Der Schauspieler und Kabarettist Mike Müller ist derzeit eine der gefragtesten Personen der Schweizer TV- und Theaterszene. prisma traf den Solothurner zu einem Gespräch über Wege und Irrwege seiner Karriere, wie hoch die Quoten einer Satiresendung sein sollten und warum er selbst niemals an der HSG studieren würde.
Wir treffen den unauffällig gekleideten Entertainer vor einem unscheinbaren Gebäudekomplex in der Nähe des SRF-Hauptsitzes in Zürich. Mit einem Lächeln und einem festen Händedruck stellt er sich uns als «Mike» vor und führt uns in einen, man glaubt es kaum, noch unscheinbareren Raum, den er für uns reserviert hat. «Die schönen Räume waren bereits alle besetzt», entschuldigt er sich höflich. Auf Fragen antwortet er ausschweifend und behäbig, aber mit sprachlicher Prägnanz, Sorgfalt und der dramaturgischen Stimme eines geübten Erzählers, sodass man ihm stundenlang zuhören könnte. Einmal reckt er seinen Kopf, um einen Blick auf ein vorbeifliegendes Flugzeug zu erhaschen. «Eine grosse Leidenschaft von mir», erklärt er schmunzelnd.
Philosophie und der Nimbus des Unnützen
Angefangen hat die schauspielerische Karriere von Mike Müller bereits in der Kantonsschule. Damals habe er mit zwei Freunden eine Theatergruppe gegründet. Später führte er seine Leidenschaft im Theater Olten parallel zu einem Philosophiestudium in Zürich fort. Auf sein Studium und dessen Nutzen in der Retrospektive angesprochen, entgegnet er: «Wenn man studiert, wird man in den wenigsten Fällen für einen Beruf ausgebildet, auch nicht in St. Gallen.» So habe besonders das Philosophiestudium den Nimbus des Unnützen. «Die Frage nach dem Nutzen meines Studiums ist sehr schwierig zu beantworten.» Profitiert habe er sicher von den Beziehungen, die er während des Studiums mit Künstlern knüpfen konnte und heute in seine Satiresendung einladen kann – «Networking», spielt er grinsend auf unsere Alma Mater an. Für ihn war nicht von vornherein klar, dass er eine Schauspielkarriere anpeilen würde. Ausprobiert hat er aber viel auf dem Weg zu seinem heutigen Tätigkeitsfeld. Neben Totengräber und Taxifahrer gab er auch Schulunterricht. «Mein Weg war sicher kein idealer.» Und auch im Schauspiel selbst ging es nicht nur geradeaus. Hinsichtlich Theaterproduktionen habe er auch viel Mist gemacht, den er rückblickend wohl lieber sein gelassen hätte.
Theater trotz Fernsehen
Heute ist Mike Müller mit seinen vielfältigen Anstellungen «sehr privilegiert», wie er selbst sagt. Neben seiner Hauptrolle in der Krimiserie «Der Bestatter» und der Satiresendung «Giacobbo/Müller» beim Schweizer Fernsehen habe er in der Schweiz zudem die Möglichkeit, bei Theaterproduktionen mitzuwirken. «In Deutschland wäre dies nach einer grossen Fernsehrolle nicht selbstverständlich. In der Schweiz gibt es diesen Dünkel nicht.» Dies liege vielleicht auch daran, dass die Schweiz im Gegensatz zum Nachbarn im Norden nie die absolute Hochkultur hatte. «Im Schweizer Fernsehen bekannt zu werden, ist keine Leistung. Die liegt eher in der Konstanz, bekannt zu bleiben.» Die Unabhängigkeit und Abwechslung vom Schweizer Fernsehen sei ihm sehr wichtig und die grosse Freiheit, die Viktor Giacobbo und er bei der Ausgestaltung ihrer Sendung geniessen, schätzt er sehr. Aber natürlich gäbe es, wie in jedem Beruf, auch Dinge, die einem keinen Spass machen: «Das Auswendiglernen der Dialoge ist einfach das Letzte.»
Das Lied von den Quoten
Apropos Unabhängigkeit: Wie stark ist «Giacobbo/Müller» denn auf hohe Quoten angewiesen? «Klar machen wir Fernsehen schlussendlich auch für ein gewisses Spektrum. Bei einem Fernsehsender mit den weltweit höchsten Gebühren ist das auch völlig legitim.» Was denn nun gute Quoten sind, sei allerdings bei einer Satiresendung schwierig zu bestimmen. Die «heute-show» in Deutschland hat beispielsweise massiv tiefere Quoten als «Giacobbo/Müller». «Ist das nun gut oder schlecht?» Quoten könnten nicht das einzige Kriterium sein, sagt der Unterhalter in ernstem Ton. Er sage immer, «Giacobbo/Müller» habe viel zu hohe Quoten und solle eher ein Nischenprodukt darstellen, etwa so wie «Willkommen Österreich», eine Satiresendung unserer östlichen Nachbarn.
Giacobbo und Müller, eine klare Hierarchie?
Schon oft wurde Mike Müller auf das Verhältnis zwischen ihm und seinem Partner Viktor Giacobbo angesprochen. Der Talkmaster Roger Schawinski bezeichnete Müller beispielsweise als klare Nummer 2, obwohl er eigentlich mehr Potenzial habe. Müller entgegnet in unserem Interview darauf pragmatisch: «In der Sendung spielen wir oft mit einer Hierarchie aus rein dramaturgischen Gründen.» Und auch beim Interview habe Giacobbo klar den Lead, da man nicht zu zweit verbal auf einen Gesprächsgast losgehen könne. Hinter den Kulissen sei man beim Schreiben der Gags und Sketches aber absolut gleichberechtigt. Jeder hat ein Veto-Recht und scharfe Kritik sei uneingeschränkt möglich. Das sei auch sehr wichtig für die Qualität der Sendung und nebenbei eine gute Schule für einen selbst. «Ich fühle mich daher überhaupt nicht als Nummer 2» und das nimmt man dem selbstbewussten Satiriker auch ab.
Nur nicht zynisch werden
Was hält denn die Zukunft für Mike Müller bereit? Er selbst scheint ihr jedenfalls sehr gelassen entgegenzutreten. «Ich habe mir nie einen grossen Kopf darum gemacht.» So nehme er die Dinge auch weiterhin spontan. Wichtig ist ihm aber, dass er den ehrlichen Zugang zu seiner Arbeit nicht verliert. Besonders bei Fernsehproduktionen müsse man aufpassen, dass man sich nicht verbiege und auch bereit sein, rechtzeitig aufzuhören. Ansonsten werde man zynisch, was er auf keinen Fall werden wolle: «Mein Zugang zur Komik ist kein zynischer.» Daher wisse er auch nicht, wie viele Folgen von «Der Bestatter» er noch drehen werde und wie lange Giacobbo oder seine Wenigkeit noch Lust haben, ihre Late-Night-Show zu produzieren. Was danach komme, wisse er noch nicht. Sicher werde er wieder ein wenig mehr im Theater spielen. «Im Moment mache ich eher ein wenig zu viel Fernsehen für meinen Geschmack.»
Ein weiteres interessantes Format, das Müller sehr genau beobachtet, ist das sogenannte «web only», bei dem Serien und Filme lediglich für den Online-Konsum kreiert werden. Begeistert habe er verfolgt, wie in den USA das Streaming-Portal «Netflix» die hiesige Medienlandschaft mit Serien wie «House of Cards» gehörig aufgemischt hat. «Ob wir für die Vermarktung dieses Formats hier im richtigen Land sind, ist allerdings eine andere Frage» fügt der Entertainer mit einem Augenzwinkern hinzu.
Das ewige Klischee der HSG
Fragt man Mike Müller nach der Universität St. Gallen und seiner Meinung über diese, erhält man als HSG-Student eine ernüchternde Antwort. Sätze wie «Die Klischees kommen nicht von ungefähr.» und «Ich staune darüber, wie viel Meta-Ebene es im Management zu geben scheint.» oder «Ich glaube einfach, dass mehr zu kreativem Management gehört, als das Konzept dieser Universität.» schmettert er einem entgegen. Die nachgesagte Arroganz der HSG-Studenten habe er früher als Student auch oft selbst erlebt. «Jede Institution, die sich selbst als die einzig Richtige betrachtet, ist für mich prinzipiell problematisch». Ein gutes Haar scheint Mike Müller dann doch noch an unserer Universität lassen zu können: Er habe in seinem Alter auch schon genug HSGler getroff en, die ihn gelehrt haben, dass die Welt vielleicht doch ein wenig grösser als ihre Klischees ist: «Das beste Beispiel dafür ist wohl der Chef der SRG selbst.»
Ebenso spontan und ungezwungen wie das Gespräch begonnen hat, endete es auch wieder. Mit einem höflichen, aber bestimmten «Sind wir fertig?» macht Mike Müller weitere Fragen, die wir ohnehin nicht mehr gehabt hätten, hinfällig. Mit einigen Erkundigungen über unser Studium, werden wir sanft hinausgeleitet. Nach der Verabschiedung bleibt uns, neben einer Stunde aufgenommenen Gesprächs und 260 Fotos, die Erkenntnis, dass wir gerne noch weiter mit dem sympathischen Schauspieler gesprochen hätten.