«Jedes Aussehen ist eine Entscheidung»

Frau Kritzmöller ist Privatdozentin und unterrichtet Soziologie. prisma hat sie eine private Einführung in ihre Welt der Eitelkeiten und des Stils gegeben.

Wir besuchen Monika Kritzmöller vormittags in einem Jugendstil-Haus in der Nähe des Stadtparks. Sie liebt ihre Wohnung: Der Fussboden im Eingangsbereich besteht aus schwarzem Terrazzo mit weissen Rauten, ihr Wohnzimmer hinter einer Samttür gleicht einem zeitgemässen Salon. Von dort hat man einen wunderbaren Ausblick auf den gegenüberliegenden Hügel mit der Universität und leider auch auf das sperrige Kantonsspital: «Das sieht man zum Glück nicht mehr, sobald die Bäume wieder Laub tragen.» Mitten in der Stube steht ein Druckstock, den sie gelegentlich auch selbst zum Einsatz bringt: Sie zeigt uns eine Radierung mit Gänsemotiv, welche sie als Weihnachtskarte gedruckt und verschickt hat. Es ist der erste von verschiedenen Gegenständen, mit denen sie uns ihre stilvolle und schöne Alltags Welt näherbringt.

Im Auftrag des Stils

Ihr Leben ist stark von ihrer Leidenschaft für stilistische Formen und Eitelkeiten geprägt, und schnell stellt sich heraus, dass es unmöglich ist, die Modekennerin und Stilbegeisterte getrennt nach Beruf und Privatleben zu befragen: Seit fünfzehn Jahren steht Frau Kritzmöller in Kontakt mit der HSG, wo sie auch habilitierte. Daneben ist sie freiberuflich in der Unternehmenspraxis tätig. Ihr Zuhause beschreibt sie lachend als ein Beratungsinstitut und eine «One-Woman-Show»: Sie berät Unternehmen in Positionierung und Aussenauftritt, entwirft Kommunikationskonzepte und begleitet deren Umsetzung. Daneben arbeitet sie an verschiedenen Projekten mit der Zürcher Hochschule der Künste oder wird bei Anlässen in der Textilbranche engagiert. Forschung betreibt sie auch in Kooperation mit der Privatwirtschaft, bald wird sie sich mit der Soziologie der Haptik genauer beschäftigen.

Mit ihrer Publikation «Lock-Stoffe – St. Gallen als Textil- und Jugendstil-Stadt» aus dem letzten Jahr präsentiert sie uns ein persönliches Steckenpferd und gibt uns mit viel Begeisterung eine Einführung in das ABC von Stickerei und Spitze. Das erfolgreiche Buch zeigt Stoffe aus St. Gallen von der Jahrhundertwende im Jugendstil bis hin zu heutigen bedruckten und gestickten Experimentalstoffen. Das Projekt war auch ein Beitrag an die Kulturlandschaft St. Gallens, die eine Erinnerung an den Ursprung des Wohlstands dieser Stadt zu Gunsten der Zukunft des Textilmuseums dringend nötig hat.

In der Ausübung ihrer Tätigkeit ist sie sehr frei, geregelte Arbeitszeiten wären auch nichts für sie. Sie betont, dass ihr Leben ohnehin nicht klar in Beruf, Interessen und Freizeit abgegrenzt werden könne: So erzählt sie von ihrer Eröffnungsrede zur Dessous-Ausstellung «Secrets» im Textilmuseum, wonach sie am Ende des Abends diverse Einladungen für Firmenbesichtigungen erhielt. «Ist es Arbeit, wenn mir ein Textilunternehmen gezeigt und erklärt wird, ich in der Designabteilung stöbern darf und Bereiche sehe, wo eine Privatperson nie reindarf?», fragt sie mit glänzenden Augen.

Mit Spekulation zum Führerschein

Wir möchten wissen, wie Frau Kritzmöller zu ihrem in Augsburg absolvierten Wirtschaftsstudium gekommen ist – und sich schliesslich wieder davon entfernt hat. Neben ihrem regen Interesse für Mode und Architektur war sie seit jeher auch «fasziniert vom ‚Gezocke’ auf dem Aktienmarkt», in dem es Ende der 80er-Jahre fast nur nach oben ging. Nach eineinhalb Tagen Spekulation hatte sie auf diese Weise ihren Führerschein finanziert – obwohl sie uns versichert, dass das auch mit ein paar Zufallstreffern zusammenhing. Sie hatte somit schon seit jeher zwei Stossrichtungen, von denen die eine sie brennend interessierte und die andere ein Garant gegen Brotlosigkeit war. Rückblickend beschreibt sie sich als zu feige für das Studium in Modedesign und landete so bei den Wirtschaftswissenschaften. Aber ihre Meinung darüber bleibt vehement: «Ich fand das Studium so schrecklich!» Ökonomische Psychologie war das einzige Fach, das ihr wirklich gefiel. Hier stellte sie fest, dass es ihr Interesse für die irrationale Alltags- und Objektkultur tatsächlich als Forschungsfeld gibt. So fokussierte sie sich auf diesen Teil ihres Studiums, schrieb ihre Diplomarbeit über Edelsteine und promovierte in der Wirtschaftspsychologie über Wohnungsstile als Reflexionen ihrer Bewohner.

Zunächst fand sie kein Stellenprofil, das zu ihrer fachlichen Richtung passte. Dann wurde sie in St. Gallen bei Peter Gross fündig, der sie massgeblich in ihrer Forschungsarbeit unterstützte. Seit 2004 ist sie an der Uni als Privatdozentin tätig und unterrichtet Soziologie. Vor einem Jahr verlegte sie schliesslich auch ihren Lebensmittelpunkt nach St. Gallen. Etwas Anderes als das Ausleben ihres Stils kam für sie auch als Studentin nie in Frage: In Augsburg bewohnte sie in einem «50er-Jahre-Häusle» die Hälfte des Dachstocks. «Ich habe es möbliert mit dem, was halt so da war. Aber so, dass es farblich durchgestylt war: Ein cremefarbiger Teppichboden, weiss-graue Möbel, dunkle brombeerrote Samtvorhänge an den Fenstern sowie ein schwarzer, geschnitzter Holzstuhl. Ich achtete auch darauf, dass ich immer irgendwelche dunkelroten Blumen hatte.» Das Argument, eine stilistisch abgestimmte Wohnung scheitere bei den meisten Studenten am Geld, überzeugt sie nicht: «Bei den meisten Menschen, die ich während meiner Dissertation gefragt habe, würde die Wohnung im Prinzip genau gleich aussehen, wenn sie mehr Geld hätten. Nur eben zehnmal teurer.»

Kleider machen keine Leute

Wir bitten Frau Kritzmöller um eine Stellungnahme zur Behauptung, man werde häufig nur aufs Äussere reduziert. Ihrer Ansicht nach ist dies so gar nicht möglich: Denn auch wer keinen Wert auf sein Erscheinungsbild läge, treffe genau damit auch eine Entscheidung und «sieht dann trotzdem irgendwie aus». Vergnügt erzählt sie von einer Zugfahrt, auf welcher ihr ein junger Mann im Anzug und mit Wirtschaftsmagazin in der Hand gegenübersass. Aus dem Gespräch mit ihm ergab sich, dass er unterwegs zu einem Vorstellungsgespräch war. Es sei absolut offensichtlich gewesen, dass er den Anzug sonst niemals angezogen hätte und «in dieser Rolle noch nicht verhaftet ist». Stilratgeber sollten ihrer Ansicht nach eher als Möglichkeit zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Äusseren, nicht als Identitätsoption verstanden werden. Wesentlich sei, dass man solche Schritte ganz bewusst mache und nicht zum Mitläufer werde: «Wenn ich den Firmendresscode befolge, aber mich in den Klamotten nicht wohl fühle, fühle ich mich auch im Unternehmen nicht wohl. Dann ist es doch besser, die disqualifizieren mich gleich wegen meines Outfits. So bleibt mir auch der Rest erspart.» Ihren wissenschaftlichen Blick auf Mode und Äusserlichkeiten setzt sie auch im Privaten praktisch um: So entwirft sie ihre Kleider selbst und lässt sie nach ihrer Stoffauswahl im Couture-Lehratelier in St. Gallen schneidern.

Zum Schluss fragten wir Frau Kritzmöller, ob sie nicht auch einen Tipp für uns Studenten habe: «Vergesst das CV-Planning! Macht das, was euch interessiert, wo euer Herz dahintersteht und was euch Freude macht! Wenn man das mit Herzblut und Leidenschaft macht, hat man dabei auch Erfolg.» Sie selbst ist wohl das beste Beispiel dafür.

Zur Person
Geboren am 15.08.1968 in Kempten (Allgäu)
Hobbys: Mode, Architektur, Alltagskultur
Lieblingsfilm: Metropolis, Filme von Jacques Tati
Lieblingsmusik: Barockopern und «Je te veux» von Erik Satie
Lieblingsessen: Klares Tomatengelee ihrer Mutter


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