HSG: Wo sind die Frauen?

Männer regieren die Welt – dies galt lange und gilt für einige Bereiche noch immer. Auch wenn sich die Gesellschaft im Wandel befindet, steht uns ein langer Weg bevor. Das bestätigt auch Dr. Anna-Katrin Heydenreich, Fachspezialistin Diversity, Equality & Inclusion.

Gleichstellung muss thematisiert werden (Quelle: Anna-Tina Eberhard)

Die mediale Aufmerksamkeit hat vieles rund um Gleichstellung ins Rollen gebracht. Grosse Unternehmen leiten Initiativen ein, welche mehr Frauen in die Geschäftswelt und in Führungspositionen bringen soll. Es gibt Mentoringprogramme, Infoveranstaltungen und diverse weitere Massnahmen für Frauen, welche zum Umschwung anregen. Die Grundsteine für eine ausgeglichenere Geschlechterverteilung müssten also gelegt sein, und doch scheint dies nicht auszureichen.

HSG-Frauen in der Minderheit

An der HSG dominiert die männliche Spezies. Blickt man sich in den Vorlesungen um, ist es sehr wahrscheinlich, dass man umgeben von männlichen Studenten ist – insbesondere in den mathematischen und Finanz-lastigen Fächern. Stimmt also das Klischee, dass Frauen scheinbar kein Interesse an diesen Bereichen haben? Oder gibt es andere Gründe dafür? Fest steht, dass dieses Ungleichgewicht auffällt. Während schweizweit sogar über 50% der Studierenden weiblich sind (Quelle: Kanton St.Gallen), gilt dies nicht für die HSG. So zeigen aktuelle Zahlen, dass im Jahr 2024 von den insgesamt 9879 Studierenden nur 3461 weiblich waren – also rund 35%. Verglichen mit dem Jahr 2018, wo der Frauenanteil bei rund 35.7% lag, ist der Anteil sogar leicht zurückgegangen, während die Anzahl Studierenden insgesamt zunahm (Quelle: Zahlenlabor HSG). Dies gibt zu denken, denn objektiv betrachtet gibt es keine Hürden für weibliche Studierende, sich für ein Studium an der HSG zu entscheiden.

Eine Studie des Bundesamtes für Statistik (Quelle: Kanton St.Gallen), welche bis ins Jahr 2023 reicht, bestätigt, dass an der HSG vergleichsweise sehr wenige Frauen studieren. Während die ETH mit einem Anteil von 33.4% vor zwei Jahren den geringsten Frauenanteil in der Schweiz aufweist, liegt der Wert der HSG nur wenig darüber. Dies steht in grossem Kontrast zu den Spitzenreiterinnen Bern und Zürich. An beiden Universitäten beträgt der Frauenanteil über 59%. Liegt das tatsächlich an den angebotenen Studiengängen? Sind Frauen weniger interessiert an wirtschaftlichen Themen?

Die Expertin gibt Auskunft

Diese Fragen kann Anna-Katrin Heydenreich, Fachspezialistin für Diversity, Equality & Inclusion an der HSG, am besten beantworten. Im Gespräch legt sie dar, dass man zunächst beachten müsse, in welchem Kontext man einen Vergleich tätigt. Prozentsätze dürfen nicht pauschalisiert werden, sondern sind stets in einem Kontext einzubetten. Dies zeigt ein genauerer Blick in die Zahlen: Während Frauen im VWL-Bachelor nur 23% ausmachen, sind sie im Recht-Bachelor mit 59% sogar in der Mehrheit (Diversity Monitoring Bericht 2023, S. 24). Gemäss Heydenreich gibt es viele potenzielle Ursachen, die zum tiefen Frauenanteil in den Wirtschaftswissenschaften an der HSG und schweizweit führen. So schneidet die Schweiz generell im internationalen Vergleich des Frauenanteils in den Business Studies schlecht ab (U-Multirank Gender Monitor, S. 8), was kulturell und gesellschaftlich bedingt sein müsse, da Biologie die Unterschiede zwischen den Ländern nicht erklären könne. Vergleiche man hingegen die HSG mit anderen wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten in der Schweiz, bestehe noch immer ein Unterschied von rund 6%, was den Anteil der Frauen betreffe. Doch woran liegt das? Gemäss einer Studie aus dem Jahr 2018 sind verschiedene Aspekte zu beachten, so Heydenreich. Einerseits bestehe ein Zusammenhang mit der Struktur der HSG: An anderen Schweizer Universitäten können Studierende das Wirtschaftsstudium flexibel mit anderen, sozialen Fachrichtungen kombinieren, was an der HSG nicht möglich ist. Ausserdem habe die regionale Verankerung einen markanten Einfluss. In der Ostschweiz herrsche tendenziell nach wie vor eine Kultur vor, in der von zu Hause aus junge Männer stärker ermutigt würden, an der HSG zu studieren. Bei Mädchen hingegen werde bei schlechten Noten öfter geraten, sich doch eher für ein anderes Studium oder eine andere Universität zu entscheiden. Zu guter Letzt sei die Kultur an der HSG ein wichtiger Faktor, so habe die Universität einen bestimmten Ruf, der junge Männer stärker anziehe.

Selbstselektion vs. erzwungene Selektion

Noch immer steht die Frage im Raum, weshalb die Frauen an der Universität St.Gallen untervertreten sind. Heydenreich unterscheidet in dieser Diskussion zwischen Selbstselektion («exit») und erzwungener Selektion («drop out»). Während die Entscheidung, an der Uni zu studieren, als Selbstselektion zu betiteln sei, finde hingegen bei den Prüfungsleistungen die erzwungene Selektion basierende auf den Noten statt. Auffallend sei dabei die bereits erwähnte Tatsache, dass Frauen aus der Region seltener einen zweiten Versuch starten als ihre männlichen Kommilitonen (Quelle: Studie Assessmentjahr, S. 38 & 79). Dies wiederum gehe einher mit der Einschätzung der eigenen Fähigkeiten: Mädchen und junge Frauen schätzen sich in MINT-Fächern generell schlechter ein, auch wenn dies objektiv gar nicht stimmt. Dennoch habe diese Einstellung einen negativen Einfluss auf die tatsächliche Leistung – ein klassischer Teufelskreis. Verstärkt werde dies durch Vorbilder, denn wenn junge Frauen mit dem Verständnis aufwachsen, dass es sich bei Managementpositionen um typische Männerberufe handle, sei auch die Identifikation damit geringer. Damit die Mechanismen der Selbstund Fremdselektion besser verstanden werden können, sollten die aktuellen Daten dazu analysiert werden. Um nicht mehr über Gleichstellung diskutieren zu müssen, braucht es gemäss Heydenreich eine Veränderung der Selbstverständlichkeiten. In der Schweiz sei es noch viel ausgeprägter als in anderen Ländern, dass Berufe den Geschlechtern zugeordnet werden. In der Schweiz sei die geschlechtsspezifische Berufswahl aus geprägter als in anderen Ländern. Dies gelte insbesondere für die Lehrberufe, für die man sich schon im jungen Alter entscheiden müsse. Man müsse sich im jungen Alter bereits entscheiden, welche Richtung man einschlage – ein Alter, in dem sich die Heranwachsenden stark mit ihrer geschlechtlichen Rolle auseinandersetzten. Daher müsse sich grundlegend etwas in der Einstellung der Gesellschaft verändern. Erst wenn die Kinder so heranwachsen, dass Berufe nicht mehr mit Geschlechtern konnotiert werden, und keine Ungleichgewichte mehr bestehen, kann ein langfristiges Umdenken stattfinden, so Heydenreich.

Ein Blick in die Zukunft

Ende 2025 erscheint ein neuer Diversity Monitoring Bericht an der HSG. Grosse Fortschritte seien jedoch gemäss den Immatrikulationszahlen vom Herbst 2024 nicht zu erwarten – noch immer werde der Anteil weiblicher Studierenden auf ähnlichem Level bleiben. Verändert habe sich jedoch die Geschlechterverteilung bei den Professor:innen, wo bereits deutliche Erfolge erzielt worden seien (Monitoring-Bericht S. 40). Für die Zukunft wünscht sich Heydenreich, den Anteil weiblicher Studierender an der HSG zu erhöhen und damit ein besser ausbalanciertes Geschlechterverhältnis zu schaffen.

Feminismus an der HSG

Nachdem die Zahlen klar belegen, dass männliche Studierende an unserer Universität die Oberhand haben, stellt sich mir die Frage, ob und inwiefern feministisches Gedankengut Platz hat. Als Studentin an besagter Universität spüre ich den Puls und das Klima, welches vorherrscht, und nein, Feminismus geniesst keine Dominanz. Dennoch besteht Hoffnung, denn es gibt in der Vereinswelt verschiedene Vereine, welche sich für Themen wie Diversität, Gleichstellung und Feminismus einsetzen. Ob die Stimmen lauter werden, kann ich nicht beurteilen, dafür bin ich noch nicht lange genug an der HSG. Doch es sind bereits kleine Gesten, die grosses bewirken können. Wenn wir einander einfach als Menschen begegnen und zusammenarbeiten, haben wir die Möglichkeit, alte Vorurteile über Bord zu werfen und in eine Zukunft zu blicken, in der wir nicht mehr ständig über Gleichstellung diskutieren müssen, sondern diese als gegeben angenommen werden kann.    

Sources:
Diversity Monitoring Bericht 2023: https://www.unisg.ch/de/universitaet/ueber-uns/beratungs-und-fachstellen/diversity-inclusion/diversity-monitoring-1/
Kanton St.Gallen: Frauenanteil Studierende. https://www.sg.ch/ueber-den-kanton-st-gallen/statistik/infografiken/p72.html
Studie Assessmentjahr: Egger (2018). Diversity Report.
U-Multirank Gender Monitor 2022: https://www.che.de/download/gender-monitor-2022/
Zahlenlabor HSG: https://www.unisg.ch/de/hsg-at-a-gla

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