Kunst, die unter die Haut geht

Tattoos – noch immer ein kontrovers diskutiertes Thema. Für die einen sind sie nichts als Tinte unter der Haut, für die anderen hingegen wandelnde Bilderbücher. Um mehr über die spaltende Thematik in Erfahrung zu bringen, besuchten wir das Giahi-Tattoo-Studio-Team in Zürich.

Der Geruch von Blut und Tinte liegt in der Luft und das Surren der Nadel ist zu hören, als wir im Studio in Zürich eintreffen. Wir wollen wissen, was die Tattoo-Szene ausmacht, wie sich die Meinung der Gesellschaft gegenüber Tattoos verändert hat und was wir uns allgemein unter einem Tattoo vorstellen können.

Leinwand Mensch

Tattoos sind Geschmackssache, werden jedoch heutzutage immer noch nicht vollumfänglich akzeptiert und sind für gewisse Positionen ein No-Go. Sie sind jedoch nicht einfach nur Tattoos, sondern können als Kunst auf der Leinwand «Mensch» angesehen werden. So wie es den Expressionismus oder den Realismus in der Kunst gibt, können auch verschiedene Stile für eine Tätowierung verwendet werden. So kann man neotraditionelle Motive entwerfen (wie Gustavo Viani) oder aber Cartoons wie Bambis, Cupcakes oder die Computerspielfigur Zelda (wie von Ivan Canteras). Will man ein Porträt von einer geliebten Person oder einem Vorbild, sollte man sich von dem begabten und auf Porträts spezialisierten Künstler ein Bild nadeln lassen. Den Wünschen, dem eigenen Fleisch einen neuen Schliff zu verpassen, steht mit den heutigen Mitteln nichts im Weg.

Die Kunst des Tattoos

Die Meinungen darüber, ob Tattoos gesellschaftlich vertretbar oder schön auf der Haut anzusehen sind, driften auseinander. Man muss jedoch anmerken, dass nicht alle Tötowierer verruchte Leute in einem dunklen Keller, irgendwo in einem versifften Viertel sind. Teils handelt es sich dabei um wahre Künstler. Sie zaubern ihre Meisterwerke zwar auf eine etwas ungewöhnliche Leinwand, jedoch haben sie ein Auge dafür, Wundervolles zu entwerfen. Dies sollte gewürdigt werden. Denn dieses Handwerk können nur wenige meisterhaft ausüben.

prisma: Kannst du uns einen kurzen Einblick in die Geschichte des Tattoos gewähren?

Florian vom Giahi-Team: Das Tätowieren ist auf indigene Völker zurückzuführen. Diese haben Tattoos als Körperschmuck gesehen. Als der Tattoo-Kult in Europa aufkam, trugen vor allem die Adligen diesen Körperschmuck. Als jedoch das normale Volk anfing, sich selber zu tätowieren, allen voran die Seeleute und die Gefangenen, rutschte der Kult in immer tiefere Gesellschaftsschichten ab. In Japan wurden beispielsweise eine Zeit lang allen Straftätern ihre Vergehen tätowiert, sodass sie immer erkannt werden konnten. Auf dieses Vorgehen ist der Bodysuit (ganzer Körper tätowiert) der japanischen Mafia zurückzuführen: Die Verbrecher wurden überall erkannt und ausgestossen. Sie schlossen sich zu Gruppen zusammen und es wird heute noch die Tätowierung in Ehren gehalten.

Wie hat sich der Ruf der Tattoo-Szene in den letzten Jahren verändert?

Da mindestens eine Million Schweizer tätowiert sind, wird ein tätowierter Mensch alltäglicher, was zu einer Entspannung dem Thema gegenüber führt. Das spiegelt sich auch in unserer Kundschaft wider. Immer mehr Leute unterschiedlicher Gesellschaftsschichten und Altersklassen trauen sich, ein Tattoo zu machen. Zudem haben sich die Materialien, also die Farben und Nadeln, erheblich weiterentwickelt. Sie lassen es zu, dass wir sozusagen jeden Kundenwunsch erfüllen können. Dies führt von Bleistiftskizzen bis hin zu Ölgemälden. Die Gesellschaft erkennt nach und nach, dass Tätowieren viel mit Kunst zu tun hat.

Wie erklärst du dir dennoch, dass gewisse Leute etwas gegen Tattoos haben?

Tätowieren erfordert Mut und den Willen zur Veränderung. Viele Leute wollen gerne anders sein, wagen aber den Schritt nicht. Kann dies nicht erreicht werden, werden Leute durch Enttäuschung und Eifersucht getrieben. So kommt es, dass manche Tätowierte negative Erfahrungen machen. Auf der anderen Seite können sich beispielsweise Bankangestellte oder CEOs aus arbeitstechnischen Gründen unmöglich erlauben, ein Tattoo zu tragen. In diesem Sinne ist das Tragen von Tattoos immer noch an gewisse Gesellschaftsschichten oder vielmehr Arbeitskreise gebunden. Dennoch ist von einer Desensibilisierung der Gesellschaft gegenüber dem Thema auszugehen. Relativ viele Jugendliche und junge Erwachsene zeigen sich heutzutage mit Tattoos. Wir stehen dem Thema allgemein offener gegenüber als vielleicht ältere Semester.

Tätowiert ihr grundsätzlich alles?

Nein, auf keinen Fall! Wenn jemand ein Tattoo will, kommt die Person zuerst zu einem Vorgespräch und das Motiv, der Stil und die Grösse werden besprochen. Wir ermitteln, ob es wirklich gewollt ist oder eher eine Flause im Kopf. Will ein 16-jähriges Mädchen den Namen ihres Freundes in den Unterarm tätowieren, würden wir ihr eingehend davon abraten und den Auftrag nicht ausführen. Wir sind mit gesundem Menschenverstand dabei. Die Schmerzgrenze ist grundsätzlich jedoch sehr tief. Im Endeffekt kann jeder das Motiv wählen, welches er will. Solange es nicht völlig abgefahren ist, wird es tätowiert.

Du hast auch relativ viele und sichtbare Tattoos. Wie reagieren die Leute darauf?
Ganz unterschiedlich. Viele fragen freundlich und interessiert nach, wo ich mich habe tätowieren lassen und was die Bedeutung der Tattoos ist. Andere reagieren negativ auf meine Tattoos und pöbeln mich an oder meiden mich sogar. Am meisten freuen sich Kinder über meine Tattoos – für die bin ich so etwas wie ein wandelndes Bilderbuch.

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

*

*

*