«Mit klassischer Musik und spannender Literatur auf der Suche nach Schönem»

prisma besuchte die Titularprofessorin für öffentliches Recht Regula Kägi-Diener in ihrem modernen und stilsicher eingerichteten Terrassenhaus in Niederteufen und sprach mit ihr über den Traumberuf Architektin, den Weg zur Juristerei und was für sie Luxus bedeutet.

Während der Elf-Minuten-Fahrt, die St. Gallen von Niederteufen trennt, amüsiert uns das etwas in die Jahre gekommene Appenzeller Bähnli und wir geniessen anfangs den Blick über St. Gallen und die Aussicht auf eine uns unbekannte Region. Am Bahnhof angekommen nehmen wir eine steile Treppe bergwärts am Südhang von Niederteufen. Wir sind schon ein wenig ausser Atem, als uns Regula Kägi-Diener, die offenbar auf demselben Zug war, einholt und uns direkt anspricht. «Sie müssen Frau Thurnheer und Frau Amann sein.» Gut, ganz so schwierig war es wohl nicht, zu erraten, dass wir die prismaner sind. Wir stehen mit dem Ausdruck ihrer sehr detailreichen Wegbeschreibung da und sehen uns wie zwei Touristen suchend um. Gemeinsam nehmen wir das letzte Stück des Aufstiegs in Angriff und betreten dann eines der Terrassenhäuser. Via Lift und Fingerscan erreichen wir das Apartment von ihr und ihrem Mann Fritz. Die Sonne scheint durch die grossen Fenster und durchflutet den Eingangsbereich, das Wohn- und Esszimmer mit sehr viel Licht. Wir geniessen ein wunderbares Panorama, können beinahe bis ins Zürcher Oberland sehen und wenn da nicht der Nebel wäre, könnten wir auch noch den Säntis erblicken. Unsere Blicke schweifen aber nicht nur bewundernd nach draussen, sondern bleiben auch an den zahlreichen Skulpturen im Haus drinnen hängen. Zwar haben wir vorab gelesen, dass sie und ihr Mann gerne Kunst sammeln, diese Information wäre aber nicht nötig gewesen, denn schon beim Betreten des Hauses erkennt man die vielen Skulpturen auf weissen Kuben und die Bilder, welche die Wände schmücken. Lachend meint sie: «Es war aber nicht immer so. Mein Mann und ich hatten ursprünglich sehr unterschiedliche Meinungen und Geschmäcker, was die Einrichtung betrifft.» Sie hätten lernen müssen, miteinander Dinge schön zu finden. In der Zwischenzeit haben sie die Kunst für sich entdeckt und bei Skulpturen und Bildern einen gemeinsamen Geschmack entwickelt. Sie erzählt uns, dass die Besuche bei den mehrheitlich Schweizer Künstlern, zu denen sie den persönlichen Kontakt sehr schätze, abgenommen haben, da sie «weder hier im Haus in Niederteufen noch im Haus im Tessin Platz haben für weitere Skulpturen und Bilder».

Nach dem kurzen Rundgang setzen wir uns auf das helle Ledersofa und erklären ihr, wie Profs Privat funktioniert. Da sie vor ein paar Jahren bereits einmal im prisma war und die Rubrik kennt, legen wir rasch los. Aufgewachsen ist sie zusammen mit einem älteren Bruder, einer älteren Schwester, einer Zwillingsschwester und einer jüngeren Schwester im Zürcher Unterland. Schmunzelnd meint sie: «Die Familie war schon sehr frauendominiert.» Alle Frauen seien sehr stark in der Familie und sie und ihre Zwillingsschwester hätten sich natürlich gegenseitig noch mehr unterstützt. Das war vor allem für die jüngste Schwester nicht ganz einfach gewesen. Auf unsere Frage, ob sie denn für ihre Schwester eine Art Vorbild gewesen sei, musste sie laut loslachen und nimmt fast ein bisschen einen entschuldigenden Ton an. «Aufgrund der Dominanz und der sehr engen Beziehung von uns Zwillingsschwestern distanzierte sich die Jüngste eher von uns, als dass sie eine von uns als Vorbild nahm.»

Schon als Kind war Regula Kägi-Diener immer sehr wissbegierig und lernwillig. Da die Familie keinen Fernseher besass, habe sie viel gelesen und war draussen in der Natur, beispielweise am Rollschuhlaufen. Die Kantonsschule hat sie in Winterthur besucht und mit dem Typus C (Mathe) abgeschlossen. Mathematik fiel ihr relativ leicht, sie löste gerne mathematische Probleme und konnte analytisch denken. Architektin war deshalb ihr erster Traumberuf. Doch die Angst, eine «Wald- und Wiesen-Architektin in der zweiten Reihe zu sein», schreckte sie zu sehr davon ab und sie entschied sich gegen ein Architektur-Studium. Mit ihrem Elan und Enthusiasmus, diesem Terrassenhaus, dem Panorama und der Einrichtung zufolge hätte sie unserer Meinung nach bestimmt eine erfolgreiche Architektin abgegeben. Dass sie sich schliesslich für ein Jus-Studium an der Universität Zürich entschied, hat zwei Gründe. Erstens prägte sie das Buch «Das Feuerzeichen» von Werner Bergengruen, dessen Geschichte sich um die Frage nach Recht und Gerechtigkeit dreht. In der Geschichte kommt ein Sturm auf, der Protagonist des Buches entzündete trotz Verbot ein Feuer an Land, damit die Schiffsleute den Nachhauseweg finden konnten. Obwohl er mit seinem Handeln alle Leute rettete, wurde er im Nachhinein verurteilt, weil er gegen das Gesetz verstossen hat. Diese Diskrepanz zwischen Recht und Gerechtigkeit habe sie beschäftigt. Der zweite Vorfall in ihrem Umfeld, bei dem eine Person zu Unrecht verleumdet wurde, bewegte sie dann definitiv zu einem Studium in Jura. «Die Frage vom Verhältnis zwischen Recht und Gerechtigkeit empfand ich als sehr spannend und hatte das Gefühl, dass man deren Diskrepanzen doch müsste lösen können.» Das Jus-Studium an der Universität Zürich zog sie in der schnellstmöglichen Zeit durch. Anschliessend absolvierte sie ein Praktikum, um später Rechtsanwältin werden zu können und hatte zwei Assistenzstellen im wissenschaftlichen Bereich inne. Unsere Interviewpartnerin fand früh Gefallen an der akademischen Arbeit und betreibt sie auch heute noch.

Zusammen mit ihrem Mann wollte sie den Schritt aus Zürich wagen und liebäugelte mit den USA, aber das war damals noch nicht üblich und schwierig umzusetzen. Deshalb verschlug es sie in die Romandie, zuerst nach Neuenburg und später nach Lausanne. In dieser Zeit arbeitete Kägi-Diener in einer Anwaltskanzlei, an der Universität Lausanne und anschliessend am Bundesgericht. Aufgrund eines Jobangebots ihres Mannes, der auch heute noch als chirurgischer Orthopäde arbeitet, zog es das Ehepaar dann in die Ostschweiz, wo sie nun seit über 30 Jahren leben. In St. Gallen hat sie heute ihre eigene Kanzlei zusammen mit einer Kollegin. Neben den Jobs in der Kanzlei und an der Uni engagiert sie sich in vielen Projekten. Sie ist beispielsweise Präsidentin des Verbandes Juristinnen Schweiz, Vize-Präsidentin bei der European Women Lawyers Association (EWLA) und engagiert sich neben dem Präsidium zweier gemischt-geschlechtlicher Organisationen (Schweizerischer Juristenverein und Schweizerische Sektion der Internationalen Juristenkommission) stark für Frauen und Frauenrechte. Mit Vorträgen, Artikeln und Forschung in diesem Bereich sorgt sie dafür, dass die Genderdiskussion im juristischen Bereich geführt wird. Dieses Engagement, das sie bei Projekten an den Tag legt, ist ihre grosse Stärke. «Ich stehe immer hinter meinem eigenen Tun und bin mit vollem Engagement dabei. » Sie habe aber natürlich auch das Glück, durch ihren Mann finanziell abgesichert zu sein, um etwa Projekte mit NGOs, wie «16 Tage gegen Gewalt an Frauen», wahrnehmen zu können. Die Kehrseite des bedingungslosen Engagements für Herzensangelegenheiten sei wohl, dass sie nicht «nein» sagen und ebenso schlecht von der Arbeit und ihren Engagements abschalten kann.

«Abschalten ist etwas ganz Schwieriges für mich.» Wenn überhaupt, dann geht das nur beim Lesen. Je nachdem wie spannend das Buch ist, hat sie es in einer Woche gelesen. Nur das Buch, das vor uns auf dem glasigen Salontisch liegt, «Reise an den Rand des Universums» von Urs Widmer, habe sie zweimal angefangen und bis jetzt noch nicht fertig geschafft – «es hat mich einfach noch nicht gepackt».

Neben dem Lesen geht sie auch sehr gerne wandern – entweder von Niederteufen aus oder dann im Tessin, wo sie mit ihrem Mann zusammen ein Haus, das neben viel Kunst auch ein Hallenbad beherbergt, besitzt. Schmunzelnd erzählt sie uns, dass «sie manchmal beim Wandern die Zeit vergesse, so dass sie kaum mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückkomme oder es schon so dunkel ist, dass sie den Nachhauseweg beinahe nicht mehr finde». Neben dem Wandern, der Literatur und der bildenden Kunst liebt sie auch die klassische Muisk – oder um es in ihren Worten zu sagen «alle Musik bis zu den 90ern. Für elektronische Musik bin ich wohl zu alt. Die Musik muss schon eine Melodie haben.» Aber wahrer Luxus ist für sie Wohnen. Ob hier zu Hause in Niederteufen mit einem wunderbaren Panorama oder im Haus im Tessin. Ein pures Glücksgefühl durchströmt sie, wenn sie dort das grosse Bad für sich alleine hat und die Abendsonne das Hallenbad mit Licht durchflutet. Sie hat ein gutes Gespür für das Schöne und Ästhetische. Man merkt, dass ihr das wichtig ist. Aber das Wichtigste sei ihr die Familie. Vor allem zu ihrer Zwillingsschwester hegt sie nach wie vor eine sehr enge Beziehung. Dazu beigetragen hat zu unserem Amüsement auch, dass ihre Zwillingsschwester den Bruder ihres Mannes geheiratet hat. Vor einiger Zeit haben beide Familien mit den Kindern der Zwillingsschwester unter einem Dach in der Nähe von Wil gewohnt. Da sie das Haus gekauft haben, konnte man annehmen, dass sie die «WG» nicht als Übergangslösung sahen, sondern für eine längere Zeit dazubleiben planten. Aufgrund unterschiedlicher Positionen in der Arbeitswelt und unterschiedlicher Arbeitsorte mussten sie sich letztlich wieder für getrennte Bleiben entscheiden. «Aber wir haben immer gesagt, im Alter kommen wir wieder zusammen – mal schauen, ob das klappt.» Nebst der sehr engen Beziehung zu ihrer Zwillingsschwester hegt Regula Kägi-Diener zusammen mit ihrem Mann ebenfalls eine enge Beziehung zu den Kindern ihrer Zwillingsschwester. Dies wahrscheinlich auch deshalb, weil sie selber nie Kinder bekommen konnte.

Während wir so auf dem Sofa sitzen und gemütlich plaudern, geht die Sonne langsam hinter den Hügeln unter. Wie als Beweis der guten familiären Beziehung kommt einer der Neffen ganz selbstverständlich ohne zu klingeln ins Apartment rein, um, wie jeden Mittwochabend, mit unserer Interviewpartnerin und ihrem Mann gemeinsam zu essen. Da wollen wir nicht mehr länger stören, bedanken uns herzlich für das offene Gespräch und wünschen alles Gute für die Zukunft. Sei es nun bei der erhofften Reise durch Australien oder der Eröffnung des eigenen Bed&Breakfast.

Geboren: im Sternzeichen Widder, in der Mitte des 20. Jahrhunderts
Lieblingslektüre: je nach Stimmung, es darf etwas Spannendes sein aus dem Leben, wie «Die Frau im Pelz» von Lukas Hartmann; «Kein Zurück für Sophie W» von Katharina Zimmermann oder «Die Wachsflügelfrau» von Evelyne Hasler, oder auch aus der Welt der Fiktion wie «Diamanten» von Martin Walker, «Nachtfalter» von Petros Markaris oder «Bei Einbruch der Nacht» von Fred Vargas.
Lieblingsessen: Ein Glas Roten mit Salami und frischem Brot unter der Tessiner Sonne
Lieblingsort: Niederteufen
Lieblingsmusik: «Bilder einer Ausstellung» von Mussorgsky
Hobbies: das «Schöne» suchen


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