«Ich wollte schon immer etwas Relevantes tun»

Elgar Fleisch ist Professor für Informations- und Technologiemanagement an der ETH und der HSG. Er forscht vor allem an einem von ihm selbst mitgegründeten Studiengebiet, dem «Internet der Dinge». Wir haben ihn an seinem Arbeitsplatz besucht und näher kennengelernt.

An einem verschneiten Donnerstagabend besuchen wir Elgar Fleisch an einem seiner Arbeitsplätze im Institutsgebäude für Technologiemanagement an der HSG. Wie es zu dieser, für die Kolumne «Profs privat» eher ungewöhnlichen Wahl des Ortes kommt, erklärt uns Fleisch sofort: «Schauen Sie, ich gebe Ihnen gerne ein Interview, aber Home-Stories à la Schweizer Illustrierte, so etwas mache ich einfach nicht.» Verständlich, wenn man den Hintergrund dieses vielbeschäftigten Menschen etwas genauer kennt: Als Inhaber einer Doppelprofessur an der HSG und der ETH, als Direktor am Institut für Technologiemanagement, als Mitbegründer diverser Unternehmen und als Inhaber einiger Verwaltungsratsmandate kommt Elgar Fleisch sehr häufig mit Journalisten in Kontakt und ist daher auch aussergewöhnlich schnell bei der Sache.

Werdegang

Aufgewachsen ist er in Lustenau an der schweizerisch-österreichischen Grenze. Maturiert habe er in Maschinenbau, was sich auch heute noch bemerkbar mache, denn Fleisch sieht sich selbst immer noch als «halber Techniker». Danach folgte ein Studiengang in Wirtschaftsinformatik, wobei er zu den ersten Jahrgängen zählte, die diese Richtung überhaupt studierten. Bereits in der Wahl dieser Fachrichtungen zeichnet sich eine Art Lebensmotto ab: Die Vereinigung zweier Denkwelten. «Ich wollte immer etwas studieren, was für die Welt relevant ist», bemerkt Fleisch. Habilitiert hat er daher bei einem Professor (Anm.: Hubert Österle, ebenfalls Professor an der HSG), der auch nebenbei ein eigenes Unternehmen führte und somit nicht nur theoretisch tätig war. Bedeutsam ist dies, weil Fleisch 1997 seine Habilitationszeit unterbrach, um in die USA zu reisen und dort eine Tochterfirma des eben erwähnten Unternehmens zu gründen und damit erstmals unternehmerisch tätig wurde. Nach seiner Rückkehr und einer erfolgreich erworbenen Lehrerlaubnis, bewarb er sich um eben jene Stellen, die er heute an der HSG und der ETH innehält. «Wenn ich mich aus einer geschäftlichen Sicht definieren müsste», sagt Fleisch, «dann ist es eine Kombination aus Betriebswirtschaft mit Technik und Wirtschaft mit Wissenschaft. Das sind die zwei Spannungsfelder, in denen ich mich bewege.»

Internet der Dinge

Fleisch arbeitet mit einem Team von 30 Leuten an einem Fachgebiet, das er selbst mitgegründet hat: das Internet der Dinge. Dabei handelt es sich einfach gesagt um die logische Weiterführung des heutigen technologischen Fortschritts. Laut Fleisch wird es in Zukunft so sein, dass jedes Ding mit dem Internet verbunden ist. Was das konkret heisst, wird schnell klar, wenn man die Forschungsergebnisse und Prototypen von Produkten sieht, die in ähnlicher Form bereits morgen im Handel zu finden sein könnten. Der Professor steht auf, macht zwei schnelle Schritte in Richtung eines Regals und präsentiert uns stolz eines seiner Projekte: Eine kleine Plastikbox, in der zum Beispiel Schrauben aufbewahrt werden können. Auf den ersten Blick nichts Spezielles, bis man sie dreht und eine kleine Ausbuchtung zum Vorschein kommt. «Sobald man diese Box aus dem Regal nimmt und sie umdreht, weil sie leer ist, sendet sie ein Signal an das Lager, dass Schrauben nachbestellt werden sollen», erklärt Fleisch. An diesem Beispiel zeigt sich schnell, worum es beim Internet der Dinge geht: technologische Aufrüstung kleiner Dinge, um dem Menschen das Leben zu vereinfachen. Eine Uhr, die auch ein Telefon ist und eine Computermaus, die Bilder scannen kann: all dies sind Uniprojekte, meist finanziert von der Industrie, die dann zu Start-ups wurden. «So, wie ich es gerne mag», sagt er und schmunzelt. Andere Forschungsprojekte von Fleisch drehen sich auch um das Gebiet der Verhaltensökonomie. Er zeigt, dass die Menschen durch Technologie zu einem besseren Verhalten gebracht werden können. Möglich wird dies zum Beispiel mit einem kleinen, rohrförmigen Minicomputer, der zwischen Duschhahn und -schlauch geschraubt wird, sich selbst mittels einer Turbine betreibt, den Wasserverbrauch misst und diesen zur Basisstation sendet. Selbstverständlich kann der eigene Verbrauch dann auf Zeit dargestellt, grafisch ausgewertet und mit den Nachbarn oder dem durchschnittlichen Stadtverbrauch verglichen werden. Experimente zeigten bereits die Wirksamkeit dieses Geräts.

Wirkung der Technologie

Andere Forschungen zielen explizit auf Verhaltensveränderungen ab. Fleisch zeigt zum Beispiel, dass Familien Strom sparen, wenn sie ihren wöchentlichen Verbrauch in ein ansprechend freundliches Interface eingeben, welches je nach Region den Namen «Velix», «Munx» oder «Oscar» trägt. Das Resultat, dass die Kinder zu den Eltern gehen und argumentieren, dass «Munx gesagt habe, sie hätten heute wieder das Licht brennen lassen und sollen es doch bitte ab jetzt ausschalten», zeigt die Wirkung, die Technologie haben kann. In einer Präsentation aus dem Jahre 2010 zeigt Fleisch auch auf, dass schon alleine die Art und Weise, wie man eine Aussage zu beantworten hat, eine immense Auswirkung auf das Resultat hat. In Ländern, in denen Formulare zum Thema Organspende so gestaltet sind, dass die Aussage: «Ich will meine Organe spenden» angekreuzt werden muss, nehmen durchschnittlich nur etwa 15 Prozent der Menschen diese Möglichkeit wahr. Sobald die Frage umgedreht wird und «Ich möchte meine Organe nicht spenden» lautet, sind in allen Ländern 98 Prozent Teilnahme zu verzeichnen. Dies ist zwar erstaunlich, aber psychologisch gesehen nachvollziehbar. Trotzdem bleibt der Beigeschmack einer Forschung, die auch Gefahren mit sich bringt. Für Fleisch ist klar, dass der Mensch «seit Pandoras Büchse geöffnet wurde» jede Technologie für alles einsetze, sowohl für Gutes als auch Schlechtes. Trotzdem sei es von grosser Wichtigkeit, sich zumindest mit der Forschung auseinanderzusetzen. Von einer «Vogel-Strauss-Politik» hält der Professor nicht viel: «Den Kopf in den Sand zu stecken und sich zu sagen, dass Technologie böse sei, ist äusserst naiv.» Er sehe nur zwei Möglichkeiten: Entweder man nimmt teil an der Welt und an ihrem neu entstehenden Wissen oder man lässt dies andere tun. Von daher gibt es für ihn gar keine Alternative, denn frei nach dem Motto «Wer zuerst kommt, mahlt zuerst» besteht nur für den frühen Vogel die Möglichkeit, etwas Entscheidendes beizutragen und eine Technologie für das Wohl der Menschheit einzusetzen.

Hedonismus und Selbstreflexion

Fleisch macht jedoch auch klar, dass seine Motivation nicht unbedingt auf einer altruistischen Weltanschauung basiert: «Ich bin ein lustgetriebener Mensch; ich mache das, was mir Spass macht.» Er gibt auch gerne zu, dass, wenn ihm während seiner Studienzeit eine Vorlesung zu langweilig war, er die Zeit lieber sinnvoller nutzte und zum Beispiel ein Buch las. Apropos Bücher: Elgar Fleisch begleitet seit seiner Studienzeit eine Eigenschaft, die ihn sich selbst «Weltmeister der Fettnäpfchen» hat titulieren lassen. Offenbar geschah dies so oft, dass seine Schwester sogar ein Büchlein zu führen begann, um die lustigsten Momente zu verewigen, sagt er und lacht. Plötzlich ernst wird er bei der Frage, ob er alles in seinem Leben nochmals gleich machen würde. Fleisch lehnt sich zurück und denkt kurz nach. «Ich habe in meinem Leben enorm viel Glück gehabt.» In beruflicher sowie privater Hinsicht sei alles eingetreten, was er sich gewünscht habe, sogar noch viel mehr. Mit dem Gedanken, dass der Mann bei zwei der bekanntesten und vermutlich besten Universitäten ganz Europas angestellt ist, fällt es nicht schwer, sich das vorzustellen. Ausserdem ist er glücklich verheiratet und Vater von vier Kindern im Alter von zwei bis neun Jahren. Eine der wichtigsten Leitfragen in seinem Leben sei die Frage nach der Relevanz. Seit er 25 ist, stellt er sich diese Frage immer wieder, um nicht eines Tages auf ein Leben zurückblicken zu müssen, mit dem er nicht zufrieden sein kann.

Verschiedene Denkwelten

Zufriedenheit verschafft sich Fleisch, wie er selbst sagt, vor allem mit Musik. Was die Fassade des Technikers und Technologieforschers nicht vermuten lässt, ist, dass er in den Genuss einer klassischen Musikausbildung kam und beinahe eine Karriere als Cellist eingeschlagen hätte. Da er sich selbst jedoch nicht zu den Besten zählte, verfolgte er diesen Weg nicht weiter. Gefördert wurde seine musikalische Seite vor allem von seinen strengen Eltern. Er und seine vier Geschwister lernten alle drei bis sechs Instrumente und das auf einem «vernünftigen Niveau». Dies sei natürlich geblieben, daher geht er noch heute seiner liebsten Freizeitbeschäftigung nach. Nicht zuletzt in einer kleinen, lokal jedoch berühmten Band, die aus ihm und seinem Bruder besteht und sich passend «Fleisch und Fleisch» nennt. Es bleibt damit noch zu klären, ob es auch etwas gibt, das der Professor nicht kann. Er selbst glaubt daran, dass man alles schaffen kann, wenn man nur will. Während seiner Zeit in den USA habe er auch Tiefschläge hinnehmen müssen, aber dort habe er gelernt, sich auf sein Bauchgefühl zu verlassen. Schwierige Entscheidungen löse er so, dass er sich möglichst viel Input über die Situation verschafft, sich dann aber voll und ganz auf sein Gefühl verlässt. «Rationalisieren kann ich Entscheidungen oft erst, nachdem ich sie getroffen habe», bemerkt Fleisch. Damit dürfte klar sein, dass, wenn Elgar Fleisch von einem theoretischen Konzept spricht, wie dem Angehören verschiedener Denkwelten, er das nicht bloss einfach so sagt – er vertritt seine Überzeugungen in jedem Detail seines Lebens.


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