Thomas Geiser ist allen aus der Privatrechtsvorlesung im Assessmentjahr bekannt, wo er auch die mittlerweile legendären Videovorlesungen geprägt hat. prisma hat sich mit ihm über Werdegang sowie Privates unterhalten und lüftet das Geheimnis um sein charakteristischstes Modeaccessoire.
An einem sonnigen Herbsttag besuchen wir Thomas Geiser in Rotmonten. Ordentlich und aufgeräumt wirkt sein Arbeitszimmer. Doch der Professor gesteht gleich ein, dass dies die absolute Ausnahme sei; normalerweise befinde sich sein Schreibtisch unter einem Durcheinander von Akten. «Das können Ihnen auch meine Assistenten bezeugen. Sie wissen, dass sie sich selbst zurechtfinden müssen.» St. Gallen ist aber nicht der einzige Wohnort von Thomas Geiser. Er und sein Lebensgefährte, mit dem er seit 30 Jahren zusammenlebt, besitzen zwei weitere Wohnungen in Bern und im Tessin. Erstere ist ein Überbleibsel aus seiner Zeit beim Bundesamt für Justiz. Weil sein Partner damals im Wallis tätig war, kam St. Gallen als gemeinsame Wohnung nicht in Frage. Das Haus im Tessin kauften sich die beiden vor allem im Hinblick auf die Pension.
Der Weg nach St. Gallen
Zunächst wollen wir wissen, wie Thomas Geiser zu seiner Ausbildung gekommen ist. Das sei ein wenig nach dem negativen Auswahlsystem erfolgt. «Ich war immer der Meinung, nicht sehr geschäftstüchtig zu sein.» Klassisch eher unternehmerische Ausbildungen kamen für ihn also weniger in Frage, unter Mathematik konnte er sich kein Berufsbild vorstellen. So kam er ziemlich rasch zur Juristerei, mit dem Gedanken, etwas gestalten und auch etwas für die Gerechtigkeit tun zu können. Medizin kam für ihn von vornherein nicht in Betracht trotz der Familiengeschichte. «Mein Vater war Arzt, mein Onkel war Arzt, meine Grosseltern waren Ärzte. Irgendwann hat es eindeutig gereicht.»
Während seines Studiums in Basel kristallisierte sich immer mehr das Interesse am Privatrecht heraus. «Das ist immer auch eine Frage der Professoren. Für mich war Frank Vischer ein sehr grosses Vorbild. » Nach seinem Studium und dem Anwalts- sowie Notariatsexamen im Kanton Solothurn suchte Thomas Geiser eine Stelle und wurde beim Bund fündig, wo sich der damals 26-Jährige insbesondere mit der Revision des Familienrechts beschäftigte, eine Zeit, die ihn ein Leben lang prägen wird. Nebenbei absolvierte er an der Universität Basel das Doktoratsstudium und promovierte 1983. Sechs Jahre später zog es ihn ans Bundesgericht in Lausanne, wo er als Assistent tätig war. Im selben Jahr begann er auch erste Vorlesungen zu halten, zunächst in Basel, später auch als ordentlicher Professor an der HSG.
Heute hat er zusätzlich zu seiner Lehrtätigkeit in St. Gallen verschiedene Nebentätigkeiten. So arbeitet er als nebenamtlicher Bundesrichter, sitzt im Verwaltungsrat von Aldi Suisse, im Stiftungsrat der Kuoni und Hugentobler Stiftung und ist Mitglied der eidgenössischen Filmkommission. Zudem erstellt er im Auftrag des Instituts immer wieder Gutachten und führt Beratungen durch.
Alltag eines Professors
«Die Angst eines jeden Professors ist, vorne zu stehen, während einem der Stoff ausgeht. Deshalb haben wir ja auch immer zu viel Stoff.» Das absolut Peinlichste, das einem Juristen passieren könne, sei denn auch, dass er seine Ausführungen vorträgt und nicht bemerkt, dass Gesetze in der Zwischenzeit angepasst wurden. «Ich glaube aber, das ist mir noch nie passiert. Trotzdem bin ich vor jeder Vorlesung nervös, das muss wahrscheinlich so sein», erklärt Thomas Geiser.
«Wir haben es mit jungen Leuten zu tun, die grundsätzlich alles selbst lernen könnten», meint der Professor, «wir als Dozenten können lediglich versuchen, die ‹heilige Flamme› weiterzugeben.» So hofft er denn auch, dass die Studierenden genau das wahrnehmen und er so ein gewisses kritisches Denken weiter-geben kann. Dennoch fügt er mit einem Schmunzeln hinzu, er glaube, dass einige ihn zunächst als etwas skurril oder als zu kompliziert empfinden. Der schlimmste Vorwurf für ihn wäre allerdings, wenn man sich wegen ihm langweilen würde.
Wir fragen uns auch, wo der Professor seine Stärken und seine Schwächen sieht. «Entgegen dem, was Sie jetzt sehen, bin ich ziemlich chaotisch. Ich habe erst gerade heute Morgen aufgeräumt. Es sieht bei mir aber nicht so schlimm aus wie im Büro von Herrn Schwander», meint Thomas Geiser und lacht. Diese Unorganisiertheit würden auch seine Assistenten, seine Sekretärin und wahrscheinlich auch die Studierenden kennen. Er glaube aber auch, dass er eine gewisse Kommunikationsfähigkeit habe. Zudem resultiere aus seiner Unstrukturiertheit eine Voraussicht, denn schliesslich müsse er andauernd mit seinen eigenen Pannen rechnen. «Das bringt sicherlich grosse Vorteile im Leben und geht wahrscheinlich auf das Problem meiner Legasthenie zurück», erklärt der 59-Jährige.
Am Abend nach der Uni kann der Dozent am allerbesten mit Literatur abschalten. Es kann Belletristik jeder Art sein, von aktueller Schweizer Literatur bis hin zu Klassikern. «Vor kurzem habe ich wieder Dostojewski zur Hand genommen, weil ich vom Titel her nicht mehr wusste, worum es geht.» Meist lese er dann eine gute Stunde in der Badewanne, bevor er sich nochmals hinsetze und etwas arbeite. Ein weiteres Hobby Geisers ist Kunst. So gerät er beispielsweise beim Kunstmuseum Basel oder der Kunstsammlung der HSG ins Schwärmen.
Fliegen über Fliegen
Ein anderes Charakteristikum von Thomas Geiser sind die auffälligen Fliegen. Insgesamt besitze er etwa 300 Querbinder und sei darauf bedacht, keinen zwei Mal hintereinander an der Uni zu tragen. Dazu hat er denn auch ein ausgeklügeltes System: «Ich habe zwei Schubladen. Jedes Mal, wenn ich eine Fliege aus der einen Schublade nehme, kommt sie am Abend in die andere. Sobald ich durch bin, geht es in die andere Richtung. » Logistisch eine Herausforderung, vor allem wenn man die drei Wohnorte bedenkt. Notabene sind alle 300 Stück zum Selberbinden, keine vorgefertigten Fabrikate. Schuld am Hang zur Schleife ist übrigens Winston Churchill. Sein vorhin erwähntes Vorbild Frank Vischer hatte einmal das Vergnügen, mit dem früheren Premierminister zu Abend zu essen, wobei dieser ihm den Tipp gegeben habe, er solle sich blaue Fliegen mit weissen Punkten kaufen und sei dann «einfach angezogen ». Daraufhin kaufte die damalige Frau Vischer ihrem Mann besagten Querbinder, und fortan schwor er auf die Fliege. Diese Geschichte hat Thomas Geiser so gut gefallen, dass auch er sich dem charakteristischen Stoffband zuwandte.
Zum Abschluss bitten wir ihn um einen Blick in seine persönliche Kristallkugel. In fünf bis zehn Jahren werde er pensioniert sein und mehr Zeit im Tessin verbringen. «Ich nehme an, ich werde immer noch aktiv sein, immer noch an Gesetzeskommentaren mitarbeiten und vermutlich mehr reisen als heute.»
Zur Person
Thomas GeiserGeboren: 29. Oktober 1952 in BaselHobbys: Film, Kunst und SkifahrenLieblingsbuch: Austerlitz von W. G. SebaldLieblingsmusik: klassische Musik, aber auch LatinoLieblingsessen: Wild und SpätzliLieblingsort: Venedig