob wir tatsächlich viel mehr Zeit haben, wissen wir nicht, aber die Grossmütter haben das Bewusstsein, dass wir nicht ewig hier sind und schieben daher keine Projekte mehr auf. Wir haben etwas zu sagen, wir haben etwas zu tun und wir machen es jetzt.»

Dürfen auch Grossväter die Schweiz revolutionieren?

Natürlich dürfen sie das! Und wir werden auch immer wieder von engagierten Grossvätern angefragt, ob sie ebenfalls bei diesen Projekten mitwirken können. Allerdings finde ich es sehr wichtig, klar zu kommunizieren, dass sich unser Projekt nicht gegen Männer richtet, aber allein ein Projekt für Grossmütter ist. Es wird hier auf die Bedürfnisse der Frauen der älteren Generation eingegangen. Die Grossmütter haben die Möglichkeit, sich untereinander auszutauschen und ihre Wünsche und Gedanken mitzuteilen. Männer sind hier schlichtweg nicht das Thema (es ist nicht gegen Männer, sondern man diskutiert unter Frauen). Es braucht diesen männerfreien Raum, wo die Grossmütter sich mit ihren  ähnlichen Biografien und Erlebnissen austauschen können.

Werden die «neuen» Grossmütter auch in zehn Jahren die Schweiz noch revolutionieren?

Wenn Sie mich nach den nächsten fünf Jahren fragen, sage ich sofort: Ja, das Projekt gibt es dann noch. Aber in zehn Jahren wird es vielleicht bereits einen Generationenwechsel gegeben haben und ob die nächsten Grossmütter sich diese Plattform, die wir ihnen bieten, noch wünschen, ist eine andere Frage. Wie gesagt, das Projekt existiert, solange die Grossmütter sich engagieren wollen.

Was soll die Gesellschaft von der »GrossmütterRevolution» mitnehmen?

Neugier! Hinschauen und sehen, was ältere Frauen hier in der Schweiz noch alles bewirken und bewegen können. Und einen differenzierten Blick auf ältere Leute – wir werden ja alle älter, das ist eine Tatsache und keine Wahl.


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