O tempora, o mores

Was machen wir eigentlich den ganzen Tag? prisma hat es für euch getestet und zwei Redaktoren eine Woche lang zum Timetracking angehalten.

Von Simone Steiner

«Zeit ist Geld», das wissen wir alle, es wird uns tagtäglich vorgepredigt, unsere Tage sind getaktet und durchgeplant. Dass ich viele Pläne für meine Woche mache, ist anhand der Tausenden von Postits und Notizzetteln in meiner Agenda (wir bleiben analog!), offensichtlich. Wie viele davon ich im Verlauf des Tages über Bord werfe, war bis heute mein Geheimnis. Aber wenn ich schon jeden Monat haarklein und farblich sortiert notiere, wie viel Geld ich wofür ausgebe, dann macht es doch – getreu dem oben genannten Motto – nur Sinn, auch aufzuschreiben, wohin meine ganze Zeit und damit auch mein Humankapital geht.

Nicht ganz so digital wie mein Experimentpartner schrieb ich meinen Tag in ein Notizbuch, auf lose Zettel, und beobachtete das Ganze mit dem Timer und der Uhr meines Smartphones. Hier schon die erste Erkenntnis: Smartphones sind böse und ich schwach. Während drei Stunden Vorlesung geht mindestens eine Stunde für das Handy drauf. Eine Stunde, in der ich passiv in der Vorlesung sitze, aber fürs gute Gewissen war ich wenigstens da. Überhaupt, die ganze Woche war ich dreimal acht Stunden in der Vorlesung; eine schöne Bilanz. Da freuen sich das schlechte Gewissen und meine Eltern, da geht das mit dem Studium sicher schnell voran. Besser rasch die Notizzettel weggepackt, die zeigen, dass ausserhalb der Vorlesung nichts für die Kurse läuft – kein Vor-, kein Nach-, kein Irgendwas-Bereiten. Sobald der Vorlesungsraum verlassen ist, stehen andere Dinge an, irgendwas, das definitiv nichts mit der Uni zu tun hat, Freunde treffen, lesen und viel, viel tote Zeit.

Tote Zeit? Genau – Sekunden, Minuten, Stunden, die verstreichen, und wenn man dann plötzlich geschockt auf die Uhr schaut, wundert man sich, was man denn nun genau von vier bis sechs gemacht hat, das sollte man ja noch aufschreiben … und was schreib ich jetzt da? Musik gehört, Unterlagen hinund hersortiert, ein bisschen an dem Paper geschrieben, ein bisschen an der anderen Dispo rumgeschraubt, aber nichts so wirklich. Dann noch sicher zehn Minuten vor dem Kleiderschrank gestanden und rumüberlegt, was man denn morgen anziehen soll. Denn, davon bin ich überzeugt, die Kleider am Abend vorher rauszulegen, spart in der Früh viel Ärger, besonders, wenn man gern länger schläft. Und noch mehr tote Zeit, wenn wir gerade vom Schlafen sprechen: Snooze! Was mich der Snooze an Zeit kostet … jeden Morgen mindestens eine halbe Stunde, was pervers ist, wenn man bedenkt, dass ich den Snooze einplane, wenn ich am Abend meinen Wecker stelle; Notiz an mich selber: Aufhören damit!

Alles in allem betrachtet, sind meine Tage, abgesehen vom Besuch der Vorlesungen (auch hier, Notiz an mich selber: Handy ausschalten), irgendwie reine Zeitverschwendung. Da ist keine Effizienz, kein «Ich erledige das jetzt sofort und dann ist es abgehakt». Das Einzige, was effizient absolviert wird, ist das Essen: Ein Teller Pasta überlebt bei mir – die Stoppuhr hat es gezeigt – genau acht Minuten und 46 Sekunden, inklusive einem kleinen Mensateller Salat. Ebenso effizient geht das Kochen von sich: eine Mahlzeit zuzubereiten dauert in der Regel, obwohl immer frisch gekocht und kein Büchsenfrass aufgetischt wird, nur zwanzig bis dreissig Minuten, immerhin. Und ein weiterer Posten, der effizient genutzt vonstattengeht ist meine «Morgenroutine»: Fürs Duschen, Schminken, Anziehen und Zähneputzen gehen nur zwanzig Minuten drauf … wieso snooze ich nochmal?

Was haben wir also gelernt? So genau wie ich am Ende des Monats auf mein Geld schaue – noch zwei Wochen, aber nur noch vierzig Franken – sollte ich immer auf meinen Zeithaushalt achten. Auf der anderen Seite: Wer würde schon ein spontanes Essen mit Freunden als Zeitverschwendung bezeichnen, selbst wenn es nicht in den geplanten Tagesablauf gepasst hat?

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Von Thomas Nuspl

Tote Römer sind immer für weise Sprüche gut. Von Seneca dem Jüngeren ist ein Zitat überliefert, das in der deutschen Übersetzung lautet: «Es ist nicht wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist viel Zeit, die wir nicht nutzen.» Von ungenutzter Zeit kann jeder von uns sicher einiges erzählen; vor allem in den Lernphasen perfektionieren wir Prokrastination in allen möglichen Varianten. Wer von uns kennt nicht die verlorenen Stunden auf Facebook, YouTube und Co., oder die faszinierenden Studien der Zimmerdecke, wenn man eigentlich für die Prüfung am nächsten Tag lernen sollte? Aber wie viel Zeit vertrödelt man tatsächlich in einer ganz gewöhnlichen Woche? Um diese Frage zu klären, bedarf es intensiver Untersuchungen und aufwendiger Selbst-Experimente.

Die Vorbereitung zum Thema effizientes Zeitmanagement zeigte, dass die Frage keineswegs neu ist: Websites mit Tipps und Tricks sowie How-to- Literatur gibt es im Überfluss; ebenso findet man im Internet verschiedenste Time-Tracking-Tools. Nur am Rande sei erwähnt, dass «Self-Tracking» aber noch viel weitergehen kann als einfache Zeitmessung. Die «Quantified-Self»-Bewegung ist eine lose Online-Gemeinschaft von Menschen aus aller Welt, deren gemeinsames Interesse darin besteht, alles zu messen, was im Leben messbar ist. Seien es die zurückgelegten Schritte pro Tag, die durchschnittliche Herzfrequenz beim Sex, Dauer und Intensität der Traumphasen, Kalorienaufnahme und -verbrauch, emotionales Befinden, etc. Für die Messung benutzen die treuen Anhänger biometrische Sensoren und alle möglichen technischen Hilfsmittel.

Für mein Experiment genügte jedoch ein Smartphone, sprich Kalender-App und Notizfunktion zur Aufzeichnung meiner Aktivitäten. Zudem installierte ich ein einfaches Programm, das im Hintergrund auf meinem Notebook lief und meine Online-Zeit aufzeichnete. Zunächst die auffälligste Erkenntnis: Bedingt durch das schöne Wetter während des Experiments fand ein guter Teil meiner Zeit draussen statt: 26 Stunden fielen auf Aktivitäten im Freien, insbesondere Fahrrad fahren, Kaffee oder alkoholische Getränke trinken, das «Sächsilüüte» in Zürich besuchen, lesen, grillen, etc. Die Vorlesungen litten hingegen eher unter dem schönen Wetter: Gerade mal zehn Stunden konnte mich der Hörsaal in seinen Bann ziehen, wovon ich gut drei Stunden im Internet verbrachte. Meine gesamte Online- Aktivität liess mit knapp 18 Stunden meine Uni- Aktivitäten verblassen. Natürlich fiel der Grossteil davon auf Facebook – gut zehn Stunden verbrachte ich mehr oder weniger aktiv auf der Seite. Circa 28 Stunden verbrachte ich mit sozialen Aktivitäten. Diese Kategorie umfasste persönlichen Kontakt mit Menschen (was Facebook ausschliesst!), beinhaltete zum Beispiel das Feierabendbier mit Freunden oder ein gemeinsames Abendessen, und überschnitt sich naturgemäss oft mit Aktivitäten im Freien. In dieser Woche dauerte das Duschen durchschnittlich sieben Minuten – dieser Wert gibt jedoch ein verzerrtes Bild wieder, da unser Haus zwischenzeitlich aufgrund eines Wasserrohrbruchs nur kaltes Wasser hatte und die Duschen in dieser Zeit entsprechend kurz ausfielen. Die nächtliche Schlafenszeit lag im Schnitt über acht Stunden. Ich war also fit wie ein Turnschuh, legte aber zur Sicherheit noch zwei längere Nachmittagsschläfchen ein.

Alles in allem war es eine entspannte Woche mit viel Sonnenschein und Aussenaktivitäten und relativ wenig Uni. Etwa zwei Stunden täglich habe ich mit Facebook und Konsorten vertrödelt – ein Wert, den man sicher kritisch beobachten sollte! Ich schreibe es mir gleich auf, das macht sich gut als einer der Vorsätze, die ich dann im nächsten Jahr ignorieren werde.


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