Im Dialog mit dem Heiligen Stuhl

Der Schweizer Botschafter im Vatikan spricht mit prisma über die Eigenheiten der Schweiz und ihre Rolle in der Welt

Herr Widmer, Sie sind als Botschafter der Schweiz im Vatikan tätig. Welche Aufgaben und Verantwortungen bringt diese Tätigkeit mit sich?

Ein Botschafter ist der offzielle Vertreter eines Staates in einem anderen Land. In meinem Fall ist dies der Vatikan oder, wie man korrekterweise sagen würde, der Heilige Stuhl. Ich vertrete dort die Interessen der Schweiz als Staat und nicht etwa die Interessen der Schweizer Katholiken. Mit dem Vatikan pflegen wir zudem einen politischen Dialog über Menschenrechte. Dieser ist für uns äusserst fruchtbar, da der Vatikan in den meisten Ländern durch seine Bischöfe und Priester über ein sehr dichtes Netz von Vertretungen verfügt.

Was lieben Sie an Ihrem Beruf?

Das Interessante an meinem Beruf ist sicherlich dessen Vielseitigkeit. Zudem ist es eine Tätigkeit, in der man einen gewissen Einfluss auf die Aussenpolitik eines Landes hat. Natürlich bestimmt man die Politik nicht selbst, sondern ist Teil eines Systems. Allerdings gibt es innerhalb des erteilten Auftrags immer eine gewisse Bandbreite, deren Ausgestaltung von den jeweiligen Fähigkeiten und der Persönlichkeit abhängt.

Das Negative an Ihrem Beruf ist dann wohl, dass man sich ab und zu einen grösseren Handlungsspielraum wünscht, als derjenige, welcher einem gewährt wird.

Das kommt vor. Ich denke jedoch, dass jedermann ab und zu einmal etwas tun muss, was er persönlich wohl anders machen würde. In der Schweiz ist das jedoch relativ selten der Fall, obwohl ich in jüngster Zeit hin und wieder einige Positionen vertreten musste, welche ich persönlich nicht teile. Ich denke hier beispielsweise an die Minarett-Initiative oder andere Entwicklungen bezüglich der Migrationspolitik.

Welchen Eindruck haben Sie von der allgemeinen Wahrnehmung der Schweiz im Vatikan?

Die Beziehungen zwischen dem Vatikan und der Schweiz sind grundsätzlich gut. Ich denke, dies hat vor allem mit der Schweizer Garde zu tun. Durch diese hat die Schweiz eine Präsenz erhalten, welche die Bedeutung unseres Landes weit übersteigt. Es gibt allerdings auch gewisse Probleme. Die Schweizer Katholiken gelten aufgrund ihrer demokratischen Tradition im Allgemeinen als schwierig. Dies ist jedoch eher die Angelegenheit des Nuntius in der Schweiz, welcher dort den Vatikan vertritt.

Im Jahr 2008 haben Sie in einer Rede am Liberalen Institut in Zürich gesagt, die Schweiz sei im internationalen Vergleich ein Sonderfall. Wie kommen Sie zu dieser Aussage?

Zuerst muss ich klarstellen, dass ich die Schweiz nicht in allen Bereichen für einen Sonderfall halte. Allerdings zeichnet sie sich in sehr wichtigen Aspekten aus. Betrachten Sie einmal das Beispiel Europarat: Von den 47 demokratischen Mitgliedstaaten besitzt nur einer, nämlich die Schweiz, derart starke direktdemokratische Rechte. Diese Rechte gehören untrennbar zur Schweiz, wie wir sie kennen. Es gibt keinen vergleichbaren Fall. Parallel dazu ist auch der Föderalismus in der Schweiz, welcher den Kantonen und Gemeinden einen hohen Grad an Finanzautonomie gewährt, weltweit einzigartig. Der dritte Aspekt ist die pluralistische Sprachenlandschaft und die damit verbundene relativ tolerante Politik, welche im internationalen Umfeld leider auch speziell ist. Aufgrund dieser drei Punkte sehe ich die Schweiz als Sonderfall. Meiner Meinung nach geht unsere Diskussion über diese Thematik häug in die falsche Richtung. Oft wird die Frage gestellt, ob wir überhaupt ein Sonderfall sein sollten. Wir sollten ein Sonderfall sein und damit eine Alternative bieten. Diese muss nicht besser oder schlechter sein, aber sie muss die politische Kultur bereichern.

Neben Ihrer Position als Botschafter waren Sie 2009 während dem halben Jahr, in dem die Schweiz den Vorsitz im Europarat innehatte, auch Mitglied im Europarat in Strassburg. Ausgehend von dieser Perspektive: Denken Sie, die Schweiz kann ihren bilateralen Sonderweg mit der EU noch lange aufrechterhalten?

Wir leben in einer interdependenten Welt. Zwar existieren immer noch souveräne Staaten, aber diese sind zunehmend stärker miteinander vernetzt. Dies bedeutet allerdings nicht, dass man als Staat nicht mehr zu seinen Stärken und Vorteilen stehen sollte. Im Gegenteil. Je vernetzter und globalisierter die Welt wird, desto stärker wird vielleicht das kompensatorische Bedürfnis, seine nationale Identität zu verteidigen. Bezogen auf die Schweiz bedeutet dies aber keinesfalls, dass man sich gegenüber der EU abschotten sollte. Wichtig ist eine redliche Zusammenarbeit. Vorderhand bietet der vom Bundesrat verfolgte bilaterale Weg die beste Möglichkeit dazu.

Das war jetzt sehr diplomatisch. Was denken Sie, sind denn die Maluspunkte der Schweiz?

Sehen Sie, es gibt immer eine Vorder- und eine Rückseite. Vielleicht dauert der demokratische Entscheidungsfindungsprozess in der Schweiz wesentlich länger als in einer präsidialen Republik. Umgekehrt muss man aber auch festhalten, dass Entscheide in der Schweiz eine höhere demokratische Legitimation besitzen. Dasselbe gilt auch für den Schweizer Föderalismus. Dieser kann auch eine enorme Trägheit besitzen, wenn auf alle Regionen so viel Rücksicht genommen wird.

Wie sieht es mit der Schweizer Mentalität aus?

Die Frage ist doch, ob es überhaupt eine solche Mentalität gibt. Besteht die Schweizer Mentalität nicht viel mehr aus einer Tessiner, Genfer oder St. Galler Mentalität?

Was bringt diese unterschiedlichen Mentalitäten denn zusammen?

Das zentrale Element sind sicherlich die enormen politischen Mitspracherechte, welche diese Regionen, wenn sie zu anderen Ländern gehören würden, mit Sicherheit nicht hätten. Würde die Schweiz diese Rechte abschaffen, wäre der Kern unserer Mentalität nicht mehr vorhanden.

Der internationale Druck im Allgemeinen, insbesondere im Lichte der Steueraffären, hat in den vergangenen Jahren merklich zugenommen. Droht der Eidgenossenschaft ein Imageverlust?

Das Image hat sicher gelitten. Man kann sein Bild in der Welt, aus dieser Verteidigungsposition heraus, nicht über längere Zeit auf demselben Niveau aufrechterhalten. Im Allgemeinen würde ich jedoch sagen, dass die Schweiz weiterhin renommiert ist. Zudem bessert sich der Ruf, je weiter sie von der Schweiz weggehen. Man muss allerdings klar sehen, dass wir momentan von der Substanz zehren. Ereignen sich über längere Zeit weiterhin Vorkommnisse, wie wir sie in den letzten paar Jahren erlebt haben, droht ein ernsthafter Schaden. Wir müssen darauf achten, dass wir ein Bürgerstaat bleiben und uns nicht zu stark auf oberflächliche Imagebildung konzentrieren.

In einem Artikel der NZZ im November letzten Jahres sprechen Sie sich vehement für eine diplomatische Vollvertretung der Schweiz im Vatikan aus. Steht eine solche Annäherung zum Epizentrum des Katholizismus nicht im Widerspruch zu einem säkularen und zu grossen Teilen auch reformierten Staat wie der Schweiz?

Im Vatikan befinden sich derzeit einundachtzig Botschaften; darunter auch einige von islamischen Ländern wie Ägypten oder Indonesien. Daher glaube ich nicht, dass hier konfessionelles Denken eine allzu entscheidende Rolle spielt. Die grossen Fragen von Religion, Politik und Toleranz stellen sich heute zudem überall auf der Welt. Diese werden meiner Ansicht nach nirgends derart intensiv diskutiert wie im Vatikan.

Abschliessend noch eine Frage. Was wünschen Sie sich in Zukunft für die Schweiz?

Ich würde mir wünschen, dass die Schweiz die Stärke und das Selbstverständnis, welches sie besitzt, auch weiterhin auslebt. Zudem sollte sie vorhandene Potenziale und Chancen im Bereich der Integration noch besser ausschöpfen. Mit unserer starken Bürgergesellschaft sind wir fähig, mehr zu leisten. Die Schweiz soll sich bewusst sein, dass sich Weltoffenheit und Pflege der eigenen Identität im Zeitalter der Globalisierung nicht gegenseitig ausschliessen. Wenn sie dies solide umsetzt, wird sie eine lohnenswerte Zukunft vor sich haben.


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